Österreichs Bundesregierung vor dem Aus

Seite 2: ÖVP macht dem Kanzler die Mauer

Aktuell demonstriert die österreichische Volkspartei noch Geschlossenheit. Am Donnerstagabend hatte sie sich zu intensiven Beratungen in die ÖVP-Parteiakademie in Wien-Meidling zurückgezogen. Die sonst auskunftsfreudigen Parteimitglieder gaben den wartenden Journalisten nicht die kleinste Wortspende. Dann, um 22 Uhr, traten ÖVP-Generalsekretär August Wöginger und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter vor die Kameras und hielten leicht bizarre Wahlkampfreden.

Es sei ein gutes Gespräch mit Sebastian Kurz gewesen (das mag glauben wer will) und nur mit der großartigen Vermittlungsarbeit des Kanzlers könne diese Regierung weiterhin erfolgreich arbeiten. Es stünde schließlich die Bewältigung großer Problem bevor, beispielsweise bahne sich ein neuer "Flüchtlingssturm" an. Ein wenig eleganter Versuch, neue (alte) Themen zu setzen und zudem einer, der von der sich verfestigenden rechtsautoritären Gesinnung der Partei zeugt. Statt auf die Vorwürfe gegen Kurz einzugehen, wird Angst vor Flüchtlingen geschürt.

Aber genau das war bekanntlich das Erfolgsrezept von Sebastian Kurz gewesen. Platter und Wöginger machen in ihren Statements sehr deutlich, dass es letztlich immer nur um den Erfolg gegangen ist. Mit Sebastian Kurz an der Spitze wären die Wahlen 2017 und 2019 sehr erfolgreich geschlagen worden. Kurz hatte die Partei aus dem Umfragetief geführt und der Zweck scheint die Mittel zu heiligen. Sollte sich Kurz dabei unlauterer oder sogar krimineller Mittel bedient habe? Die ÖVP scheint dies im Moment kaum zu stören.

Was die beiden Parteigranden dabei unerwähnt lassen ist, dass die ÖVP auch keinerlei Alternativen hat. Prinzip des Systems Kurz und der "türkisen Bewegung" war bislang alles auf den Strahlekanzler auszurichten. Eine innerparteiliche Offenheit und das Heranwachsen neuer Kandidaten waren dabei ausgeschlossen. Deshalb muss die ÖVP jetzt die Mauer machen.

Einigen in der Partei dürfte dies langsam dämmern. Der mächtige steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer blieb der Sitzung im Meidlinger Springel-Schlössl fern. Über Zeitungen ließ er ausrichten, dass die "Härte" der Vorwürfe "extrem" sei und diese langsam "die Grenzen des Möglichen" erreichten. Ebenso betonte der Vorarlberger ÖVP-Landeshauptmann Wallner, dass die Vorgänge unbedingt untersucht werden müssten.

Erst der Anfang?

Die Volkspartei mag noch cool spielen, sie weiß, wie schwierig die Lage auch für sie ist. Immer wieder wird betont, auch für Sebastian Kurz gelte die Unschuldsvermutung. Das mag stimmen, ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Ob Kurz tatsächlich in illegale Rechnungsfälschungen im Finanzministerium involviert war, ob er tatsächlich das Boulevardmedium Österreich für gefällige Berichterstattung bezahlen ließ und dergleichen mehr, werden erst die gerichtlichen Ermittlungen zeigen. Dies kann erfahrungsgemäß Jahre dauern, im Fall des ehemaligen FPÖ-Finanzministers Karl-Heinz Grasser hatte es sogar ein Jahrzehnt gedauert.

Will die ÖVP nun auf Jahre ihre politische Energie in die Verteidigung von Kanzler Kurz legen? Das ist eine simple taktische Frage, die sie sich stellen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ermittlungen ja weiterlaufen. Bei der Razzia wurden neue Handys sichergestellt, beispielsweise jenes des Herausgebers der Zeitung Österreich, Wolfgang Fellner. Ein Blick in Fellners Revolverblatt gibt ausreichend Anlass zur Vermutung, dass sich einiges in seine Chatverläufen finden wird, das - gelinde gesagt - nicht allzu schmeichelhaft sein könnte.

Auch ist die Frage, wie lange die selbsternannten "Prätorianer" von Sebastian Kurz diesen schützen und ihn angesichts drohender Gefängnisstrafen nicht doch noch fallen lassen und beschuldigen. Und dann wäre da noch dieses Detail mit der Moral. Ob Kurz strafrechtliche Vergehen begangen hat, ist ungewiss und es gilt die Unschuldsvermutung. Aus den bisher bekannten Chatverläufen lässt sich aber bereits eindeutig ablesen, dass Kurz mit Kaltschnäuzigkeit und Gehässigkeit nur auf das eigene Vorwärtskommen konzentriert war.

Eine Wahlkampkampagne unter dem Vorzeichen "Sebastian Kurz, der Mann der über Leichen geht" kommt dann vielleicht doch nicht so gut an. Niemand bezweifelt heute noch, dass die Person Kurz medial weitgehend verbraucht ist.

Dennoch halten Kurz und die ÖVP die Mehrheit im Nationalrat - und die weiß ebenso, dass die Bewertung von Skandalen viel Fachwissen benötigt, über das weite Teile der Bevölkerung nicht verfügen oder verfügen wollen. Bei zahlreichen Wahlkämpfen nach schwerwiegenden Skandalen hatte sich gezeigt, dass die skandalauslösende Partei gar nicht im erwarteten Maße bestraft wurde. Wahlentscheidungen sind eben komplex und hängen von vielen Faktoren ab.

Die Opferinszenierung "Alle haben sich gegen den jungen Kanzler verschworen" mag wahrheitswidrig sein, könnte aber im katholischen Österreich zumindest teilweise ziehen. Dies scheinen zumindest die Oppositionsparteien zu fürchten, die bis auf die nach vorne preschenden liberalen NEOS eher verhalten agieren. Es gibt zwar Rücktrittsforderungen, aber echter Kampfesmut ist beispielsweise bei den Sozialdemokarten nicht zu erkennen. Eher gibt man sich staatstragend und wartet darauf, welche Vorschläge der Bundespräsident nach den Gesprächen mit den Spitzen aller Parteien unterbreiten wird.

Die Situation ist aktuell nach allen Richtungen hin offen. Es kann weder ausgeschlossen werden, dass die Grünen die Totalblamage akzeptieren und Kurz am Dienstag nicht das Misstrauen aussprechen, noch ist auszuschließen, dass sich in der Tiefe der großen Volkspartei doch ein Königsmörder findet. Experten- und Übergangsregierungen jeder Art sind ohnehin im Mix. Das Publikum darf gespannt sein.

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