Olaf Scholz unter Beschuss: Warum die Zukunft des Kanzlers immer unsicherer wird
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Karlsruher Urteil löst Kritiklawine aus. Auch bei denen, die seine Politik unbeirrt mitgetragen haben. Wird der Sturz des Sozialdemokraten jetzt herbeigeschrieben?
Ist das der letzte Wumms für den Kanzler? Das Karlsruher Urteil zum Nachtragshaushalt 2021 scheint einen medialen Damm gebrochen zu haben, der nun eine Flut von Beschuldigungen über Olaf Scholz hereinbrechen lässt.
Verwunderlich ist, dass diese Stimmen erst jetzt so laut werden. Denn die Medien hatten Scholz über lange Strecken die Treue gehalten – und wollen plötzlich schon immer kritisch gewesen sein.
Scholzens "gebrochene Versprechen"
Laut ARD-Deutschlandtrend sind rund 80 Prozent der Deutschen unzufrieden mit dem Bundeskanzler und seiner Politik. Bei der Sonntagsfrage kommt die einstige Volkspartei SPD nur noch auf magere 17 (Allensbach) beziehungsweise 14 Prozent (Forsa, Insa).
Nun bekleidet der Koalitionskanzler genau genommen ohnehin nur dank eines Bruchteils der Wähler sein Amt. Plötzlich scheint ihm aber die gesamte Öffentlichkeit ihr Vertrauen zu entziehen. Scholz wird geradezu abserviert.
In Anbetracht dessen stellte am vergangenen Donnerstag der Politologe Sebastian Huld stellvertretend für den Polit-Nachrichtensender ntv die außerparlamentarische Vertrauensfrage: "Ist Scholz noch der Richtige?", lautete der Titel. Im Text war die Rede von einem Regierungschef,
"der sich und seine Koalition in einer Sackgasse wiederfindet. Und der dieses strategische Desaster nicht durch seinen persönlichen Auftritt zu überdecken weiß.
Halbzeit nach zwei Jahren im Amt: Ist Olaf Scholz noch der Richtige?, ntv
Scholz, der einmal im Geiste seiner vormaligen Chefin Angela Merkel "ein Versprechen aus Klugheit, Erfahrung und Verlässlichkeit" verkörpert habe, sei nun an die Grenzen des Zumutbaren gestoßen: "Durchmerkeln reicht nicht mehr", bilanziert Huld. Denn unverzeihlich sei, dass Scholz ein weiteres Versprechen gebrochen habe: und zwar das "vom funktionierenden Staat".
CDU und AfD sinnieren über Neuwahlen
Dabei hätte der "Deutschland-Pakt" klug durchgesetzt das Zeug gehabt, der AfD das Wasser abzugraben, meint Huld. Stattdessen stürzt sich die Oppositionspartei nun auf das Versagen der Ampel. Zusammen mit der CDU, die mit ihrer Klage in Karlsruhe den Skandal erst ins Rollen gebracht hat.
Während letztere noch fordert, die Vertrauensfrage zu stellen, verlangt erstere schon gleich Neuwahlen.
Schon Merz, der laut aktuellen Insa-Umfragen (mit 41 zu 37 Prozent) deutlich beliebter ist als der Bundeskanzler, hatte Ende November Neuwahlen für den Fall gefordert, dass Scholz "unsere Volkswirtschaft weiter vor die Wand" fährt. In Merzens Ansprache fiel auch der Begriff des "Besserwissers" – ein Begriff, der seit Neustem vermehrt am Kanzler zu kleben scheint. Und zwar bis in die internationale Presse hinein.
Er geht einher mit einer sehr plötzlichen Wende im Vertrauensverhältnis zum deutschen Regierungschef. Denn wie bereits erwähnt, hielt sich der Großteil der Medien und Leitmedien verhältnismäßig bedeckt gegenüber den Anschuldigungen, die von anderer Stelle schon früh gegenüber Olaf Scholz vorgebracht wurden.
Kritik gab es schon vor Karlsruhe genug
So wurde das mediale Fallbeil nicht etwa in Gang gesetzt, weil Scholz, die Ideale seiner Jugend im linken Flügel der Sozialdemokratie verraten hat und über die Jahre vom "Nato-Imperialismus"- und "Stamokap"-Kritiker zum Geostrategen und "Genossen der Bankster" wurde, wie Birgit Gärtner schon 2021 auf Telepolis festhielt.
Nein, weder wegen der Cum-Ex-Deals, wo sich die Indizien für Falschaussagen des Kanzlers zusehends mehren, noch für seine unrühmliche Rolle im Wirecard-Skandal wurde Scholz jemals so der gute Leumund entzogen wie jetzt.
Auch seine undemokratischen Äußerungen über die "gefallenen Engel aus der Hölle", die aus heutiger Sicht immer gerechtfertigter gegen einen aussichtslosen Abnutzungskrieg in der Ukraine protestierten sowie die legendäre Missachtung der "roten Linien" in der Corona-Krise und seine opportunistische Wendung beim Thema Impfpflicht (bei der er in der Ampel zugegebenermaßen keine Ausnahme macht), boten keinen Anlass für eine Medienschelte dieses Ausmaßes.
Gleiches gilt für das augenscheinliche Duckmäusertum gegenüber den Verantwortlichen für die Sprengung von NordStream II, die wohl mindestens unter Billigung eines staatlichen Akteurs geschehen ist, mit dem die Bundesregierung kooperiert.
Und, in diesen Zeiten besonders kurios: Nicht einmal sein Versagen als "Klima-Kanzler" ist zum Gegenstand von Vorwürfen geworden.
Dammbruch Haushaltsurteil: Und plötzlich waren alle immer dagegen
Nein, schenkt man der medialen Berichterstattung uneingeschränkt Glauben, war es speziell die Erklärung – oder mangelnde Erklärung – zum Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) am 28. November, die das medial erzeugte Bild des bürokratischen "Scholz-O-Maten" und bis 2020 wohl unnachgiebigsten Verteidigers der "schwarzen Null" zerbrach und in die Ent-Täuschung führte.
Den Damm, der allem Anschein nach damit gebrochen ist, hat man zuvor allerdings mit einiger Mühe versucht, aufrechtzuerhalten. Ob nun im Vertrauen auf das von Scholz angekündigte "Wirtschaftswunder" und eine glorreiche Überwindung jener "multiplen Krisen" oder aus anderen Gründen.
Jedenfalls wurden Kritiker, etwa jene Mahner vor dem Niedergang der deutschen Volkswirtschaft, eher als Schwarzmaler verächtlich gemacht. "Wumms" (Konjunkturpaket in der Corona-Krise), "Doppel-Wumms" (Gaspreisbremse) und "Sondervermögen" begleitete die Presse dagegen eher wohlwollend.
Nun aber will jeder schon gesehen haben, dass sich der Verfall bereits abzeichnete.
Ein Beispiel dafür lieferte die Süddeutsche Zeitung am 22. November:
Treffender ist, dass es (das Urteil des BVerfG, Einf. d. A.) eine Haushaltsführung beendet hat, die immer mehr Ausgaben in langjährigen Nebenhaushalten unterbrachte und insofern außer Kontrolle geraten war. Das Durchwursteln mithilfe von Buchungstricks hat sich so etabliert, dass es in Berlin schon als Gewohnheitsrecht galt, auf dessen ewige Fortsetzung man irgendwie Anspruch zu haben glaubte.
SZ
Der "Besserwisser" wird auch aus den eigenen Reihen kritisiert
Die Süddeutsche wird aber hier nur als pars pro toto jener klugen Rückschau deutscher Medien angeführt. Diese waren sich in ihrem Aburteilen so einig, dass es schon beinahe nachdenklich stimmen kann: Egal ob das publizistische Hamburger Sturmgeschütz Die Zeit, die Frankfurter Rundschau oder die Öffentlich-Rechtlichen. Alle beklagten Scholzens mangelnde Einsicht.
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Sogar vor den eigenen Reihen machte die Kritik nicht halt: Nicht nur gab der olivgrüne Ampel-Koalitionär Toni Hofreiter Scholz in einem Interview mit der Welt zum diskursiven Abschuss frei, auch in der Jugendorganisation der SPD rumort es, zumal gegen einen Genossen, der im Spiegel versprach, "im großen Stil abschieben" zu wollen und damit deren Verständnis von Asylrecht kompromittierte.
Selbst auf der internationalen Bühne gibt man Scholz offenbar auf: Mit dem Haushaltsurteil liege das "Erbe" des Kanzlers "in Scherben", formulierte die Financial Times – unter Berufung auf einen ehemaligen Beamten des Kanzlers und früheren Finanzministers, der von einem zusammenfallenden "Kartenhaus" sprach.
Der Londoner Telegraph schließlich nannte Scholz einen Besserwisser ("know-it-all), ebenso wie der Schweizer Tagesanzeiger.
Da war er wieder, der Begriff, das Narrativ, das an entscheidender Stelle Eingang in den Diskurs fand.