Olympia-Bewerbung oder Klima-Warnung?
Rentiere könnten durch den Klimawandel nicht nur ins Schwitzen kommen, sondern auch ihre Nahrungsgrundlage verlieren. Foto: Lukas Riebling / Wikimedia Commons
Der Wintersportort Salla in Finnisch-Lappland bewirbt sich für die olympischen Sommerspiele 2032. Was hat es damit auf sich?
Ein vor Hitze erschöpftes Rentier: mit diesem Maskottchen bewirbt sich der finnische Ort Salla für die Sommerolympiade 2032 In dem professionell gehaltenen Werbeclip sieht man die sommerlich bekleideten Bewohner des Ortes im Schnee Volleyball spielen, im eisigen See schwimmen, mit dem Surfbrett einen gefrorenen Bach heruntersausen.
Die Kampagne soll spaßig wie ernst wirken – zum Schluss fragt ein Skateboardkünstler den Zuschauer in vorwurfsvollem Ton, ob er so etwas wirklich wolle, die Sommerolympiade in seinem Ort – und meint damit die Klimaerwärmung, die dort im Jahr 2032 für sommerliche Temperaturen sorgen würde.
Auf der Webseite der Olympiabewerbung wird dem Betrachter dann nahe gelegt, was er für das Klima alles tun könne – ob das Kaufen von Merchandising-Artikeln wie Socken, Sweater und dergleichen mit dem Salla Olympia Logo auch dazu gehört, bleibt offen. Der Bürgermeister Erkki Parkkinen hält das Jahr 2032 dennoch für entscheidend. "Wenn es uns bis dahin nicht gelungen ist, den Klimawandel aufzuhalten, ist es zu spät. Salla und viele andere Orte auf der Welt werden nicht mehr so sein, wie wir sie kennen." erklärt er in einer Pressemitteilung. Die von der Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg gegründete Bewegung "Fridays for Future" ist bezeichnenderweise Partner der Aktion geworden.
Parkkinnen glaubt, dass es eine Verbindung zwischen Olympia und dem Kampf gegen die menschengemachte Erderwärmung gibt: "Die olympische Idee vereint Menschen auf der ganzen Welt. Der Klimawandel ist ein weltweites Problem."
Gewichtige Konkurrenz
Die Bewerbung des aktuell tief verschneiten Ortes verbreitet sich seit Dienstag viral im Netz, das Presseecho lässt nicht lange auf sich warten. Nicht nur die ehemalige Staatspräsidentin Tarja Halonen verlinkt den Film auf Twitter. Der britische Guardian hat den Bürgermeister über die Folgen der zu warmen Winter in Lappland interviewt, die Story von dem kleinen finnischen Dorf, dass es mit den Bewerbern Istanbul, Jakarta und Seoul-Pjöngjang aufnehmen sowie mit dem Klimawandel aufnehmen will, wird von Nachrichtenagenturen, Nachrichtenportalen sowie Zeitungen und Fernsehsendern gerne genommen. Übernommen wird auch kritiklos die von dem umtriebigen Bürgermeister ausgerufene Eigenbezeichnung "kältester Ort Finnlands", obwohl die Kälterekorde an anderen Orten des Landes gefeiert werden.
Doch sicherlich - die Klimaerwärmung ist ein ernstes Thema und gerade in der arktischen Region geht sie rascher voran als im globalen Durchschnitt. Nach der "Finnischen Vereinigung für Naturschutz" wird in den kommenden Jahrzehnten die Frostperiode in Finnisch-Lappland um 55 Tage abnehmen. Gefährlich sind die Klimaveränderungen auch für das Rentier. Durch die neuartigen Wärmeperioden mit Regen auch im Winter bilden sich Eisschichten über den Flechten, einer wichtigen Nahrungsgrundlage, so dass die Tiere verhungern.
"Winterwunderland" in Gefahr
Gleichzeitig bedroht der Klimawandel die Existenz vieler Bewohner der Region, die vom Image des "Winterwunderlands" und der proklamierten Heimat des Weihnachtsmannes auf dem Rentierschlitten sowie vom Wintersport leben. Mittelfristig profitiert der Skisport in der Region Lappland jedoch vom Klimawandel, da die Einrichtungen im Süden Finnlands weit mehr betroffen sind und die Sporttouristen nach Norden ausweichen. Doch durch die Pandemie geriet der Tourismus in Lappland in Gefahr, worauf die Interessenvertretungen die Regierung in Helsinki erfolgreich unter Druck setzten, die Eindämmungsmaßnahmen für die Zeit ab Weihnachten wieder etwas zurückzunehmen.
Auch Salla an der russischen Grenze lebt vom Wintersport und zeigt seine Anlagen in einer Grafik auf der Webseite für die angedachte Sommerolympiade Der Ort ist durchaus auch auf wohlhabende Touristen ausgerichtet, ihm kommt zugute, dass dieses Jahr ein neuer Nationalpark in seiner Nähe gegründet werden soll.
Es gibt auch einen deutschen Unternehmer, der ein Hotel und Restaurant aus Eis betreibt und die Bewerbungsaktion für die Sommerolympiade auf Anfrage unterstützt. Was die Verbreitung der Idee an die Medien betrifft, verweist er an Paula Aspholm, die Tourismusmanagerin vor Ort. Diese reagiert auf die Anfrage jedoch nicht direkt, sondern lässt eine PR-Beraterin aus New York via Mail antworten.
Valerie Silverman Kerr verweist darauf, dass eine Werbeagentur in Brasilien namens "Agencia Africa" für die Prokuktion, die Werbung und gesamte Unterstützung der Kampagne verantwortlich sei. Kerrmann, Inhaberin der Agentur "VSK Public Relations" ist nach eigenen Angaben besonders für "beeindruckende Medienplatzierungsarbeit" bekannt.
Die Idee sei in Zusammenarbeit zwischen der Agentur, der Regionalvertretung "House of Lappland" sowie der Stadtverwaltung von Salla entstanden. Wer zuerst die Idee hatte, will sie auch auf Nachhaken nicht verraten - sie Initiative sei in Teamarbeit entstanden, um "das globale Problem Klimaerwärmung in Angriff zu nehmen".
Vielleicht erscheint es ein wenig kleinlich, hier nachzubohren, und "Media Placement" ist eine schon lange etablierte Branche, nichts wirklich Neues. Die Frage ist jedoch, wem dient dieser finanzielle Aufwand? Dem Wohle des Planeten oder dem touristischen Benefit Sallas und der Region Lapplands?
Sollte der Schwerpunkt auf Letzterem liegen, dann darf gefragt werden, ob solche Aktionen mittel- bis langfristig dem Kampf gegen die Erderwärmung nicht eher schaden. Denn gerade der Kampagnencharakter der Klimaschutzbewegung wird von deren Gegnern ja gerne kritisiert - und das nicht selten kombiniert mit dem Vorwurf, dass sich hinter dem Druck, den die Klimaschützer machen, doch nur irgendwelche Interessen wirtschaftlicher Art verbergen würden.
Vor mehr als einem Jahr machte schon einmal ein kleiner Ort im Norden Finnlands von sich reden - Poulanka eine vom Bevölkerungsschwund betroffene Kleinstadt mit einem "Pessimistenverein", der sie zur pessimistischsten Stadt der Welt erklärte und dazu absonderliche Youtube-Videos produzierte.
Nach lokalen und überregionalen Berichten kam die BBC vorbei und löste ein kurzes globales Medieninteresse aus, auch Telepolis berichtete seinerzeit. Dies schien jedoch nicht gesteuert gewesen zu sein, die plötzliche Medienpräsenz des Ortes in der Region Kainuu könnte aber als Vorbild für die aktuelle Kampagne gedient haben.
Finnland gilt jedenfalls als angesagt und sympathisch, wozu der Mix aus Natur, innovativer Technologie und einem etwas skurrilen und schweigsamen Menschenschlags beiträgt, der nach Erhebungen der UNO im glücklichsten Land der Welt lebt.
Wer sich die Bewerbung für die Sommerolympiade nun ausgedacht hat und was wirklich das Motiv war, konnte - wie schon erwähnt - nicht herausgefunden werden. Heraus kam jedoch, dass man viele Medien mit gut gemanagtem "Media Placement" in Sachen Klimaschutz wie ein Packesel beladen kann, ohne dass das Lastentier den Inhalt der Beladung wirklich inspiziert.