Oma wird nicht überfahren

Seite 3: Maschinen sind keine ethische Wesen

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Aber ich will dem Hauptproblem nicht ausweichen. Die Frage wäre, ob wir nicht ethische Regeln in die Maschinen einprogrammieren sollten, z.B. Asimovs Gesetze oder meinetwegen die gesamte Ethik von Kant.

Um eine Antwort geben zu können, muss man ein Missverständnis aus dem Weg räumen. Wenn wir über "autonome Roboter" reden, meinen wir damit nicht, dass sie wirklich alles von alleine entscheiden. Computer tun nur das, was ihnen einprogrammiert wurde. Computer und Roboter sind unsere Sklaven und sie werden es bleiben, wahrscheinlich für immer. Wenn ein Roboter eine Entscheidung trifft, wurde diese eigentlich vom Programmierer selbst von vorne herein und durch das Regelwerk festgelegt. Es ist sicherlich schwierig, alle Auswirkungen von Regeln zu durchschauen und zu "debuggen", aber das ist des Informatikers Job.

Ein Programmierer sollte also nur das programmieren, was das Recht erlaubt und vorgibt. Das wäre im Fall von Autos bereits ein Vorteil. Unsere Erfahrung beim autonomen Fahren ist, dass wir die einzigen sind, die das Tempolimit (wenn vorhanden) auf der Autobahn einhalten. Wir fahren auch nicht Slalom auf der Straße und warten geduldig bis es ausreichend Platz für einen Spurwechsel gibt. Etliche Autofahrer missachten dagegen andauernd die Verkehrsregel. Würden nur Roboterautos fahren, könnte man die Einhaltung aller Verkehrsregel garantieren (vergessen Sie bitte nicht, es ist meine Utopie).

Steht also das autonome Fahrzeug vor Oma und Kind, wird das Auto das tun, was im Regelwerk steht. Gibt das vorhandene Recht eine Anleitung, dann ist es dies, was das Programm tut. Im Zweifelsfall entscheidet ein Mensch, d.h. der Programmierer. Was im Code steht und ausgeführt wird, ist dann die ethische Entscheidung dieses Programmierers. Philosophen mögen sich, falls gewünscht, wochenlang treffen, debattieren und Regeln vorschlagen, diese werden dann zum Regelwerk hinzugefügt.

Manche Leute denken dennoch, Computer wären durch "künstliche Intelligenz" bereits so weit, dass sie tatsächlich selbständig Probleme abwägen und alleine entscheiden können. Das ist nur die Illusion eines Außenstehenden. Der Programmierer weiß, wie das Regelwerk aussieht. Ergibt sich eine Fehlhandlung, muss der Fehler behoben werden. Deswegen wird man viele autonome Fahrzeuge vorher in Fahrten mit Millionen von kollektiv absolvierten Kilometern testen, bevor man sie auf die Straße bringt.

Man könnte einwenden, manche Programme, die z.B. maschinelles Lernen einsetzen, können sich selbst ändern und dann Entscheidungen treffen, die keiner mehr im Voraus absehen kann. Solche Programme wären allerdings verboten, wenn sie die Entscheidungen auf der obersten Ebene der Handlungen unvorhersehbar verändern könnten. Man möchte auch kein Kernkraftwerk haben, dessen Steuerung sich jeden Tag, von niemandem kontrollierbar, neu anpasst.

Während also maschinelles Lernen für die Ebene der Sensorik und Objekterkennung wohl Sinn macht (und statistisch überprüft werden kann), hat sie auf der deliberativen Ebene keinen Platz, wo das Regelhandwerk für die Einhaltung der Verkehrsregeln bearbeitet wird. Das ist eine Ebene, wo nur Menschen Entscheidungen treffen sollten und diese durch staatliche Zertifizierung absichern müssten.

Mir ist bewusst, dass es möglich wäre durch Regeln eine Art "toy ethics" in eine Maschine einzubauen, die aber keine echte Ethik wäre, weil sie von keinem verantwortungsvollen Subjekt interpretiert werden kann. So, wie ein Buch mit der Verfassung kein moralisches Wesen ist, nur weil in seinem Inneren die Verfassung ruht, so kann keine Software ein moralisches Wesen sein, da Selbstbewusstsein und Bewusstsein für die Handlungen und deren Folgen eine Voraussetzung jeder Form von Ethik ist.

Wir brauchen deswegen ethische Menschen, moralische Wesen, die gute Entscheidungen treffen. Maschinen sollen und können das nicht für uns tun. Die Ethik eines Roboters ist die Ethik seines Programmierers. Auch Roboter für den Krieg spiegeln die Ethik ihres Erbauers wieder. Sie selber sind nur Metall und Chips, leblose maschinelle Sklaven, die nur das tun, was ihnen einprogrammiert und befohlen wurde. Wir müssen also die Menschen ändern und diese werden dann die Maschinen ändern - oder manche davon gar erst nicht bauen.

Und wenn Sie bis hierher gelesen haben, können Sie jetzt auch verstehen, warum ich in 60 Sekunden nie die berühmte Frage von Oma und Kind erschöpfend beantworten kann.

In den 60 Sekunden könnte ich höchsten eine Rede halten:

Meine Damen und Herren,

wir sind sehr stolz heute unser neuestes ethisches Modul für Roboter, KANT-500 vorstellen zu dürfen. Das Modul enthält die aktuellste künstlichen Intelligenz und proprietären Code, die sich im Labor am besten behauptet haben. Mit KANT-500 werden ihre Roboter immer im Sinne der höchsten gemeinschaftlichen Interessen handeln.

Die eingebaute Bewertungsfunktion erlaubt autonomen Fahrzeugen, blitzschnell Alter, Geschlecht, Beruf, Einkommen, Kontostand und medizinischen Zustand von, leider Gottes, noch unvermeidlichen Opfern im Straßenverkehr zu bestimmen. Seitdem weltweit das Tempolimit auf der Autobahn geächtet wurde und Tempo 100 überall in der Stadt möglich ist, ist KANT-500 für jedes Fahrzeug unerlässlich. Für jedes Menschenleben haben wir heute eine hochpräzise und vom TÜV zugelassene Bewertungsfunktion. Außerdem können Sie sich für einen kleinen monatlichen Beitrag mit dem BENTHAM-300 Plug-In bei uns anmelden und ein Zusatzbewertungsbonus für das eigene Leben erwerben. Über eine Cloud wird die Bewertungsfunktion immer mit den aktuellsten Daten versorgt. Ihre von der SCHUFA gemeldeten Schuldner werden selbstverständlich daran gehindert, ihren Schulden zu entkommen, es sei denn, die Erbmasse wäre ausreichend. Wir sind sicher, Sie werden höchst zufrieden sein und die Fahrt auf der Autobahn bei Tempo 200 voll genießen können.

Können Roboter lügen?
Essays von Raúl Rojas zur Robotik und Künstlichen Intelligenz
Als eBook bei Telepolis erschienen

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