Operation Rubikon

Bild: Rubikon/ZDF

Ausführliche ZDF-Doku über die Beteiligung des BND an der Crypto AG

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Normalerweise lautet das journalistische Narrativ über den BND, dass dieser in erster Linie Misserfolge und Skandale produziere. So galt die Aufklärung durch menschliche Quellen wie Geheimagenten gegen die Staaten der Sowjetunion als ausgesprochen schwach. Umgekehrt gelang den östlichen Diensten das Platzieren von Doppelagenten im BND, so dass der große Bruder CIA die deutschen "Pfadfinder" nur noch bedingt an Erkenntnissen teilhaben ließ - so die Legende. Die technische Aufklärung des BND hingegen genoss einen ausgezeichneten Ruf, das Material machte rund 50% des Informationsaufkommens aus und galt als zuverlässig.

Wie nunmehr im Februar ein Rechercheteam aus Journalisten des ZDF, des Schweizer Rundfunks sowie der Washington Post enthüllte, beruhten die Erfolge des BND-Abhörens auf Konspiration mit dem Weltmarktführer für Chiffriergeräte. Das langfristige Geheimprogramm, an welchem der BND beteiligt war, bewerten namhafte Geheimdiensthistoriker sogar schmeichelhaft als den größten Spionage-Coup des 20. Jahrhunderts: die CIA-Operation MINERVA, deutsche Bezeichnung RUBIKON.

Bereits bei den einst gegnerischen Vorgängern von CIA und BND hatte Verschlüsselungstechnik im Zweiten Weltkrieg eine gewichtige Rolle gespielt: Das deutsche Chiffriergerät Enigma schloss lange die westlichen Lauscher durch zuverlässig verschlüsselte Fernkommunikation aus. Als dann den Briten der Einbruch in die vermeintlich unknackbare Enigma gelang und dieser den Krieg entscheidend verkürzte, galt den Beteiligten der Ertrag als so wertvoll, dass sie diesen Vorsprung fast drei Jahrzehnte lang als größtes Staatsgeheimnis bewahrten. Die britischen und US-amerikanischen Strategen verschwiegen ihr Geheimnis auch der eigentlich verbündeten Roten Armee, der man unnötige Verluste gegen Nazi-Deutschland hätte ersparen können.

Nach dem Krieg überließen die Briten den Israelis die tatsächlich geknackte Enigma, doch das Danaergeschenk wurde gewittert. Man musste sich also etwas Neues einfallen lassen, um Gegnern unsichere Kryptierverfahren unterzujubeln.

Minerva, Göttin der Weisheit

In den 1950er Jahren bereiteten etwa den US-Geheimdiensten nicht nur die sowjetischen Fortschritte in der Kryptografie Kopfzerbrechen, sondern auch der dänische Mathematiker Boris Hagelin, der eine sichere Chiffriermaschine weltweit anbieten wollte und hierzu in der neutralen Schweiz die Crypto AG aufbaute. Aus einer streng geheimen Dokumentation der CIA von 1998, die an das Rechercheteam geleakt wurde, geht hervor, wie man das Problem löst: Die CIA bewegte Hagelin dazu, für den breiten Markt nur eine manipulierte Version mit einer heimlich schwächeren Verschlüsselung anzubieten. Als sich Hagelin Ende der 1960er Jahre zur Ruhe setzten wollte, übernahmen der BND und die CIA gleich ganz die Kontrolle und kauften die Crypto AG gemeinsam verdeckt über Tarnfirmen.

In der ZDF-Doku "Geheimoperation 'Rubikon'. Der größte Coup des BND", die am 18.3.2020 um 20.15 Uhr in ZDFinfo ausgestrahlt wird, werden die Namen der verantwortlichen deutschen Politiker genannt, die manchen überraschen dürften. In der Firma selbst kannten nur wenige das Geheimnis der Eigentümer. Durch Zusammenarbeit mit Siemens und den Chiffrierexperten des BND konnte auch die moderne elektronische Version der Hagelin-Maschinen kompromittiert werden. Während das Knacken eines 64-bit-Schlüsselden ein Jahr beanspruchen kann, bewirkte die unauffällige Halbierung des Schlüssels eine Reduktion der Zeit auf einen Sekundenbruchteil.

Insbesondere für die USA erwies sich das Minerva-Material als unschätzbar, etwa bei Verhandlungen. Doch um das Geheimnis des Abhörens zu wahren, schwiegen die Beteiligten über belauschte Staatsverbrechen von Militärdiktaturen in Südamerika. Ebenso wurde der BND auf diese Weise auch Zeuge der zweifelhaften Rolle seines Partnerdienstes CIA etwa während des von Washington kontrollierten Putsches in Chile. Ein weiterer fragwürdiger Preis der Operation war die Tatsache, dass der BND durch Beteiligung an einem Chiffrier-Ausrüster die geheime Infrastruktur von Diktaturen unterstützte.

Bild: Rubikon/ZDF

Neben der kompomittierten Crypto AG operierten die US-Geheimdienste auch gegen andere Chiffrierhersteller, die etwa auftragsgemäß geschluckt und neutralisiert wurden. Auch an NATO-Partner lieferte die Crypto AG unbekümmert die manipulierten Geräte, so etwa an die Türkei. Doch dieses Manöver rächte sich, da die Dienste des Warschauer Pakts die Schwachstelle fanden. Auch dem belieferten jugoslawischen Geheimdienst fiel eine Schwäche der als sicher gepriesenen Fernschreiber auf.

In den 1980er Jahren opferte Reagan indirekt das Geheimnis, um seine Erkenntnisse über die libysche Beteiligung am Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle mit einem abgehörten Funkspruch zu erklären und hiermit einen Luftangriff zu legitimieren. Auch andere Käufer schöpften Verdacht, was einem nicht eingeweihten Vertreter der Crypto AG eine Geiselhaft im Iran einbrachte. Andere wurden liquidiert. Mit dem Vertrauen der Käufer schwanden auch die Umsätze.

Das dreiste Projekt verlief in geschäftlicher Hinsicht allerdings ertragreich: Die abgehörten Länder bezahlten für ihre vermeintlich sicheren Schwachstellen Millionen. Auf diese Weise verfügten die Dienste über geheime Reptilienfonds, für welche sie dem Steuerzahler keine Rechenschaft ablegten. Aus diesen dunklen Quellen finanzierte der BND u.a. den Aufbau demokratischer Parteien nach der Nelkenrevolution in Portugal. Auch die CIA wusste Bargeld ohne Kenntnis des Kongresses zu schätzen, das wie im Agentenfilm konspirativ in Koffern übergeben wurde.

Der Bundesregierung wurde die Frucht vom verbotenen Baum nach Ende des Kalten Kriegs zu heikel. Eine mögliche Enthüllung, dass das nunmehr vereinigte Deutschland etwa seine NATO- und EU-Partner oder Handelspartner Saudi Arabien ausspähte, hätte mehr politischen Schaden gestiftet als Erträge eingebracht. Ein weiteres Manko war die Tatsache, dass man die Operation eigentlich den parlamentarischen Kommissionen hätte melden müssen. Daher stieg der BND 1993 aus der Crypto AG aus und überließ das Projekt nun zu 100% den US-Diensten, welche es bis 2018 weiterführten.

Die Enthüllungen vom Februar stießen vor allem in der Schweiz auf ein breites Echo, da die Eidgenossen offiziell Neutralität beanspruchten und offenbar beteiligte Politiker ihre Verstrickung nach wie vor abstreiten. Während der deutsche Beitrag inzwischen strafrechtlich verjährt ist, wird die US-Operation, welche auch die Schweiz kompromittierte, wohl auch insoweit ein Nachspiel haben. Gegen Ende der Doku warten die Autoren mit einer bislang noch nicht veröffentlichen Geheimdienstpanne auf, die schmerzhafte Fragen zur nachrichtendienstlichen Erkenntnislage der Bedrohung vor 9/11 stellt.

"Geheimoperation 'Rubikon'. Der größte Coup des BND" läuft am 18.3.2020 um 20.15 Uhr auf ZDFinfo.