Ossi-Schelte vom Spitzenkandidaten der stärksten Partei Sachsens
Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz klagt über "diktatursozialisierte" Wahlberechtigte und bekommt Gegenwind, aber auch Zuspruch
Ist es eine pauschale Ossi-Schelte oder eine Banalität - oder einfach nur falsch? Aufmerksamkeit hat Marco Wanderwitz mit seinen jüngsten Aussagen über die Ostdeutschen allemal erregt. Wanderwitz ist zurzeit noch Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland und Spitzenkandidat der CDU in Sachsen für die Bundestagswahl. Wanderwitz hatte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt, ein Teil der Ostdeutschen sei nie in der Demokratie angekommen; sie seien teilweise "diktatursozialisiert" und für die Demokratie nicht mehr zu erreichen.
Beifallsstürme erntete er für seine Aussage nicht, weder in seiner eigenen Partei noch irgendwo anders. In der Berliner Zeitung schrieb Maritta Tkalic, Wanderwitz setze die Tradition des Beleidigens Ostdeutscher fort. Neu sei jetzt nur, dass die herablassende Äußerung von keinem Westdeutschen komme. Die Leipziger Volkszeitung meinte dagegen, Wanderwitz sei mutig; seine Kritik treffe ohnehin nur jene Minderheit, die es verdiene. Und die Magdeburger Volksstimme meinte, ob die Ostdeutschen schon in der Demokratie angekommen seien, darüber werde gern gestritten. "Besonders, wenn sich die Ost-Realität nicht mit Versprechen und Wünschen der westdeutsch dominierten Politik deckt".
Auch aus seiner eigenen Partei hagelte es Kritik. Kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat eine solche Aussage das Zeug dazu, der eigenen Partei zu schaden. In Sachsen-Anhalt liefert sich die CDU laut diverser Prognosen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der AfD um die Wählergunst. Sven Schulze, CDU-Landesvorsitzender von Sachsen-Anhalt, monierte in der Bildzeitung, die Politik dürfe die Menschen im Osten nicht so "pauschal beschimpfen". Es wäre ein Armutszeugnis der Bundesregierung, wenn das die Antwort aus Berlin ist auf die hohen Wahlergebnisse der AfD. Aus Thüringen meldete sich Mario Voigt zu Wort; er ist dort der Spitzenkandidat der Christdemokraten. "Ein belehrender Ton und Besserwissertum hat im Osten noch nie geholfen", sagte er.
Die CDU war 's nicht - oder?
CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen hält die Ossis nicht für verloren. Dem Sender Welt am Mittwoch sagte er, sie hätten ein "feines Sensorium", was politische Veränderungen angeht und sie wollten sich nicht bevormunden lassen, nicht beim Sprechen und nicht beim Essen. Zustimmung erhielt Wanderwitz auch von dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Er stimme Wanderwitz vollkommen zu, schrieb er am Donnerstag in der Sächsischen Zeitung, nur vermisse er einen Hinweis auf die Rolle der CDU in diesem Zusammenhang.
Gerade in Sachsen sei die Partei bis 2004 faktisch allein an der Macht gewesen. Die Probleme des Neofaschismus, des Rechtsextremismus und des Rassismus habe sie dabei nicht nur heruntergespielt, sondern für nicht existent erklärt. "Insofern trägt die CDU eine große Mitverantwortung dafür, dass so viele Menschen mit rechtsradikalen Einstellungen quasi ungestört eine politische Heimat erst bei der NPD, dann bei der AfD suchen konnten", so Kowalczuk. Dass die DDR im Endeffekt verantwortlich dafür ist, dass viele Menschen AfD wählen, unterstreicht Kowalczuk noch einmal. "Dikatatursozialisiert" heiße ja nicht, dass dies nur Menschen betreffe, die in der DDR gelebt hätten, sondern die Menschen würden ihre Prägungen ja an die Nachfolgegenerationen weitergeben.
Gleichzeitig sei es noch in keinem Land der Welt gelungen, die Bevölkerung komplett für die Demokratie zu gewinnen. Üblich sei, davon ginge man aus, "das mindestens 20 bis 25 Prozent einer Gesellschaft ihr fremdelnd bis ablehnend gegenüberstehen". Teilweise hätten die Leute schlicht "wenig bis gar keine Ahnung", wie eine Demokratie funktioniere.
Das sagen Studien
Wer sich nicht an oberflächlichen Spekulationen darüber beteiligen möchte, ob autoritäre Vorstellungen bei Ostdeutschen besonders ausgeprägt sind, für den könnte "Autoritäre Dynamiken" eine interessante Lektüre sein. In der Studie aus dem letzten Jahr untersuchen die Forscher unter anderem den Wandel der AfD-Wählerschaft - und es zeigt sich, dass andere Faktoren eine Rolle spielen als die soziale "Vererbung":
Ein erster Überblick über die Ergebnisse der letzten vier Leipziger Autoritarismus-Studien legt nahe, dass sich zwischen 2014 und 2016 ein gesellschaftlicher "Schichtwechsel" in der AfD-Wählerschaft vollzogen hat. War die Partei 2014 für Menschen mit höherem Bildungsgrad und vorwiegend mittlerem und höherem Einkommen attraktiv, waren es 2016 häufiger Personen mit niedrigerem Bildungsgrad auch aus der Arbeiterschicht. Dieser Trend setzte sich allerdings nicht fort: Inzwischen ist das Einkommensniveau der AfD-Wählerschaft gestiegen, während die AfD im Laufe der Zeit Wählerinnen und Wähler aus den Arbeitermilieus verlor. Das Wählerpotenzial der AfD ist also im Laufe der Zeit weiter in die, auch gehobene, Mitte der Gesellschaft gerückt.
(Autoritäre Dynamiken / Leipziger Autoritarismus-Studie 2020)
Und gerade in der Mittelschicht sei die Angst vor Statusverlust verbreitet, schreiben die Forscher. Diese Angst erstrecke sich nicht nur auf ökonomische Einbußen, sondern auch auf andere Bereiche wie die "deutsche Kultur", was sich mitunter in fremdenfeindlichen Positionen niederschlage.
Der Demokratie stehen demnach die meisten AfD-Wähler (85,3 Prozent) als "die beste Staatsform" positiv gegenüber. Allerdings befürworte nur etwa die Hälfte (50,4 Prozent) die deutsche Demokratie, wie sie im Grundgesetz niedergelegt sei. Allerdings nur etwa 23,3 Prozent seien mit der heutigen Funktionsweise der Demokratie in der Bundesrepublik zufrieden.
Das Gefühl, die Politik berücksichtige die Interessen der einheimischen Bevölkerung nicht, könne zu einer Unzufriedenheit mit Politikern und Institutionen führen. Durch die Wahl der AfD manifestiere sich hingegen der Protest gegen die herrschenden Zustände. Folgte man diesen Ergebnissen, müsste man meinen, Politiker sollten die Ursache dieser Unzufriedenheit beseitigen. Wanderwitz will dagegen eine Brandmauer gegen AfD-Wähler errichten und darauf hoffen, eine neue Generation von Ossis sei weniger unzufrieden mit den demokratischen Institutionen und Verfahrensweisen.
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