Paket-Auslieferer und Scheinselbstständigkeit: Schluss mit Ausbeutung?

Bild: Ralf Streck

Hartes Urteil gegen Amazon in Spanien: Immer stärker kommen Lieferdienste unter Druck und zahlen Millionenstrafen. Nun droht auch Gefängnis. Das Land wird zum Vorreiter internationaler Gesetzgebung.

Der Druck auf Online-Handelsplattformen und Lieferdienste, die zu den Krisengewinnern der Corona-Pandemie gehören, nimmt in Spanien immer stärker zu. Gerade musste der Online-Gigant Amazon, bekannt für sein brachiales Vorgehen gegen Gewerkschaften und Betriebsräte wie für schlechte Arbeitsbedingungen und eine schlechte Bezahlung, in der Hauptstadt Madrid ein hartes Urteil hinnehmen.

Nach dem Urteil des Sozialgerichts muss das Unternehmen des Milliardärs Jeff Bezos nun fast 2.200 Paket-Auslieferer für Amazon Flex als Beschäftigte fest einstellen, da es sich für das Gericht klar um Scheinselbständige handelt.

Geklagt hatte die große spanische Gewerkschaft Arbeiterunion (UGT). Der UGT-Chef Pepe Álvarez nannte das Urteil eine "außerordentliche Nachricht" und warnte alle Unternehmen, die auf ein solches Geschäftsmodell mit Scheinselbständigen setzen.

"Sie werden alle fallen"

Sie sollten endlich anfangen, die Situation der Beschäftigten zu regeln, sie fest einzustellen, so wie es das Urteil des Sozialgerichts für Amazon bestimmt hat. "Sie werden alle fallen", blickte Álvarez weit über Paket- und Lieferdienste hinaus auf alle digitalen Plattformen.

Allerdings ist die Lage von Fahrern der Firmen wie Deliveroo aus Großbritannien, Glovo aus Barcelona, Uber Eats aus den USA oder Amazon jetzt deutlich besser. Im vergangenen Jahr wurde ihre rechtliche Lage über das sogenannte "Rider-Gesetz" geregelt, das schließlich im vergangenen August in Kraft getreten ist.

Scheinselbstständigkeit nicht zu übersehen

Im Fall der Fahrer von Amazon Flex wies die UGT darauf hin, dass deren Scheinselbstständigkeit offensichtlich war. Sie seien von der Firma gezwungen worden, mit ihren eigenen Fahrzeugen zu arbeiten und Pakete unter Mithilfe der Unternehmens-App auszuliefern, über die sie ihre Anweisungen bekamen.

Immer mehr Gerichte in Spanien sehen angesichts der Tatsache, dass die Fahrer den Unternehmen komplett ausgeliefert sind, "allgemeine Arbeitsverhältnisse". So hat nun auch das Sozialgericht in Madrid festgestellt, dass Amazon Flex eben nicht als bloßer Vermittler zwischen Geschäften und Auslieferungsfahrer auftrete, wie Amazon, Glovo und Co immer wieder behaupten.

Amazon kann Widerspruch einlegen

Juristisch ausgekämpft ist der Vorgang allerdings noch nicht, da Amazon noch Widerspruch gegen das Urteil einlegen kann.

Bei Amazon Flex ist jetzt die Frage, ob das Programm in Spanien abgewickelt wird. In Deutschland wurde Flex, das 2017 gestartet worden war, schon im vergangenen Jahr eingestellt. Die genauen Gründe blieben unklar. Erklärt wurde nur nebulös.

Wie üblich, entwickeln wir kontinuierlich bestehende Programme weiter und evaluieren sie.

Amazon

Deshalb habe man die "schwierige Entscheidung" getroffen, "das Amazon-Flex-Programm in Deutschland nicht weiterzuführen und stattdessen auf die Zustellung durch bestehende Lieferunternehmen zu setzen".

Probleme für die Linkspartei

Die UGT spricht im Fall des ersten Urteils gegen Amazon von einem "weiteren Fortschritt in der Rechtsprechung, um die neuen Formen der Arbeit, die durch die Integration von Informatikanwendungen in die Produktionsprozesse entstehen, korrekt anzupassen".

Die UGT stellt auch fest, dass das Sozialgericht letztlich nur die Doktrin des Obersten Gerichtshofs verwendet hat. Das hatte im September 2020 geurteilt, dass auch die Fahrer des Lieferdienstes Glovo nur Scheinselbstständige sind.

Letztlich hatte aber das Arbeitsministerium, das von der Chefin der Linkskoalition Unidas Podemos (UP/Gemeinsam können wir es) geführt wird, mit dem Rider-Gesetz nur das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Gesetzesform gegossen.

Die Sozialdemokraten (PSOE), mit denen UP als Juniorpartner das Land regieren, hatten aber verhindert, dass die UP-Chefin Yolanda Díaz wie versprochen eine allgemeine Regelung für digitale Plattformen durchsetzen konnte.

Das wurde allseits auch von Ridern wie Isaac Cuende kritisiert, der durch alle Instanzen der Juristen vor dem Obersten Gerichthof den Sieg gegen Glovo durchgekämpft hatte.

Das ist allgemein das Problem für die Linkspartei, weshalb inzwischen eine massive Regierungskrise an der Reform des Sexualstrafrechts und an anderen Fragen aufgebrochen ist.

Vorreiter Spanien: Richtlinien für bessere Bedingungen für Plattformarbeiter

Obwohl Spanien nur als Gesetz durchsetzen konnte, was der Oberste Gerichtshof schon als Doktrin festgelegt hatte, sprach Díaz davon, dass "Spanien zum Vorreiter internationaler Gesetzgebung" mit dem Rider-Gesetz geworden sei.

Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. So hat das Europaparlament vergangene Woche erst seine Position zur geplanten Richtlinie für bessere Bedingungen für Plattformarbeiter abgesteckt, um die ausufernde Scheinselbstständigkeit in diesem Sektor zu bekämpfen. Die Mehrheit dafür fiel allerdings sehr knapp aus (siehe: Gegen Scheinselbständigkeit: EU-Parlament will Plattformarbeiter besser stellen).

Das Vorhaben stellt fest, dass man zunächst grundsätzlich davon ausgehen soll, dass zum Beispiel Fahrer fest angestellt sind. Kommt es zu einem Rechtsstreit, dann soll die Plattform – und nicht wie bisher der Beschäftigte – beweisen müssen, dass der Beschäftige real ein Selbstständiger ist.

Ausweitung der Kontrollen

Die beliebte Arbeitsministerin Díaz, die im November bei den Parlamentswahlen als Kandidatin für den Posten des Regierungschefs antreten will, kann sich aber real auf die eigenen Fahnen schreiben, dass sie die Kontrollen deutlich ausgeweitet hat. Sonst ist Papier in Spanien besonders geduldig.

Gesetze klingen zwar gut, aber niemand kümmert sich allgemein darum, ob sie auch umgesetzt werden. Das ist im Fall des Arbeitsministeriums anders, weshalb die Ministerin sogar bisweilen sogar offen ausgesprochene Morddrohungen erhält.

Denn bei den Kontrollen wird nicht nur festgestellt, dass Lieferdienste weiter auf Scheinselbstständige setzen, sondern oft sogar sogenannte illegale Einwanderer ohne gültige Papiere zum Teil unter sklavenähnlichen Bedingungen ausgebeutet werden.

Millionen-Bußgelder für Glovo

Erst kürzlich wurde Glovo Januar wieder mit einem Millionen-Bußgeld von der Arbeitsaufsicht belegt. 57 Millionen Euro soll der Lieferdienst bezahlen, der 2015 in Barcelona gegründet wurde, nun aber in 1.500 Städten und in 25 Ländern operiert, weil er weiter gegen die neuen Gesetze verstößt.

Von der Summe gehen 19 Millionen als Nachzahlung an die Sozialversicherungskasse, denn auch die geht bei den Scheinselbstständigen weitgehend leer aus. Mehr als 7.000 neue Fälle wurden registriert. Dazu kommt eine weitere Strafe von 5,2 Millionen, da auch Fahrer ohne gültige Arbeitserlaubnis eingesetzt wurden.

Und Glovo ist ein alter Bekannter der Arbeitsaufsicht. Es handelt sich um einen Wiederholungstäter. Man hat nun schon Bußgelder und Nachzahlungen an die Sozialversicherung imUmfang von mehr als 205 Millionen Euro aufgehäuft.

Im vergangenen Jahr wurde der Lieferdienst gezwungen, die Lage von 10.000 Fahrern zu regeln, die allein in Valencia und Barcelona scheinselbständig für Glovo tätig sind. Allein dafür musste die Firma eine Strafe von 79 Millionen Euro zahlen.

Zwar wurde das Unternehmen auch schon im Vorjahr dazu verdonnert, das Verhältnis von mehr als 11.000 Beschäftigten zu regeln, dabei fiel die Geldstrafe mit gut 16 Millionen allerdings vergleichsweise bescheiden aus.

Díaz sagt den Firmen den Kampf an, die gegen das Rider-Gesetz verstoßen.

Keine Firma in Spanien, egal wie groß oder klein, steht über dem Gesetz

Yolanda Díaz

So erinnerte die Arbeitsministerin nach dem neu verhängten Bußgeld gegen Glovo daran, dass den Verantwortlichen auch Haftstrafen von bis zu sechs Jahren drohen.