Spanische Linke: Summieren oder spalten?
Feministische Sozialdemokratie 2.0: Die beliebte Arbeitsministerin Yolanda Díaz und ihr Projekt der neuen Linksformation "Sumar" - Konkurrenz für Pedro Sánchez
Jetzt sind die Statuten der neuen Linksformation "Sumar" (summieren oder addieren) bekannt. Sie sollen dem neuen Projekt in Spanien auch einen juristischen Rahmen für den zweiten "Zuhör-Prozess" bieten. Hinter Sumar steht federführend die spanische Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Sie gilt nach Umfragen als beliebteste Politikerin des Landes.
Mit Sumar will Díaz nach eigenen Angaben die "Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben" genauso fördern wie das "kritische Denken, um die "demokratische Qualität" zu erhöhen. Dafür will das Projekt die "Verbindung zu sozialen Bewegungen, Bürgern und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft suchen". Außerdem soll es "zur Konsolidierung von Netzwerken für den Erfahrungs- und Wissensaustausch im Bereich der demokratischen Beteiligung beitragen".
Abgrenzung von Podemos
Damit grenzt sich zweite Vizepräsidentin der Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten (PSOE) klar von dem Projekt Unidas Podemos (UP) ab, das sie nach dem eher unrühmlichen Abgang des ehemaligen Podemos-Chef Pablo Iglesias vor einem Jahr übernommen hat.
Sie will ihre Beliebtheit in eine Kandidatur ummünzen und ein neues linkes Projekt unter ihrer Führung gründen. Dass eine feministische Neugründung geplant ist, hatte Telepolis schon im vergangenen November berichtet. Nun nimmt das Projekt Gestalt an, das bisher unter dem Arbeitstitel "Breite Front" firmierte.
Konkurrenz für Pedro Sánchez
Zwar hat Díaz ihre Kandidatur für die Parlamentswahlen 2023 noch nicht verkündet, aber es ist längst klar, wohin ihre Reise geht. Díaz zeigte sich "begeistert", denn man wolle nun "Ideen" austauschen, "um ein anderes Land zu entwerfen".
Klar ist auch, dass die Frau, die sich selbst als "Sozialdemokratin" bezeichnet und nur noch aus nostalgischen Gründen Mitglied der kommunistischen Partei ist, als Alternative gegen den sozialdemokratischen Regierungschef Pedro Sánchez antreten will.
Podemos ist entsetzt
Welche Kräfte in dem Prozess addiert werden sollen, ist allerdings unklar. Sumar soll über Versammlungen, Konferenzen und Veranstaltungen an der Basis verankert werden. Bei einem ersten Auftritt im vergangenen Herbst fiel aber auf, dass ausgerechnet die Partei, die bisher in UP den Ton angibt, nicht beteiligt war.
Stattdessen war die erfolgreiche Kandidatin bei den Madrider Regionalwahlen, Monica García, dabei. Das Aushängeschild von Más Madrid (Mehr Madrid), die vom ehemaligen Podemos-Mitbegründers Íñigo Errejón mitgegründet worden war, wurde zweitstärkste Kraft. Als Gastgeberin war Monica Oltra von der valencianischen Regionalpartei "Compromís" aber dabei, wie auch die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, deren Beliebtheit immer weiter sinkt.
Bei Podemos ist man entsetzt darüber, dass man bisher nicht eingebunden wurde. Díaz habe die Partei bisher auch nicht über Sumar unterrichtet, hat der Podemos-Sprecher Pablo Fernández am Montag mitgeteilt. Klar ist, dass ein Führungsstreit schon im Gange ist. In dem will sich Díaz durchsetzen, für sie ist die UP verbraucht. Sie will ihr Projekt zunächst ohne Podemos gedeihen lassen, um sich Beinfreiheit zu verschaffen.
Das will Podemos aber nicht hinnehmen. Die Podemos-Chefin und Sozialministerin Ione Belarra hat deshalb am Wochenende unmissverständlich erklärt: "Wir brauchen eine stärkere Podemos." Ihre Partei müsse "breiteste Kandidaturen anführen", die stets mit "Urwahlen" unterstützt werden. "Unsererseits wird es nicht an Engagement für die Einheit mangeln", erklärte Belarra. "Aber Podemos ist unerlässlich", mahnte sie.
Der "Zuhör-Prozess"
Erst nach den wichtigen Regionalwahlen in der bevölkerungsreichsten Region Andalusien am 19. Juni will sich Díaz auf ihre Reise durch das Land machen, um den Leuten zuzuhören. Sie hofft, dass sich dann "viele Menschen am Zuhör-Prozess beteiligen". Aus den Wahlen in Andalusien, die üblicherweise eine Vorentscheidung bringen, wer zukünftig Spanien regiert, hält sie sich diplomatisch heraus.
Denn die gespaltene Linke in Andalusien hat nicht viel zu gewinnen. Erst im letzten Augenblick kam noch ein Bündnis linker Formationen unter dem Namen "Por Andalucía" (Für Andalusien) zustande.
Podemos gehört zwar mit der Vereinten Linken (IU) von Díaz dazu, doch die Formation taucht – wie die Grüne Allianz – nicht auf den Wahlzetteln auf, da sie nicht fristgerecht eingeschrieben wurde. Ihre Kandidaten kandidieren als Unabhängige auf den Listen. Die "Antikapitalisten", die Podemos den Rücken gekehrt hatten, treten mit der bekannten Spitzenkandidatin Teresa Rodríguez als eigene Formation an.
Auch die Feministin wollte sich dem Sumar anschließen, aber die in Andalusien gut verankerte Formation wird weiterhin verschmäht. "Adelante Andalucía" (Vorwärts Andalusien), die der Region eine eigene Stimme gegen will, kam 2018 auf gut 18 Prozent und regiert zum Beispiel in Cádiz.
Sozialdemokratie 2.0 mit feministischem Anstrich
Es ist auffällig, dass beim Díaz-Projekt ausgerechnet klar definierte linke Positionen ausgegrenzt werden. Díaz vertritt eine Sozialdemokratie 2.0 mit feministischem Anstrich. Dass Ada Colau in Barcelona nur mit rechten Stimmen gegen den linken Wahlgewinner gewählt werden konnte, spricht genauso dafür wie die Tatsache, dass Díaz gegen Podemos für Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt.
Dazu kommt der Schmusekurs mit den Unternehmerverbänden, bei dem es nicht zur versprochenen Streichung der Arbeitsmarktreform der rechten Vorgänger kam, sondern zur Konsolidierung von 95 Prozent dieser "Reform", was von Unternehmen und Bankern beklatscht wurde.
Die Wahlen in Andalusien könnten den Zeitplan von Díaz zerschlagen und dazu führen, dass die angeschlagene Minderheitsregierung zerbricht, in der die linken Kräfte bisher nur wenig umsetzen konnten. Die Arbeitsmarktreform hat genauso zu Zerwürfnissen geführt wie der massive Spionageskandal über Pegasus oder der Schmusekurs zu Marokko und den Verkauf des Selbstbestimmungsrechts der Westsahara.
Die Unterstützer gehen längst immer stärker auf Distanz und Ministerpräsident Pedro Sánchez. Der müsste spätestens dann vorgezogene Neuwahlen ansetzen, wenn er seinen Haushalt nicht durch das Parlament bekommt. Damit würde er auch das Projekt von Díaz als Alternative zu ihm auf dem falschen Fuß erwischen.