Spanische "Städte des Wandels" blieben nach der Wahl auf der Strecke
Der Verlust der Hauptstadt Madrid ist besonders schmerzlich, die nun eine von Rechtsextremen gestützte Regierung hat, was zum Rauswurf der Ciudadanos aus der Liberalen-Fraktion in Straßburg führen dürfte
Die Zeitung Público kommt, nachdem am Wochenende in Spanien die Gemeinderäte gebildet wurden, zu einem ernüchternden Ergebnis für die Formationen, die es um die Linkspartei Podemos herum vor vier Jahren geschafft hatten, wichtige Städte wie die Hauptstadt Madrid einzunehmen. "Der Frühling des Wandels schlägt nur Wurzeln in Barcelona, Valencia und Cádiz", titelt das Podemos nahestehende Blatt mit. Dabei kann die katalanische Metropole nach Ansicht vieler Anhänger der Formation ebenfalls aus dieser Liste gestrichen werden.
Zwar wurde die Kandidatin der Bürgerkandidatur in Barcelona erneut im Amt bestätigt, doch Ada Colau konnte die Wahlen nicht wieder gewinnen. Sie hatte mit ihrem Vorgehen vielen Mitgliedern und Anhängern vor den Kopf gestoßen. Knapp 30% hatten in einer Befragung von Barcelona en Comú (Barcelona Gemeinsam) dagegen gestimmt, dass Colau erneut Bürgermeisterin wird, wenn sie dafür auf die Unterstützung der katalanischen Sozialdemokraten (PSC) angewiesen ist. Dass dafür sogar Stimmen aus der Rechten notwendig waren, wurde in der Frage an die Basis nicht einmal erwähnt. Begeisterungsstürme löste die Abstimmung ohnehin nicht aus. Nur 4000 von 10.000 Stimmberechtigten nahmen teil.
Ines Sabatés, Wählerin von Barcelona en Comú, ist jedenfalls "entsetzt" über Colau, die gegen das Wahlversprechen nun nicht nur mit der PSC paktiert, sondern sogar auf rechte Stimmen von der Liste des ehemaligen französischen Regierungschefs Manuel Valls zurückgreifen musste. Und hinter Valls steht (stand bis Montag noch) die rechts-neoliberale Partei Ciudadanos (Cs). Valls wollte mit allen Mitteln verhindern, dass der Wahlsieger regiert und mit der Republikanischen Linken (ERC) eine Unabhängigkeitspartei fortan Barcelona regiert. Nur damit konnte sich Colau gegen den Kandidaten der Republikanischen Linken (ERC) Ernest Maragall wählen lassen.
"Ich wurde betrogen", erklärt deshalb Sabatés. Sie war stets für ein Bündnis mit der ERC, die Colau in den letzten vier Jahren gestützt hatte. Zudem schloss Colau im Wahlkampf immer wieder definitiv aus, sich mit Stimmen der PSC und aus dem Valls-Lager gegen einen Wahlsieger aus dem Lager der Unabhängigkeitsbewegung wählen zu lassen. "Nein, Nein", erklärte sie eindeutig, und fügte an, dass Valls schließlich ein "gegenteiliges Modell" vertrete. Lügen haben aber kurze Beine, auch in Barcelona. Colau ließ sich am Samstag nicht nur mit den PSC-Stimmen wählen, sondern bekam auch die nötigen drei Stimmen der Valls-Liste. Mit dem Wahlsieger Maragall, der sie bisher gestützt hatte, verhandelte sie nicht einmal. Maragall hatte Colau sogar noch großzügig eine geteilte Amtszeit vorgeschlagen
Die Lage hat sich schnell geklärt und gegen Colau gedreht
Das Ende vom Flirt mit dem abgehalfterten französischen Ex-Regierungschef ist, dass Colau nun ziemlich dumm da steht. Denn die rechte Cs hat sich von ihm distanziert, weil er Colau auf den Sessel gehoben und er sich gegen die Kooperationen der Cs mit der rechtsextremen VOX in anderen Städten und Regionen ausspricht. Da sich am Montag auch Celestino Corbacho, ehemaliger sozialdemokratischer Minister, von Valls getrennt hat und ganz zur rechten Cs übergetreten ist, steht Valls mit nur einer Parlamentarierin allein da. Er kann Colau nun nicht einmal theoretisch eine Mehrheit verschaffen.
Nun hat auch er definitiv mit den Ciudadanos gebrochen, die "keine liberale Partei" mehr sei, da sie nun mit der "reaktionären, antieuropäistischen" VOX paktiert. Er kritisierte ein "gravierendes Abdriften" nach rechts, dabei ist seit 2009 klar, als die Cs mit Libertas für das Europaparlament kandidierten, wie sie einzuschätzen sind. Offen ließ Valls auf einer Pressekonferenz am Mittwoch, wie seine Zukunft aussehen wird. Eigentlich wollte er Bürgermeister werden, jetzt ist nur ein Stadtrat, der keinerlei Einfluss hat. Längst erwarten viele, dass er bald das Weite suchen wird. Nebulös erklärte er nur, an seiner "Verpflichtung gegenüber Barcelona" und Katalonien habe sich nichts geändert. Die sei durch die Vorkommnisse nur gestärkt worden.
Diverse Medien hatten schon im Vorfeld gemeldet, er werde keine eigene Partei gründen. Das hat er bestätigt. Sein Umfeld hatte auch erklärt, er werde nicht in die Sozialdemokratie wechseln. Das ließ er aber offen. Er hat offensichtlich keinerlei andere politischen Perspektiven mehr, weshalb es so aussieht, als würde er zunächst in Barcelona bleiben. Er hat mit den Cs auf das falsche Pferd gesetzt, die nie eine liberale Partei war. Und Colau steht, da sie auf Valls Stimmen setzte, im Regen, da sie Brücken zur ERC abgebrochen hat. So ist völlig unklar, wie sie nun regieren will.
Tausende hatten schon am Samstag vor dem Rathaus gegen ihr Vorgehen demonstriert. Die Wählerin Sabatés war zwar nicht darunter, sie glaubt aber, dass die Tatsache, dass Colau ihr Versprechen gebrochen hat und sich am "Fleischtopf festkrallt", der Formation erneut viele Wähler kosten wird. Ohnehin sind längst viele Wähler zur ERC gewechselt. Die hat die Wahl nicht nur in Barcelona gewonnen, sondern wurde auch bei den spanischen Parlamentswahlen im April stärkste Kraft in Katalonien.
Erratischer Podemos-Kurs
Barcelona en Comú laufen, wie Podemos auch, derweil die Wähler in Scharen davon. Statt wie 2015 auf gut 25% und 176.000 Stimmen zu kommen, erhielt Colau trotz der deutlich höheren Wahlbeteiligung Ende Mai 20.000 Stimmen weniger. Das zeigte die Ernüchterung. Vor allem im Bereich explodierender Mieten, Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit wurde viel mehr erwartet, denn Colau war einst Präsidentin der Vereinigung gegen Zwangsräumungen. Heute gibt es mehr Obdachlose als 2015 in Barcelona und die Zahl der Räumungen ist weiter hoch.
Dass der Podemos-Chef Pablo Iglesias Colaus Vorgehen auch noch beklatscht hat, dürfte auch der bei den letzten Wahlen abgestürzten Linkspartei weitere Zustimmung kosten. Denn es ist wiederum der rechten Cs-Partei zu verdanken, deren Mitglieder Colau unterstützten, dass die Linke andere Städte verloren hat. Dass das Aushängeschild Madrid verloren ging, ist dabei besonders schmerzlich. In der Hauptstadt paktieren die Cs mit der konservativen Volkspartei (PP) und jetzt auch offen mit rechtsextremen VOX. Deshalb kann die PP nun auch dort den Bürgermeister stellen, wofür VOX in die Regierung eingebunden wird.
Beigetragen hat zur Abwahl der relativ erfolgreichen Linksregierung in der Hauptstadt allerdings auch der erratische Podemos-Kurs unter Iglesias. Statt erneut gemeinsam mit der Ex-Bürgermeisterin Manuela Carmena anzutreten, wurde eine eigene Liste mit der Vereinten Linken (IU) aufgestellt. Die 43.000 Stimmen (2,6%) für die Koalition fielen allerdings unter den Tisch. Sie fehlten "Más Madrid (Mehr Madrid), die trotz allem die Wahlen mit 31% klar gewonnen hat. Carmena hinterlässt den Rechten und Ultrarechten nun einen sanierten Haushalt. Sie hat ohne Einschnitte ins Sozialsystem die Schulden um fast 3,2 Milliarden um 54% gesenkt.
Fahren Podemos und die Kandidaturen, die ihr nahe stehen auf diesem Kurs weiter, wird bald vom "Frühling des Wandels" gar nichts mehr übrig sein. Auf nationaler Ebene musste Podemos ohnehin längst den Anspruch aufgeben, Spanien regieren zu wollen. Völlig geschwächt versucht sie sich als Mehrheitsbeschaffer dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez anzudienen. Iglesias bettelt fast täglich, ihn und andere auf einen Ministerposten einer "Kooperationsregierung" zu setzen. Doch die hätte ohne Stimmen aus Katalonien weiter keine Mehrheit. Geheim trafen sich beide gestern erneut zu Verhandlungen. Die letzten Vorgänge gegen die Katalanen, wo mit viel Trickserei verfassungswidrig verhindert wird, dass drei Parlamentarier ihre Mandate im Europaparlament ausüben können, sind auch nicht geeignet, Sánchez eine Mehrheit zu beschaffen.
Bündnisse von PP und Cs mit VOX
Dass es über Madrid hinaus Bündnisse von PP und Cs mit den VOX-Ultras auch in anderen Städten gibt, wo linke Bürgerkandidaturen die Macht wie in Saragossa oder Granada an die Rechten abgeben mussten, könnte allerdings nun schwere Folgen für die Cs haben. Der französische Staatschef Macron drohte schon vor dem Wochenende mit einem Abbruch der Kooperation mit der Partei, die in Deutschland gerne als "Liberal" bezeichnet wird.
Macron war schon die halb versteckte Kooperation der Cs mit VOX in Andalusien ein Dorn im Auge. Seine Staatssekretärin Amélie de Montchalin fordert nun Erklärungen von den Cs-Europaparlamentariern. Es könne in Bezug auf die "Zusammenarbeit mit der extremen Rechten keine Kompromisse geben", erklärte sie im Radiointerview. Es gäbe viele Leute, die die Partei nun "sehr weit entfernt" von einer Ähnlichkeit mit "En Marche" von Macron sehen.
Den Cs droht nun der Rauswurf aus der Fraktion der Liberalen im Europaparlament. Dort hätten sie ohnehin nie sein dürfen. Wie der VOX-Chef kommt auch der Cs-Chef Rivera aus dem Lager der spanischen Postfaschisten und auch Cs hatten in ihrem Feldzug gegen Katalonien stets gemeinsame Sache mit Rechtsextremen und Faschisten gemacht, wie der Experte Jordi Borrás im Telepolis-Interview deutlich gemacht hatte.