Taurus wäre kein Game-Changer

Eurofighter mit Taurus. Illustartion: Mike Mareen/ Shutterstock.com

Die Lieferung der Marschflugkörper an Kiew ist in Deutschland umstritten. Militärisch würde sie wenig ändern. Das zeigt der bisherige ATACMS-Einsatz gegen Russland.

Im deutschen Bundestagswahlkampf ist die Diskussion um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ein heißes Thema. Die SPD ist dagegen, CDU, FDP und Grüne weitgehend dafür, BSW oder AfD stellen die Unterstützung der Ukraine generell in Frage. Bei der Heftigkeit des politischen Schlagabtauschs gewinnt der unbedarfte Beobachter manchmal den Eindruck, Sieg oder Niederlage der von Russland angegriffenen Ukrainer hänge von der Lieferung dieser deutschen Marschflugkörper ab.

Taurus unterscheidet sich von anderen an die Ukraine gelieferten deutschen Waffen wie der Panzerhaubitze 2000 oder dem System Mars 2 vor allem durch eine deutlich höhere Reichweite von bis zu 500 Kilometern, mit der auch Ziele tief im russischen Hinterland von ukrainischem Boden aus angegriffen werden könnten. Politisch umstritten ist das Eskalationspotenzial solcher Angriffe und inwieweit die Ukraine einen tatsächlichen militärischen Vorteil aus der Lieferung ziehen würde.

ATACMS greift seit einem Monat russische Ziele an

Um dies herauszufinden, ist ein Vergleich mit einer Entscheidung hilfreich, die vor genau einem Monat getroffen wurde und ebenfalls den aktiven Einsatz vergleichbarer Waffensysteme zur Folge hatte. Am 17.11. berichteten US-Medien über die Entscheidung des noch amtierenden US-Präsidenten Joe Biden, ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von bis zu 300 km auch gegen Ziele in Russland einzusetzen.

Eine offizielle Bestätigung aus dem Weißen Haus folgte am 25.11. Auch die britischen und französischen Systeme Storm Shadow und Scalp mit einer Reichweite von bis zu 250 km werden von der Ukraine gegen Russland eingesetzt.

Nach der Freigabe kam es zwischen dem 19. und 25. November zu vier bekannten Angriffen mit ATACMS und Scalp auf die russischen Gebiete Kursk und Brjansk, die auch vom Verteidigungsministerium in Moskau bestätigt wurden.

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Ganz untypisch wurden bei diesen Angriffen die von Russland erlittenen Verluste veröffentlicht, die sonst eher ein Staatsgeheimnis sind. Zwei Angriffe erwiesen sich als Fehlschläge ohne nennenswerte Schäden. Bei den anderen starben 23 russische Soldaten und drei Militärtechniker. Ein Flugabwehrsystem S-400 wurde schwer beschädigt und ein hochrangiger nordkoreanischer Militärangehöriger verletzt.

Für mehr Schlagzeilen sorgte die russische Reaktion auf diese Angriffsserie. Putin änderte - nicht zum ersten Mal - die Nukleardoktrin und senkte damit die formale Schwelle für den Einsatz von Nuklearraketen. Kurz darauf, am 21. November, ließ er erstmals eine Mittelstreckenrakete vom Typ Oreshnik mit konventionellem Sprengkopf auf die ukrainische Stadt Dnipro abfeuern.

Bis zu sechs Raketen auf ein Ziel

Bei Angriffen auf das russische Hinterland reicht es nicht aus, eine einzelne Rakete abzufeuern, um ein Ziel zu zerstören. Das traditionsreiche britische Wochenmagazin The Spectator schreibt, dass sich Russland gegen die ATACMS-Angriffe durchaus verteidigen könne. Dazu müssten die Ukrainer "eine beträchtliche Anzahl von Raketen pro Ziel einsetzen", um einen Treffer zu garantieren. Das hat die ukrainischen Vorräte erschöpft".

Die Einschätzung der Briten erscheint angesichts des gut dokumentierten ukrainischen Angriffs, der auf die erste Serie folgte, schlüssig. Zum einen verschaffte dieser den Kiewer Truppen zwei Wochen Zeit bis zum 11. Dezember 2024. Zum anderen erfolgte an diesem Tag ein ATACMS-Angriff mit russisch bestätigten sechs Raketen auf einmal auf einen Militärflugplatz im russischen Gebiet Rostow.

Lage im Operationsgebiet nicht entspannt

Drei der fünf Angriffe von ATACMS und Storm Shadow im vergangenen Monat fanden in der Region Kursk statt, wo auch am Boden heftig gekämpft wird. Dies half den ukrainischen Truppen jedoch nicht wesentlich, ihre Position dort zu festigen. Am 02. Dezember schrieb die ukrainische Zeitung Kyiyv Independent unmittelbar nach den Angriffen, dass die in die Region Kursk eingedrungenen ukrainischen Soldaten ihre Lage "zunehmend pessimistisch" sähen.

Eine Streitmacht von 60.000 russischen Soldaten versucht weiterhin, die eingedrungenen Ukrainer in einem Gegenangriff zurückzudrängen. Diese Gegenoffensive dauert bis heute an.

Durch den massiven Einsatz moderner Marschflugkörper westlicher Bauart gelingt es zwar immer wieder, eine russische Militäreinrichtung zu zerstören. Eine Veränderung der Lage an der Front, auch in der betroffenen Region, ist jedoch nicht zu erwarten. Der Verbrauch an Marschflugkörpern ist aufgrund der Verteidigungsfähigkeit Russlands sehr hoch.

Der US-Nachrichtensender CNN ist angesichts der Entscheidung des eigenen Landes, Marschflugkörper für russische Einsätze freizugeben, realistisch: In Wirklichkeit wird die Ukraine nicht genug ATACMS bekommen, um den Verlauf des Krieges zu ändern". CNN sieht den Hintergrund von Bidens Entscheidung weniger im militärischen Nutzen. Vielmehr wolle er eine Antwort auf den Einsatz nordkoreanischer Soldaten im Ukraine-Krieg geben, der wiederum eine Eskalation von russischer Seite gewesen sei.

Teurer Einsatz mit zweifelhaftem Gesamteffekt

Was für die Systeme ATACMS oder Storm Shadow gilt, gilt auch für den Einsatz von Taurus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass beim Taurus-System ein einzelner Marschflugkörper einen Anschaffungspreis von knapp einer Million Euro hat. Um einen sichtbaren militärischen Effekt zu erzielen, müsste Deutschland eine große und entsprechend teure Anzahl dieser Marschflugkörper liefern - der Einfluss auf den Kriegsverlauf insgesamt wäre dennoch ungewiss.

Zudem ist zu bedenken, dass Russland nach Aktivierung solcher Waffensysteme lohnende Ziele wie Kampfflugzeuge nach Möglichkeit außer Reichweite bringt, was angesichts des riesigen russischen Territoriums auch beim Taurus-System kein geografisches Problem wäre. Der künftige US-Präsident Trump hat bereits angekündigt, die Genehmigung für ATACMS-Einsätze gegen Russland aufzuheben. Ob damit das politische Gezerre in Berlin um Taurus beendet ist, bleibt abzuwarten.