Elon Musks 56-Minuten-Paradox: So extrem ist die Vermögensungleichheit

100-US-Dollar-Banknoten und ein Smartphone mit Elon Musk Bild

Bild: shutterstock.com

400.000 Euro Stundenlohn bei Lidl? Die globale Ungleichheit hat ein beispielloses Ausmaß erreicht. Auch in Deutschland. Experten warnen.

Als Einstieg einmal ein paar Fragen für die geneigte Leserschaft:

Die Antwort: 56 Minuten.

  • Wie lange müsste ein durchschnittlicher Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten, um auf das geschätzte Vermögen von 43,7 Milliarden Euro zu kommen, das Dieter Schwarz, der aktuell reichste Deutsche, sein Eigen nennt?

Die Antwort: 149.863 Jahre (wobei sie oder er allerdings keinen einzigen Euro für Nahrung oder Unterkunft ausgeben und auch nicht "zu früh" sterben darf).

  • Wie hoch müsste der Stundenlohn eines Menschen sein, damit er mit 50 Wochenstunden, die fleißig vom 20. bis zum 65. Lebensjahr Woche für Woche abgearbeitet werden, auf das genannte Vermögen von Dieter Schwarz zu kommen?

Die Antwort, die die Journalistin Julia Friedrichs gibt: "mehr als 400.000 Euro die Stunde, 45 Jahre lang, ohne Urlaub. Das kann man nicht mit größerer Anstrengung, mit mehr Leistung begründen".

Keine Auswirkungen?

Don Watkins und Yaron Brook, die beide am Ayn Rand Institute arbeiten, leiten ihr Buch "Equal is Unfair" mit folgender Behauptung ein:

Selbst Menschen, die im ländlichen Michigan leben und Mühe haben, ihre Hypothekenzahlungen zu leisten, ist es offenbar egal, dass Hunderte von Meilen entfernt in New York eine Handvoll Hedgefondsmanager in Privatjets fliegen und im Nobu dinieren. Was uns sehr wohl am Herzen liegt, ist die Möglichkeit, uns ein besseres Leben zu schaffen – und wir freuen uns eher darüber, dass dies einigen Menschen zu einem Erfolg verhilft, der ihre kühnsten Träume übersteigt, als dass wir darüber den Schlaf verlieren.

Ganz in diesem Sinne hatte auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair die felsenfeste Überzeugung geäußert:

Wenn man sich auf die wohlhabendsten Menschen in der Gesellschaft konzentriert, hilft man im Endeffekt nicht einmal den Menschen am unteren Ende der Gesellschaft.

Aber ist extremer Reichtum wirklich eine Nebensache, die keine Auswirkungen hat auf das Leben anderer Menschen, außer dass einige weniger Erfolgreiche immer wieder neidisch auf die Platinkarten hart arbeitender Menschen starren?

Große Effekte mit zwei Prozent

Ein paar Beispiele können vielleicht vom Gegenteil überzeugen: Wie Tom Malleson in seinem aktuellen Buch "Against Inequality" berechnet, würde die Umverteilung von nur zwei Prozent des Vermögens der weltweiten Milliardäre die extreme Armut in der Welt vollständig beseitigen.

Allein die Vermögen von Jeff Bezos und Bill Gates mit zwei Prozent zu besteuern, würde ausreichen, um die Obdachlosigkeit in den USA ganz zu beenden.

Ein weiteres Beispiel: Die Summe von 28 Millionen US-Dollar, die ein Bieter auf den Tisch blätterte, um im ersten Weltraumflug von Jeff Bezos Unternehmen Blue Origin an Bord zu sein, hätte geschätzte 6.200 Menschenleben retten können.

Und der Journalist Rupert Neate rechnete aus, dass das Geld ausreicht, das die Instandhaltung von 6.000 Superjachten in einem einzigen Jahr verschlingt, um auf einen Schlag die Schulden aller Entwicklungsländer zu tilgen.

Extremer Reichtum hätte durchaus das Potenzial, um Auswirkungen auf das Leben der breiten Mehrheit der Bevölkerung zu haben. Wenn er denn wollte. Aber hat er auch negative Auswirkungen?

Gefährliche Nebenwirkungen

Armut und Ungleichheit haben zahlreiche mehr als bedenkliche Konsequenzen. Für die betroffenen Menschen, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Da dies wiederholt auf Telepolis thematisiert worden ist, hier nur eine kurze Zusammenfassung über dieses so fundamentale Thema.

• Armut hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit und führt zu einer deutlich geringeren Lebenserwartung. Daten aus Großbritannien zeigen beispielsweise, dass reiche Menschen im Schnitt neun Jahre länger leben als arme. In Glasgow beträgt der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen armen und reichen Männern sogar 27 Jahre.

• Ungleichheit macht krank.

• Ungleichheit ist die Mutter aller Probleme. Vom Maß der Ungleichheit hängen das Ausmaß einer ganzen Reihe von Aspekten ab: die Gleichberechtigung von Frauen, die Mathematik- und Lesefähigkeiten der Schulkinder, Mobbing, die Scheidungsrate sowie die Anzahl von Teenager-Schwangerschaften, Akte von Aggression, von Kindesmisshandlungen, Mord und Amokläufen, Anzahl der Gefängnisinsassen. Drogenkonsum, Alkoholmissbrauch, Spiel- und Kaufsucht. Fehlende Solidarität, Misstrauen, fehlende Verträglichkeit und Hilfsbereitschaft. Und last but not least: die soziale Mobilität.

• Extremer Reichtum schadet dem Klima.

• Ungleichheit ist problematisch für die Demokratie.

• Extremer Reichtum schadet der Demokratie.

• Die Armutsquote hat einen direkten Zusammenhang mit dem Stimmanteil rechtsextremer Parteien.

Unbekanntes Ausmaß des Reichtums

Nimmt man einmal gebührend und ohne ideologischen Scheuklappen die desaströsen Nebenwirkungen von massiver Ungleichheit zur Kenntnis, führt kein Weg an dem Hinweis auf die Tatsache vorbei, dass Deutschland in Europa die höchste Vermögensungleichheit hat.

Das ist besonders frappierend, weil aller Wahrscheinlichkeit das Vermögen der deutschen Milliardäre und sogenannten Superreichen deutlich höher ist, als gemeinhin angenommen.

Hintergrund ist zum einen die ausgesetzte Vermögenssteuer, die dem Staat keine Übersicht über das Vermögen der deutschen Bürger erlaubt, zum anderen, dass die nicht alle deutschen Milliardäre und sogenannten Superreichen in der Reichstenliste des Manager Magazin geführt werden.

Während das Manager Magazin das Gesamtvermögen deutscher Milliardäre und Superreichen auf 900 Milliarden Euro schätzt, kommt eine kürzlich veröffentlichte Studie der Hans-Böckler-Stiftung auf ein deutlich höheres Ergebnis: 1.400 Milliarden Euro. Nichts Genaues weiß man nicht.

Lösungssuche

Trotz all dieser inzwischen bekannten Tatsachen spielt die soziale Frage im Wahlkampf keine oder nur eine untergeordnete Rolle und es lohnt sich auch die Wahl in den USA und die Landtagswahlen in Deutschland in dieser Hinsicht wahrzunehmen. Zunehmende Ungleichheit führt zu mehr Stimmen für Rechtsradikale.

Armut und starke Ungleichheit sind gravierende Probleme. Für die betroffenen Menschen, aber auch für die Gesellschaft insgesamt und das Zusammenleben. Wer also Armut und starke Ungleichheit als ein grundlegendes Problem anerkennt, muss seinen Fokus auf mögliche und konstruktive Lösungen richten.

Die in Deutschland im Jahr 1997 ausgesetzte Vermögenssteuer wäre eine naheliegende Möglichkeit, um den Sparzwang durch ein zu geringes Steueraufkommen aufzufangen und damit das soziale Sicherungsnetz zu festigen.

Moderate Steuersätze auf die reichsten 0,5 Prozent der weltweiten Bevölkerung könnten – so das Ergebnis einer Studie – über zwei Billionen US-Dollar einbringen. Dabei übersieht man leicht, dass es durchaus mehr Unterstützung von den extrem Reichen für derartige Steuern gibt.

Ethische Bedenken

Generell herrscht aller Wahrscheinlichkeit nach ein breites Einverständnis, wonach zu extreme Ungleichheit ethisch nicht zu vertreten ist. Die Frage, die hieraus also zwingend in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte gestellt werden müsste: Was ist die Grenze, bei der eine Ungleichheit zu extrem ist, die eine Gesellschaft nicht akzeptiert?

Ähnlich breit dürfte der Konsens auch sein, dass es einen Mindestlohn geben muss. Selbstverständlich liegt auch hier der Teufel im Detail und die Diskussion um die Höhe eben dieses Mindestlohns gestaltet sich naturgemäß sehr kontrovers (so dass der eigentliche Konsens aber leicht ignoriert wird, nämlich dass es eine Untergrenze geben muss).

Erstaunlicherweise taucht aber so gut wie nirgends eine Frage auf, die gerade angesichts der jährlich massiv zunehmenden Vermögen der Milliardäre und sogenannten Superreichen (Vermögen über 100 Millionen Euro) aktueller denn je ist: Sollte es eine Obergrenze für Vermögen und Einkommen geben?

Der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs beendete seine Rede im Jahr 2021 vor der UN in diesem Sinne und deutet den ethischen Imperativ einer Obergrenze für das Vermögen an:

Die reichen Menschen horten zunehmend alles. Wenn die Milliardäre in den Weltraum fliegen wollen, könnten sie zumindest ihr Geld auf der Erde lassen, um die kritischen Probleme auf der Erde zu lösen.

Derzeit gibt es schätzungsweise 2.775 Milliardäre mit einem Gesamtvermögen von rund 13,1 Billionen US-Dollar.

Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass man nicht mehr als eine Milliarde US-Dollar braucht, um komfortabel zu leben. Selbst wenn jeder Milliardär eine Milliarde Dollar behalten würde, blieben rund zehn Billionen Dollar übrig, um Hunger, Armut und Umweltzerstörung zu bekämpfen.

Wir sollten das riesige und schnell wachsende Vermögen der Milliardäre besteuern, um eine zivilisierte Welt zu finanzieren.

Eine alte Idee neu belebt

In einer politischen Debatte, in der sich die Idee eines Mindesteinkommens erst vor relativ kurzer Zeit durchgesetzt hat, mag diese Vorstellung überraschend sein. Tatsächlich ist es aber eine sehr alte Idee.

Vor mehr als 2000 Jahren dachte der griechische Philosoph Platon über ein Phänomen nach, das er als "Überreichtum" bezeichnete. Er war der Überzeugung, in einem idealen Staat solle es sowohl einen Mindest-Landbesitz für arme Menschen geben als auch eine Obergrenze des Eigentums.

Sein Vorschlag: Die reichsten Menschen dürften über viermal mehr Besitz verfügen als die ärmsten. Aristoteles war wenige Jahre später etwas großzügiger und gestand den Reichsten zu, fünfmal mehr Vermögen als die Ärmsten zu besitzen. Die Idee einer engen Obergrenze und damit einer recht geringen Ungleichheit (wenn man von den griechischen Sklaven absieht), war aber für beide Denker eine selbstverständliche moralische Notwendigkeit.

Diese Idee wird heute als Limitarismus bezeichnet, die im zweiten Teil näher dargestellt werden soll.

Literatur:

Friedrichs, Julia: Crazy Rich: Die geheime Welt der Superreichen.

Malleson, Tom: Against Inequality The Practical and Ethical Case for Abolishing the Superrich.

Robeyns, Ingrid: Limitarismus. Warum Reichtum begrenzt werden muss.

Watkins, Don, Brook, Yaron: Equal is Unfair: America's Misguided Fight Against Income Inequality

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