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Pakistan: Imran Khan in der Zwickmühle

"Der einfache Pakistaner hält noch zu Imran Khan." Foto: Gilbert Kolonko

Das Land steht in vielen Bereichen kurz vor dem Zusammenbruch, für Erneuerung fehlt das Geld. Zu dieser Hinterlassenschaft seiner Vorgänger zieht der neue Premierminister nun auch noch den Zorn der Islamisten auf sich

Der seit Mitte August amtierende pakistanische Premierminister Imran Khan hat letzte Woche einen Wirtschaftsberater entlassen, den er selbst ernannt hatte, weil die Islamisten im Land keinen Berater der Regierung dulden, der der islamischen Minderheit der Ahmadiyya angehört [1]. In den sozialen Medien brach darauf ein Sturm der Entrüstung los, der auf der Straße kaum interessiert - denn die Islamisierung im Land ist zu weit vorangeschritten.

Sie wurde 1977 durch General Zia ul-Huck eingeleitet - unterstützt durch die USA und Saudi-Arabien. Weder der angeblich als liberal geltende General Musharaf noch Khans Vorgänger-Regierungen der Bhuttos und Sharif haben versucht, den gerichtlichen Ausschluss der Ahmadiyya aus der muslimischen Gemeinschaft Pakistans rückgängig zu machen.

Die geballte Frustration der Liberalen

Nun schlägt Imran Khan plötzlich die geballte Frustration der Liberalen im Land entgegen, weil er unter den zahlreichen Problemen nicht das glühend heiße Eisen Ahmadiyya anfasst: Für die Ahmadiyya ist Mohamed nicht der letzte Prophet, womit sie gegen eine der Fünf Säulen des Islams verstoßen.

Die Liberalen des Landes wissen selbst, warum sie nicht auf der Straße gegen die Islamisten demonstrieren: aus berechtigter Angst ermordet zu werden.

Unter Zia ul-Haq wurden unabhängige Gewerkschaften und fast jeder, der sich aktiv gegen die Islamisten engagierte, ausgemerzt und die USA hielten Zia den Rücken frei. Genauso weiß jeder Gebildete im Land, dass die pakistanische Armee die Islamisten für ihre Zwecke in Afghanistan und im von Indien kontrollierten Teil von Kaschmir benutzt.

Der echte Adresse in Sachen Islamisten ...

Der "Ansprechpartner" in Sachen Islamisten wäre also die pakistanische Armee und nicht der Premierminister, denn der wäre ohne die Duldung der Armee nicht mehr lange im Amt, wie das Beispiel Nawaz Sharif gezeigt hat (siehe: Pakistan - Pyrrhussieg der Demokratie [2]).

Zudem wird Imran Khan immer klarer, was er da von seinem Vorgänger Nawaz Sharif übernommen hat: Einen hochverschuldeten Laden, dessen morsches Inventar kurz vor dem Zusammenbrechen steht, während sich die Kundschaft im übervollen Laden vor leeren Regalen drängelt.

Die Ärmsten betteln die Armen an. Foto: Gilbert Kolonko

12 Milliarden Dollar braucht die Atommacht aktuell, damit das Überleben gesichert ist. Die Vorgänger Regierung hat auch die letzten Reserven des Landes verscherbelt und die Armee verschluckt jedes Jahr knapp 30 Prozent des Staatshaushaltes - darin sind nicht einmal die Kosten für das Atomprogramm enthalten.

Kaputte Wirtschaft und andere Katastrophen

Das Land leidet nicht nur unter akuter Geldnot, sondern auch unter einer kaputten Wirtschaft, einem katastrophalen staatlichen Gesundheits- und Bildungssystem, einem staatsgefährdenden Wassermangel [3] und ökologischer Zerstörung riesigen Ausmaßes. Zu allen ererbten Problemen soll Khan auch noch den Zorn der Islamisten auf sich ziehen.

Die hatten Ende letzten Jahres ihren Einfluss gezeigt, als sie mit 1.000 Anhängern wochenlang die Hauptstadt Islamabad lahm legten, weil sich die Armee geweigert hatte, die Blockade der Islamisten aufzulösen (vgl. Zeitbombe Pakistan - ein Land im Dauerchaos [4]).

Bekämpfung von Fluchtursachen?

Imran Khan hat in seiner Region Khyber Pakhtunkhwa mit der Pflanzung von Millionen von Bäumen, der Verbesserung des staatlichen Schulsystems und einer Krankenversicherung für die Ärmsten gezeigt, dass er etwas Praktisches gegen den sozialen und ökologischen Zerfall des Landes tun möchte.

So wäre nun die Möglichkeit für den Westen gegeben, Imran Khan gezielt mit Geldmitteln zu unterstützen, damit er für spürbare soziale und ökologische Verbesserungen sorgen kann.

Reden die Verantwortlichen des Westens nicht andauernd davon, etwas gegen die Fluchtursachen zu tun? Die Gründe für das Bevölkerungswachstum (1947: 30 Millionen - 2018: 210 Millionen) in Pakistan sind Armut und mangelnde Bildung. Die Flüchtlinge, die in den nächsten Jahren allein durch Umweltzerstörungen auch aus Pakistan dazu kommen, könnten alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.

Investitionen in Bildung

Die Liberalen in Pakistan könnten versuchen, den Chinesen zu erklären, warum sie auch in Bildung und nicht nur in die Wirtschaft Pakistans investieren sollten: Wenn die Ärmsten ihre Kinder weiter in kostenlose Religionsschulen schicken, wird die Islamisierung weiter voranschreiten und auch in Pakistan bekommt man mit, wie China daheim mit seinen Muslimen umgeht.

Eine Vorzeige-Schule im ländlichen Pakistan. Bild: Gilbert Kolonko

Wie die Religion benutzt wird

Stattdessen verpassen die Liberalen Khan den Namen "Taliban-Khan" und nehmen in Kauf, dass Saudi Arabien durch "Spenden" weiter Einfluss in Pakistan gewinnt. Dass Imran Khan erklärt hat, dass er einen Wohlfahrtstaat aufbauen möchte, wird belächelt, das Wort islamisch vor dem Wohlfahrtstaat dämonisiert. Dabei ist Pakistan ein islamisch geprägtes Land.

Seit Jahrzehnten wurde die Religion benutzt, damit das Volk sich weder gegen die korrupte Elite erhebt, noch das Treiben ihrer Armee hinterfragt. Auch den Pakistanern wurde bis 2001 erzählt, dass die Mudschaheddin in Afghanistan Helden sind. Dann kommen die USA und sagen, dass das alles Schnee von gestern ist: Jetzt sind die Taliban, zu deren Entstehung die USA beigetragen haben, die Bösen.

Dabei haben die Taliban in Afghanistan auch nach 2001 radikale Hetzlektüre benutzt, die in den 1980er Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika gedruckt wurde: damals mit dem Ziel zum Dschihad gegen die Sowjetarmee in Afghanistan aufzurufen [5].

Imran Khan kann es sich nicht leisten, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. Oberste Priorität hat das aktuelle Überleben. Allein die akute Wasserkrise ist schon staatsgefährdend. Dann muss endlich enorm in ein staatliches Bildungs- und Gesundheitssystem investiert werden, damit die Menschen sehen, dass der Staat ihnen hilft.

Nur mit kostenloser staatlicher Bildung kann ein Klima geschaffen werden, indem auch ein Ahmidiyya Teil der Regierung sein kann.

Imran Khan und die USA

Selbst in einem Sozialstaat wie in Deutschland ist offensichtlich etwas passiert, wenn es 40 Prozent der Bevölkerung finanziell schlechter geht als vor 20 Jahren und wenn diese 40 Prozent auch noch die Sparmaßnahmen des Staates am meisten zu spüren bekommen. In Pakistan ist es der überwiegende Teil der Bevölkerung, der sich mit einfachen Jobs über Wasser halten muss und der täglich höhere Preise für Wasser, Strom, Gas, Nahrungsmittel und Medikamente zahlt.

Menschen. die zusammen gepfercht auf engsten Raum leben müssen, während sich die Elite und Intellektuellen des Landes in den Kaffeehäusern der Nobelviertel Islamabads vergnügen. Wie eine Dame aus der oberen Mittelklasse in Islamabad sagte: "Wenn ich die Nachrichten aus Pakistan sehe, glaube ich, die sind aus einem anderen Land."

Selbst die Mittelklasse des Landes sucht Zuflucht in sogenannten Smart Citys mit eigener Stromversorgung und eigenen Brunnen, wodurch das Wasser für die Masse der Bevölkerung noch mehr zur Mangelware wird [6].

Imran Khan ist kein Engel - die meisten seiner Ideale musste er schon über Bord werfen, um Premierminister zu werden. Aber er ist ein Premierminister in Pakistan, der weder sich und seine Familie bereichern möchte noch die Armee - und damit allein schon mal eine Ausnahme.

Dass die Regierung der USA aktuell 300 Millionen Dollar Militärhilfe einfrieren, ist nicht dem mangelnden Einsatz Pakistans im "Kampf gegen den Terror" geschuldet: Schon seit Mitte 2003 ist bekannt, dass die pakistanische Armee und die Geheimdienste die afghanischen Taliban in Pakistan versteckt und aufgepäppelt haben. Gestört hat es die US-Regierung nie wirklich, denn ihnen war die Jagd auf al-Qaida wichtig.

Nebenbei hatten die USA in den pakistanischen Grenzgebieten zu Afghanistan jahrzehntelang ein erstklassiges Testgebiet für ihre Drohnen. Der Hauptgrund für das Einfrieren der Hilfe ist, dass die US-Regierung Pakistan dafür bestrafen möchte, dass es sich China zugewandt hat.

Dabei haben die Vereinigten Staaten scheinbar nicht erkannt, dass es nicht darum geht, ob sie oder Peking die Richtung in Pakistan bestimmen, sondern nur, ob sie neben China auch ein Stück in Pakistan mitreden können.

China und Pakistan

Mit Krediten im Wert von 60 Milliarden US-Dollar hat Peking Pakistan fest in der Schuldenfalle: Pakistan muss Kredite aufnehmen, um die Zinsen für die alten Kredite zu bezahlen, denn auch die des IWFs sind noch lange nicht abgezahlt. Doch anstatt der akut benötigten 12 Milliarden, hat Peking nur zwei Milliarden nachgelegt, denn der chinesischen Regierung wird klar, dass Pakistan ein Fass ohne Boden ist.

Ein einziger großer Anschlag auf ein paar der tausenden chinesischen Arbeiter in Pakistan, die an der Neuen Seidenstraße arbeiten, würden Pekings Ziele in Pakistan weiter gefährden - egal wer für den Anschlag verantwortlich sein wird (vgl. Tote Chinesen in Pakistan [7]).

Ein Blick auf die Neue Seidenstrasse im Norden Pakistans. Pekings Projekt ist kein Selbstläufer. Foto: Gilbert Kolonko

Doch ohne ein stabiles Pakistan wird die Neue Seidenstraße in dieser Region am Kunjerab Pass enden. Ohne ein stabiles Pakistan wird Peking kein vernünftiges Verhältnis zu Indien bekommen, dessen "1,3 Milliarden Markt" die Chinesen für die Wachstumsfalle benötigen, in die auch sie getreten sind.

Ohne Pakistan wird es auch keinen Frieden in Afghanistan geben. Auch die Militärführung der Vereinigten Staaten spricht davon, dass ein Frieden in Afghanistan nur möglich ist, wenn mit den Taliban verhandelt wird. Damit geben die Vereinigten Staaten zu, dass die pakistanische Armee ihr für alle Interessierten durchschaubares Spiel um Afghanistan gewonnen hat.

Die Taliban: Überlebenshelfer Pakistan

Die afghanischen Taliban sind zwar keine homogene Einheit, aber überlebt haben sie nur mit der Unterstützung pakistanischer Kräfte, welche die Taliban als Faustpfand für ihren Einfluss in Afghanistan am Leben gehalten haben.

Mit der Unterstützung der Warlords in Afghanistan, die für die USA am Boden die Drecksarbeit gegen die Taliban ausführten, haben die USA dafür gesorgt, dass viele Menschen in Afghanistan die Taliban für das geringere Übel halten.

Eine Lösung sind sie nicht. Und zwischen all dem steht Imran Khan, der aktuell 250 Millionen US Dollar aus dem Topf für Entwicklungsprojekte nehmen muss, um sie für den Kampf gegen die akute Wasserkrise und die Schuldentilgung zu verwenden: Im Jahr 2017 wurden 401 Menschen in Pakistan Opfer von Terroranschlägen. Allein 200.000 Kleinkinder sterben jedes Jahr in Pakistan an den Folgen von verdrecktem Trinkwasser.

Wer immer noch nicht verstanden hat, wohin der Weg führt, wenn man dem "Flaggschiff des Werte-Westens" und seinen Ratschlägen folgt, wie dem zu mehr militärischer Aufrüstung, dem sei das Fazit einer internen Zukunfts-Studie der Bundeswehr nahegelegt.

Schon vor zehn Jahren wurde darin vorausgesagt, dass die Vereinigten Staaten in 25 Jahren zwar immer noch militärisch eine Weltmacht sein werden, aber die amerikanische Bevölkerung mit der Infrastruktur eines Entwicklungslandes leben wird.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4164867

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.dawn.com/news/1431495/under-pressure-govt-backtracks-on-atif-mian-appointment-removes-economist-from-advisory-council
[2] https://www.heise.de/tp/features/Pakistan-Pyrrhussieg-der-Demokratie-4104461.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Pakistans-Wasserkrise-wird-immer-bedrohlicher-4059224.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Zeitbombe-Pakistan-ein-Land-im-Dauerchaos-3906455.html
[5] https://linkezeitung.de/2017/03/23/amerikas-liebesaffaere-mit-salafistischen-dschihadisten/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Pakistan-Bauloewe-prahlt-mit-der-Hoehe-seiner-Bestechungsgelder-3303738.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Tote-Chinesen-in-Pakistan-3963684.html