Pakistan: Baulöwe prahlt mit der Höhe seiner Bestechungsgelder
Die eigentlichen Übel des Landes liegen abseits der medienwirksamen Schlagzeilen über Taliban, Bomben und Jihadisten
Im Innern des bröckelnden Kolonialgebäudes in der Nähe des Empressmarktes in Karatschi grinst mich der Teekoch herzlich an. Mein Daumen steht immer noch oben, als Lob für sein Gebräu. Seine Freude ist ehrlich, genauso wie die Langweile der beiden jungen Kellner. Auch der plötzliche Wutausbruch des Chefs kurz darauf in Richtung seiner schlecht bezahlten Angestellten. Genauso seine anschließende Resignation, da er weiß, dass er seine beiden Cousins eh nicht entlassen darf.
Mir gegenüber sitzt ein Finanzberater, der tagsüber in einem der hohen Glaskästen der Megametropole arbeitet, aber immer noch um die Ecke in seinem Geburtshaus lebt. Seine Familie drängt ihn schon seit Jahren, der Verwandtschaft nach Amerika zu folgen. "Ich liebe Pakistan, verstehst du das?", sagt Ali dann jedes Mal zu mir. Wer raus auf die Straße schaut, wo sich eine Blechlawine durch die Straße hupt, müsste dies sofort verneinen. Erst recht wenn man dann in einem der verbeulten Busse den schwarzen Lyari Fluss überquert und beißender Gestank Tränen in die Augen treibt.
20 oder 22 Millionen Menschen leben mittlerweile in Karatschi, so genau weiß das niemand. Täglich strömen Tausende dazu. Schon jetzt kann der Staat nach eigenen Angaben nur 50 Prozent der Bewohner Karatschis mit Trinkwasser versorgen, Stromausfälle bis zu 18 Stunden am Tag sind gerade im Sommer normal. Laut einer Studie des Max Planck Instituts ist Karatschi die Megametropole mit den meisten Toten wegen Luftverschmutzung.
Das wichtigste Erholungsgebiet Karatschis, der Strand von Clifton, ist auch 13 Jahre nach dem Untergang des Öltankers Tasman schwarz, obwohl die Betreiber die Regierung finanziell entschädigt hatten. Das Hafenwasser ist hochgradig kontaminiert. Schwerbewaffnete Rangers, eine Sondereinheit der pakistanischen Armee, patrouillieren seit einem Jahr durch die Straßen; nur durch sie konnte die Zahl von jährlich 3.000 Auftragsmorden und bis zu 20.000 täglichen Straftaten gesenkt werden. Der Gouverneur der Megametropole, Waseem Akhtar, führt die Amtsgeschäfte aus dem Gefängnis. Der Rest der politischen Verantwortlichen, die die kriminellen Bandenführer kontrollieren, sind jedoch weiterhin auf freiem Fuß.
Politiker kontrollieren kriminelle Banden
Wie auch im Fall der im Jahr 2012 abgebrannten Textilfabrik Ali Enterprise, die 259 Menschen das Leben kostete. Der Brandstifter handelte nach eigener Aussage im Auftrage der größten politischen Partei Karatschis der MQM - es ging um Schutzgelderpressung. Laut Wikileaks hat die MQM bis zu 25.000 Mann unter Waffen. Jedoch interessiert auch die ausländischen Textileinkäufer vorrangig eins: "Der Einkaufspreis", wie der Chef der Nachbarfabrik von Ali Enterprise mir sagte.
Trotzdem nicke ich dem Finanzberater Ali jedes Mal zu. Denn es ist nicht das korrupte Staatsgebilde Pakistan das er meint, sondern seine überwiegend warmherzigen Mitmenschen - inmitten des Dauerchaos.
Kurz vor dem Sommer veröffentlichte die pakistanische Zeitung The Dawn einen Artikel über das Wohnprojekt Bahria Town im Norden von Karatschi, wo der Bauunternehmer und Milliardär Malik Riaz eine eigene kleine Stadt für 500.000 Menschen aus dem Boden gestampft hat. Im kleinsten Detail zeigten die Journalisten Fahim Zaman und Naziha Syed Ali auf, dass die ganze Unternehmung auf Korruption und Vertreibung gebaut wurde, und alle steckten sie mit drin: Vom kleinen Polizisten und mittleren Beamten über führende Politiker und Ex-Generäle.
Staatsland wurde illegal an Riaz verkauft, Dörfer plattgemacht, die Bewohner vertrieben. Wer aufmuckte, bekam auch schon mal eine Anzeige nach den Gesetzen zur Anti-Terror-Bekämpfung. Dazu wurden alle Hauptstraßen, Abwasserkanäle, Boulevards und Brücken der Siedlung aus dem klammen Staatshaushalt bezahlt. Das Wasser, welches in Bharia Town 24 Stunden am Tag aus der Leitung fließen soll, wird aus dem eh schon knappen Reservoir der Menschen Karatschis abgezapft.
"Wenn sie den Betrag meines höchsten Bestechungsgeldes wüssten, würden sie einen Herzinfarkt bekommen."
Zuerst ging ein Aufschrei durch die Lesergemeinde, doch dann merkten die ersten etwas: Da geht es um meine Rettung aus dem Schlamassel, auch ich habe mir schon dort eine Wohnung gekauft! Einige verteidigten Malik Riaz: Er schaffe wenigstens Wohnungen, während der Staat auch darin völlig versage. Dazu ist Malik Riaz einer der größten Steuerzahler seines Landes, im Gegensatz zu seinen Milliardär Kollegen Nawaz Sharif, aktueller Ministerpräsident, und Ex-Präsident Asif A. Zardari. Riaz scheint sich jedenfalls sicher zu fühlen, denn freimütig erklärte er, das alles in Pakistan was Rang und Namen hat, auf seiner Bestechungsliste stehe und setzte hinzu: "Wenn sie den Betrag meines höchsten Bestechungsgeldes wüssten, würden sie einen Herzinfarkt bekommen."
Seit dem Dawn-Artikel herrscht eisiges Schweigen über dieses Vorzeige-Fortschritts-Projekt der freien Wirtschaft. Kein Wunder: An den Rändern von 15 Städten Pakistans entstehen für 20 Milliarden Dollar Bahria Towns, darunter in Rawalpindi und in Peshawar, die in einer Rangliste zu den 10 versmogtesten Städte unserer Erde gehören. Da die aktuelle Regierung vor allen auf die Steigerung des Wirtschaftswachstum mit Hilfe von "Billigarbeitern" für den Export setzt, heißt das: Mehr ungefilterte Abwässer und Abgase aus den Industrien, mehr Landbewohner, die in die planlos ausufernden Städte strömen werden, mehr Bharia Towns - weniger Wasser für die Masse der Bevölkerung.
Durch die Aufdeckung des Skandals um das Projekt Bharia Town in Karatschi kam auch der Mord an der Bürgerrechtlerin Perween Rahman im Jahr 2013 wieder ans Licht. Wie viele andere Aktivisten und Journalisten wurde sie nicht von religiösen Fanatikern getötet, sondern weil sie korrupten Machenschaften in die Quere kam; in ihrem Fall waren es die der Landmafia von Karatschi. Perween Rahman setzte sich auch für die Rechte der Dorfbewohner um Karatschi herum ein, weil sie voraussah was Projekte wie Bahria Town anrichten würden. Sie wurde auch nie müde zu sagen: "Fortschritt kommt nicht durch Beton, er kommt durch menschliche Entwicklung!"