Pakistan: Ist der Wassermangel gefährlicher als das Talibanproblem?
Trotz der größten Schmelzwasservorkommen außerhalb der Polarregion nähert sich das Land einer Katastrophe
Letzte Woche warf Trump Pakistan vor, die Extremisten in Afghanistan zu unterstützen und drohte mit Konsequenzen - gleichzeitig sprach er sich für Gespräche mit den Taliban aus. Das taten auch Trumps Vorgänger in regelmäßigen Abständen - und es passierte nicht viel, obwohl es bis zum letzten Jahr ein Druckmittel gab: Pakistan hing am Geldtropf der Vereinigten Staaten, bekam Waffen von ihnen und war auch auf U.S-Amerikanische Unterstützung in Sachen IWF-Kredite angewiesen. Doch jetzt hat das Land China als Partner - und Trumps Drohungen kümmern die pakistanischen Generälen deutlich weniger.
Dafür nutzen sie die Drohungen geschickt aus, um der eigenen Bevölkerung die USA als Buhmann für praktisch alles zu präsentieren und von den hausgemachten Problemen abzulenken. Laut einer aktuellen Studie sind in Pakistan 50 Millionen Menschen von arsenverseuchtem Trinkwasser bedroht. Doch dies ist nur die Spitze des Eisberges: Da in Pakistan mit immer größerer Geschwindigkeit das Grundwasser mit Hilfe von Brunnen abgepumpt wird, brechen die Grundwasserstöcke zusammen. Dabei verunreinigen neben Arsen auch andere Mineralien das Grundwasser. Schon bis 2009 starben laut einer unabhängigen Studie des Forschers Michael Kugelmann jedes Jahr 250.000 Kleinkinder an den Folgen von verdrecktem Trinkwasser - und seitdem ist die Bevölkerungszahl Pakistans um geschätzte 30 Millionen auf 207,8 Millionen gestiegen.
Eine Studie vom Juni diesen Jahres besagt, dass 91 Prozent des zur Verfügung gestellten Wassers in Karatschi für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind. Dabei kann der Staat dort ohnehin nur die Hälfte des Wasserbedarfs der etwa 22 Millionen Einwohner Karatschis decken. Eine Wassermafia kümmert sich um den Rest. Mit Hilfe von illegalen Brunnen erwirtschaftet sie horrende Profite, obwohl die Wasserqualität nicht besser ist.
Dazu wird auch in Karatschi eine sogenannte Smart City für 500.000 Privilegierte gebaut, in der die Bewohner aus eigenen Brunnen 24 Stunden am Tag mit Trinkwasser versorgt werden sollen, wodurch der Grundwasserspiegel der Metropole noch mehr sinken würde. Wer sich dort dann teuer mit Flaschenwasser aus dem Supermarkt versorgen möchte, kann sich jedoch auch nicht sicher sein, ob das gesundheitlich unbedenklich ist: In einer Studie aus letzten Jahr wurden über 100 Wassermarken als für den menschlichen Verzehr ungeeignet erklärt.
Doch die eigentliche Wasser-Katastrophe bahnt sich gerade erst an. Mit 1 019 Kubikmetern Wasser, die pro Einwohner jährlich zur Verfügung stehen, gehört Pakistan derzeit weltweit zu jenen drei Ländern, die am meisten unter Wassernot leiden. Und dies, obwohl das Land mit dem Karakorum-, dem Himalaya- und dem Hindukusch-Gebirge über die größten Schmelzwasservorkommen außerhalb der Polarregion verfügt.
An der Wasserkrise sind in erster Linie Verantwortlichen in Pakistans selbst schuld. Schon 2005 kam die Weltbank zum Schluss:
Pakistan verfährt nach dem Prinzip: bauen, vernachlässigen, wieder aufbauen. Dabei ignorieren die Verantwortlichen alle wissenschaftlichen Fakten und strapazieren die Infrastruktur des Landes, bis sie zusammenbricht.
Ein Beispiel dafür ist das größte künstliche Bewässerungssystem der Erde. Alleine durch undichte Dämme versickern 60 Prozent des Wassers, das für die Bewässerung der Felder benötigt wird (und das sind immerhin 96 Prozent des Schmelzwassers Pakistans). Dazu wird ein weiterer Teil des lebensnotwendigen Guts Wasser verschwendet, indem viele Felder noch durch Überschwemmungen gewässert werden, weil Großgrundbesitzer Dank Schmiergeldern an Regierungsangestellte verschwenderisch mit Wasser umgehen können. Laut einer Studie der Weltbank stecken sich pakistanische Beamte für die Wasserverteilung jährlich 30 Millionen Dollar an Schmiergeld in die Tasche.
Als ich wegen einer Wasserreportage in Pakistan recherchierte, schrie mich ein pakistanischer Klimaforscher, dem gerade wieder einmal das Budget gekürzt worden war, in seiner Verzweiflung an: "Das Talibanproblem ist ein Witz gegen die herannahende Wasser-Katastrophe." Dass er seinen Namen nicht in Verbindung mit diesem Satz in der Zeitung lesen wollte, ist verständlich. Tatsächlich werden aber nicht einmal 0,1 Prozent des jährlichen Regierungsbudgets aufgewendet, um die Wasserkatastrophe abzuwenden.
Natürlich hat Pakistan auch ein Problem mit extremen islamistischen Gruppen und den pakistanischen Taliban - aber viele der Gründe für den Zulauf zu diesen Fanatikern könnten vielleicht auch ohne den Einsatz von Waffen beseitigt werden. Ein anständiges staatliches Schulsystem, damit Kinder nicht in Gefahr geraten, in einer der tausenden nicht registrierten Religionsschulen zu landen (es gibt natürlich auch viele anständige Religionsschulen), die auch die Taliban in Afghanistan mit Nachschub versorgen, ist nur eine der Lösungen, die sich dafür abieten.
Es waren übrigens im Süden Afghanistan stationierte kanadische Kommandeure, die 2003 ihre amerikanischen "Kameraden" darauf hinwiesen, dass die Taliban wieder massenweise aus Pakistan einsickern. Damals taten die amerikanischen Generäle diese Fakten barsch ab: Sie interessierte nur die Jagd auf al-Qaida und bin Laden - und dafür brauchten sie die pakistanischen Kollegen und Geheimdienste. So konnten die Taliban in Afghanistan wunderbar gedeihen, da sie in Pakistan ungestört aufgepäppelt wurden. Später tadelten amerikanische Präsidenten und Generäle allein Pakistan dafür, dass sich die Lage in Afghanistan wegen der Taliban verschlechtert. Dabei hatten sie selber nie einen ernstzunehmenden Aufbauplan für Afghanistan - ebenso wenig wie die Abgeordneten des Bundestages, die deutsche Soldaten als reine Alibimaßnahme dorthin entsendeten.
Nun sollen Gespräche mit den "moderaten" Taliban geführt werden - denn natürlich sind sie keine feste Einheit, sondern ein loses Gewirr verschiedener lokaler Gruppen, was schon lange bekannt ist. Als die politische Hoffnung Pakistans, Imran Khan, vor Jahren den Vorschlag machte, mit den Taliban zu verhandeln, wurde er auch in unseren Medien als Extremistenfreund dargestellt. Dabei hatte Khan ergänzt, das Bomben keinen Frieden bringen, sondern dass Gespräche und langfristige Aufbaupläne für die Stammesgebiete in Pakistan nötig sind.
Dem ehemaligen Cricket-Star ist bewusst, dass es mehrere Generationen dauern wird, bevor so ein Plan vollständig umgesetzt ist. Mit der Pflanzung von Millionen von Bäumen in seiner Provinz Kyber Pachtunanawah zeigt Khan seit Jahren, dass er nicht nur reden kann. Doch dass sein Friedensplan unterstützt wird, ist äußerst unwahrscheinlich, wenn schon bei der schneller zu lösenden Wasserkrise nichts passiert. "Die Lösung des Wasserproblems in Pakistan ist möglich, denn alle Fakten sind bekannt", stellten die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Weltbank schon vor einem Jahrzehnt fest. Taten gab es seitdem so gut wie keine, stattdessen geht es um Taliban, Bomben, Drohnen und Drohungen.