"Pandora"-Leaks: Wem tun sie weh?
Welche politischen Folgen hat das Datenmonster über die Steuerflucht eines elitären Gekungels? Wer hat die Leaks verursacht? Die US-Regierung, um Putin zu schaden?
Zeus wies Pandora an, den Menschen die Büchse zu schenken und ihnen mitzuteilen, dass sie unter keinen Umständen geöffnet werden dürfe. Doch sogleich nach ihrer Heirat öffnete Pandora die Büchse. Daraufhin entwichen aus ihr alle Laster und Untugenden. Von diesem Zeitpunkt an eroberte das Schlechte die Welt.
Wikipedia
Das Leak sei "von Gott geschickt", sagte der Regierungschef zu den Panama Papers 2016, die damals ein gutes Werk verrichteten: Sie erledigten seinen politischen Konkurrenten. Der hieß Nawaz Sharif und wurde infolge der "Panama-Leaks" 2017 seines Amtes enthoben. Seit August 2018 ist Imran Khan Premierminister in Pakistan. Jetzt, so berichtet die SZ, muss Khans Umfeld erklären, wie einer seiner Großspender und Mitglieder seiner Regierung in die Pandora Papers geraten konnten.
Das wäre ein Beispiel dafür, dass Leaks spürbare, relevante politische Konsequenzen haben. Aber auch dafür, dass sie Interessen in der politischen Konkurrenz bedienen können. Pakistan ist weit weg. Welche politischen Folgen haben die Leaks der Pandora Papers hierzulande? Und welcher "Gott" hat sie geschickt? Wer steckt hinter den Leaks aus 14 verschiedenen Offshore-Dienstleistern, die den Zeitraum zwischen 1996 und 2020 abdecken?
"Ich warte auf Konkretes"
Das ist das etwas Unheimliche an den Pandora Papers, die diese Tage als Chef d'oeuvre des Datenjournalismus (11,9 Millionen Datensätze) und des Teamworks (mehr als 600 Pressevertreter von 150 Medienorganisationen aus 117 Ländern) veröffentlicht werden: Es ist ein komplexes riesiges Enthüllungsmonster, aber einfache Fragen harren der Antwort. Etwa: Wer hat die Leaks in Gang gesetzt? Oder: Wie lautet die Antwort auf das Forumsposting "Ich warte auf Konkretes"?
Für Deutschland liegt schon eine Antwort vor, die resignativen oder, je nachdem, zynischen, realistischen Erwartungen entspricht. Die Tagesschau zitiert aus dem Finanzministerium:
Die Enthüllungen hätten offenbar wenige Bezüge zu Deutschland auf(ge)zeigt. Die Regierung habe aber keine eigenen Einsichten in die Unterlagen. Zu möglichen diplomatischen Konsequenzen aus den Enthüllungen wollte sich die Regierung nicht äußern.
Tagesschau
Bei fefe findet sich eine interessante Einordnung, wonach die Pandora Papers zur beliebten Kategorie der "Verschwörungstheorien, die sich als wahr herausstellten" gehören: "Politische Eliten verstecken ihr Geld im Ausland." Im Prinzip weiß man, wie der Hase läuft, aber es ändert sich nichts?
Für manche ist es immer derselbe Hase, der immer gleich läuft. Die gedruckte SZ hatte am Montag eine Extra-Beilage Pandora Papers, überschrieben mit "Das politische Leak", sie hat vier Seiten. Zwei Seiten gehen über Putin und Korruption.
"Kann das Zufall sein?"
Mit Unterhaltungs- und Suspense-Kirschpralinchen ("Immobilien-Schätzchen", "ein Mann eilt hinzu, breitschultrig, Bart, er schüttelt den Kopf…", "Zur selben Zeit begann in der Stadt der weißen Nächte, in denen im Sommer die Sonne nie ganz untergeht, auch der Aufstieg des Wladimir Wladimirowitsch Putin an die Spitze der Macht.") wird die Verwicklung des russischen Präsidenten in das Offshore-System geschildert.
Hier wird konkret vorgegangen: Es gibt eine Menge Details zum "Putin-Kosmos", Namen, die genannt werden, Teilhabe an Banken und Betreiberfirmen, die genannt werden, Nachforschungen zu großzügigen Immobilien, teuren Appartements und verräterischen Adressen, die genannt werden, sowie Kanzleien. Das alles wird aber gemischt mit Andeutungen und Fragen, die, zumindest wenn man zu viele US-Gerichtsfilme angeschaut hat, nach Suggestivfragen klingen: "Die Kanzlei, die den Wohnungskauf organisierte, hat schließlich noch ganz andere Putin-Freunde in ihren Daten, solche aus dessen innerstem Zirkel. Kann das Zufall sein?"
Zu verschleiern, was einem gehört, das, so die SZ sei das Kerngeschäft der Off-Shore-Branche. Ob die zwei Seiten der Putin-Kosmos-Story für die tatsächliche Verwicklung des russischen Präsidenten in legale Steuervermeidungsgeschäfte überzeugend sind, können die Leser entscheiden. Aus dem Kreml kam der erwartete Einspruch.
Für Kritiker der westlichen "Medienmacht", die auf deren propagandistischen Inhalt achten, ist ebenso klar, wie der Hase läuft: So viel über Putin, so wenig über andere, kein bekannter Urheber der Leaks - dahinter können ergo nur Geheimdienste und Regierungen mit politischen Interessen stecken: US-Regierung stellt weitere Offshore-Papiere von missliebigen Personen zur Verfügung.
Der Effekt der Pandora-Papers ist also relevant in einer Beziehung: Korruption ist gerade wieder Top-Übel (siehe Rezo, Klimapolitik und Partei-Verflechtungen, Afghanistan-Debakel) und gut geeignet, um Putins Autoritarismus von dieser Seite aus tief anzuschwärzen, da derzeit die Ukraine und Syrien nicht viel hergeben.
Jenseits des Planeten Putin: Attac - Gegen die politische Fatigue
Es geht aber nicht nur um Putin und die Lagerkämpfe, die beiderseits mit jeweils einem geschlossenen Auge bis zur Übermüdung ausgefochten werden.
In Frankreich findet man bei Attac eine Karikatur, die ohne diesen USA-Nato-Russland-Überbau auskommt: Sie zeigt einen Mann, der die nächste Kiste mit Enthüllungs-Papers in einen dunklen Raum voller Spinnweben schleppt. Er bedankt sich bei den Journalisten und sagt, dass er den Karton mit den Pandora Papers sofort zum Stapel der anderen "sehr sehr dringlichen Probleme" stellen werde. Man sieht einen Karton mit Panama Papers, den Paradise Papers, den Bahamas Leaks, Open Lux etc. Zwölf solcher Enthüllungs-Pakete, inkl. Pandora Papers, gab es in den letzten sieben Jahren.
"Das hört nie auf?", fragt Attac und meint die Steuerflucht. Für die Organisation sind die Pandora Papers ein Anlass, um auf eigene Aktionen hinzuweisen. Die sind sehr konkret. Man besetzt Eingänge von Niederlassungen multinationaler Konzerne - Amazon, McDonald’s, BNP-Paribas, Total - und plakatiert den Skandal "Steuerflucht" sichtbar für die Passanten.
Die Art der Steuerflucht, die Attac anprangert, ist genau genommen eine andere "Spielwiese". Dort geht es nicht um Steuern, die über Offshore-Manöver vermieden werden, sondern um die Steuervergünstigungen, die die Multinationalen in Europa ausnutzen, weswegen man - sehr halbherzig und nach wie vor galeerenhaft auf die Gunst der Trommler schielend - die sogenannte Mindeststeuer ins Leben gerufen hat. Die nichts bringt, wie Experten urteilen.
Man muss, so Attac, auf die Straße, zu den Konzernen gehen, um Druck zu machen, in Frankreich gibt es dazu eine Tradition, in Deutschland weniger. Die politische Wirkung, die über die Pandora Papers entstehen könnte und tatsächlich etwas verändern, wäre aber genau das: ein starker öffentlicher Druck auf Steuergerechtigkeit, der nicht so leicht wegzuräumen ist.
In der SZ heißt es, dass man etwas gelernt hat: "Durch die vorherigen weltweiten Enthüllungen hat man mittlerweile verstanden, wie die Offshore-Welt tickt , wie Vermögen verschleiert und Geld anonym verschoben werden kann".
Riesige Schäden
Die Schäden sind riesig. 5,7 Milliarden Euro würden dem deutschen Finanzamt durch solche Offshore-Verlagerungen verloren gehen. Insgesamt würden 11,3 Billionen US-Dollar laut OECD in "Steueroasen geparkt".
Man sehe die Auswirkungen täglich, "jede Minute", meint Frederik Obermayer von der SZ. Er meint wohl Straßen, Schulen, öffentliche Gebäude, etc., vielleicht auch andere soziale Leistungen, bei denen über jeden Euro mehr diskutiert wird?
Dass Obermayer von einer "superwichtigen Relevanz" der Pandora Papers spricht, ist Eigenwerbung für die vierte Gewalt. Dass er dies so betonen muss, ist vor allem damit zu erklären, dass auch er die Müdigkeit auf der anderen, relevanten Seite kennt. Er weiß, wie beschränkt die Wirkung bei den Bürgern des Landes ist, worauf der elitäre Steuerflucht-Betrieb setzen kann. Ist ja alles legal.
Solange es keine Entrüstung gibt, die sich politisch-kämpferisch zeigt und damit eine Öffentlichkeit bekommt, die sich ernsthaft mit einem Unmut zur Sache auseinandersetzen muss, genügen wie immer im Politikbetrieb Floskeln.
Die Veröffentlichung der "Pandora Papers" hat quer durch die Parteien Rufe nach einem stärkeren Kampf gegen Steueroasen ausgelöst. Der Co-Bundesvorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, forderte härtere Strafen für verletzte Meldepflichten. "Wir haben aber auch bei uns weiteren Bedarf bei der Gesetzgebung und beim Vollzug", sagte Walter-Borjans dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Damit werde sich die nächste Bundesregierung befassen müssen."
BR
Aber die Veröffentlichungen gehen ja weiter. Das Consortium for Investigative Journalists (ICIJ) packt weiter aus. Vielleicht kommt noch was aus Deutschland?