Pentagon will US-Spezialtruppen-Programm in Ukraine wiederbeleben

US-Spezialeinheiten bei einer Übung in der Nähe von Winnyzja, Ukraine, am 21. September 2020. Bild: Mackenzie Mendez, U.S. Air Force / Public Domain

Ein Washington-Post-Artikel hat aufgedeckt, dass die USA die Zielkoordinaten für ukrainische Angriffe liefern. Doch die US-Militärs wollen noch tiefer in den Krieg einsteigen. Eine nächste rote Linie könnte überschritten werden.

Einem Bericht der Washington Post zufolge wollen Pentagon-Beamte Befehle aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg wieder aufleben lassen, die es ihnen erlauben würden, Kommandos in Form von "Kontrollteams" einzusetzen, um ukrainische Geheimdienstmitarbeiter zu koordinieren beim Versuch, russische Desinformation zu bekämpfen und Truppenbewegungen vor Ort zu lokalisieren.

Dazu müssten sich US-Kräfte in der Ukraine oder in einem Nachbarland aufhalten.

Das geht aus einem Bericht der Washington Post hervor, in dem zahlreiche ukrainische Offizielle zitiert werden. Eine US-Quelle sagte, dass die USA Zielkoordinaten für die "große Mehrheit" ihrer HIMAR-Angriffe und die mit anderen modernen Waffensystemen gegen Russland bereitstellten, wenn nicht sogar für alle.

Kelley Beaucar Vlahos ist Senior Advisor am Quincy Institute und Redaktionsleiterin von Responsible Statecraft.

Der exklusive Bericht bezeichnete die Unterstützung bei der Zielerfassung als "eine bisher geheim gehaltene Praxis, die eine tiefere und operativ aktivere Rolle des Pentagon im Krieg offenbart".

Wenn sich die Militärführung bei der Aktivierung von US-Kommandos durchsetzen sollte, würde damit eine weitere rote Linie überschritten. Wir werden aber wahrscheinlich nie erfahren, ob das tatsächlich passiert, weil die Aktivitäten "streng geheim" stattfinden werden.

Der Journalist Wesley Morgan berichtet in seinem Artikel, dass die USA bis zur russischen Invasion im letzten Jahr solche Teams in der Ukraine gemäß dem National Defense Authorization Act von 2019 eingesetzt hat. Danach wurde der Einsatz zunächst auf Eis gelegt.

Militärische Beamte wollen diese Aktivitäten in der Ukraine wieder aufnehmen, um sicherzustellen, dass die mühsam aufgebauten Beziehungen nicht unterbrochen werden, wenn der Krieg weitergeht, sagte Mark Schwartz, ein pensionierter Drei-Sterne-General, der die US-Spezialeinsätze in Europa zu jener Zeit leitete, als die Programme 2018 begannen. "Wenn man diese Einsätze aussetzt, weil sich das Ausmaß des Konflikts ändert, verliert man den Zugang", sagte er, "und das bedeutet, dass man Informationen und Wissen darüber verliert, was in dem Konflikt wirklich vor sich geht.

Manchmal können solche "Kontrollteams" der amerikanischen Kommandotruppen (die in Konfliktgebieten auf der ganzen Welt operieren) von einem Nachbarland aus operieren. Man weiß jedoch auch, dass sie in das Konfliktgebiet eingeschleust werden, in dem ihre Partner agieren, so Morgan.

Konflikt mit Russland: US-Armee in der Ukraine (18 Bilder)

Ukrainische Soldaten führen Luftangriffstraining durch. Bild: U.S. Army Europe, 2016

Laut dem Reporter Nick Turse – der ausführlich über die streng geheimen Aufträge schreibt, die es den US-Streitkräften erlauben, an Orten zu operieren, von denen wir nichts wissen – erfordern Befehle unter Abschnitt 1202 weniger öffentliche Kontrolle. Sie werden verwendet, "um ausländische Streitkräfte, irreguläre Kräfte, Gruppen oder Individuen zu unterstützen", die an irregulärer Kriegsführung beteiligt sind.

Dem Bericht der Washington Post zufolge wird über den Antrag wahrscheinlich nicht vor Herbst entschieden. Jedoch ist es ein weiterer Hinweis darauf, dass Kräfte innerhalb der US-Regierung versuchen, die USA stärker in den Konflikt hineinzuziehen, um den Ukrainern zu helfen. Es könnte sein, dass man sich deswegen gegenüber skeptischen Kongressabgeordneten mit dem Antrag nicht durchsetzen kann.

Wenn aus Aufklärungsmissionen Kämpfe werden können

"Was als Aufklärungsmission beginnt, kann schnell zu einem direkten Kampf werden, wenn die Stellvertreter-Truppen aufeinander schießen", stellt ein US-Beamter fest. "Meiner Meinung nach ist das eine reale Möglichkeit in der Ukraine. Mir ist nicht klar, wie das Ministerium die Meinung der Kongressabgeordneten dazu ändern könnte".

Die Berichte über die gezielte Unterstützung der USA für die ukrainischen Streitkräfte zeigen auch, was viele schon die ganze Zeit vermutet haben – dass die Ukrainer nicht in der Lage sind, die hoch entwickelten Waffen, die sie von den USA bekommen, ohne Hilfe von außen zu bedienen.

Ein hochrangiger ukrainischer Offizieller sagte, dass die ukrainischen Streitkräfte fast nie Abschüsse mit modernen Waffensystemen tätigen, ohne dass sie von US-Militärs die Koordinaten von einem Stützpunkt irgendwo in Europa erhalten. Ukrainische Vertreter weisen darauf hin, dass diese Vorgehensweise Washington das notwendige Zutrauen geben soll, Kiew mit Waffen größerer Reichweite zu beliefern.

Ein ranghoher US-Beamter – der wie andere wegen der Sensibilität des Themas anonym bleiben will –, bestätigte die Schlüsselrolle der USA in der Kriegsführung und sagte, die Unterstützung bei der Zielerfassung diene dazu, die Genauigkeit zu gewährleisten und die begrenzten Munitionsvorräte zu schonen, um maximale Wirksamkeit zu erzielen. Er erklärte, dass die Ukraine die Vereinigten Staaten bei Angriffen nicht um Erlaubnis anfrage und russische Streitkräfte eigenständig mit ihren Waffen angreife. Die USA stellten Koordinaten und genaue Zielinformationen nur in beratender Funktion zur Verfügung.

Das Pentagon bestätigte in einer Erklärung, dass es die Ukraine in dieser Form unterstütze, betonte aber, dass "die Ukrainer dafür verantwortlich sind, Ziele zu finden, sie zu priorisieren und schließlich zu entscheiden, welche Ziele angegriffen werden. Die Vereinigten Staaten genehmigen keine Ziele, noch sind wir an der Auswahl oder dem Einsatz von Zielen beteiligt".

Die Behauptung, die Ukrainer seien beim Einsatz der Waffen völlig von den USA abhängig, kommentierte das Pentagon nicht. Ein ukrainischer Vertreter sagte der Washington Post, selbst wenn die USA die von der Ukraine geforderten hoch entwickelten ATACM-Raketensysteme bekämen, müssten man nicht befürchten, dass sie missbräuchlich auf Russland abgefeuert würden.

Sie kontrollieren sowieso jeden Schuss. Wenn Sie also sagen: "Wir haben Angst, dass man sie für andere Zwecke verwendet", dann sollte man bedenken, dass wir das gar nicht können, selbst wenn wir es wollten.

Mein Kollege Anatol Lieven, Direktor des Eurasien-Programms des Quincy Institute, sagt:

Es ist schwer vorstellbar, wie, wenn von den USA beauftragtes ukrainisches Personal zu Aufklärungsmissionen in das von Russland gehaltene Gebiet geschickt wird, nicht Ziele für ukrainische Artillerie- und Luftangriffe identifiziert. Die Mitglieder des US-Kongresses müssen sich fragen, wie Amerika reagieren würde, wenn es anders herum wäre. Und wie lange wird es dauern, bis Russland sich dazu entschließt, Vergeltung an den Vereinigten Staaten zu üben angesichts von US-Aufklärungsunterstützung für die Ukraine, die viele russische Soldaten getötet hat.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Magazin Responsible Statecraft. Übersetzung: David Goeßmann.