Pflegenotstand: Droht auch mit Entlastungsgesetz Versorgung nach Kassenlage?
Verbindliche Personalvorgaben für die Pflege sollen "im Einvernehmen" mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erstellt werden. Die Gewerkschaft ver.di berfürchtet weiter falsche Prioritäten. Auf Kinderstationen ist die Lage "katastrophal".
Gerade hat der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) wieder vor dem Zusammenbruch des Pflegesystems gewarnt: "Wenn wir nicht schnell grundlegende Reformen bekommen, kann man die pflegerische Versorgung in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten", sagte die Vorsitzende Christel Bienstein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Freitag). Zwar sei es auch schon in der Vergangenheit zu Pflegenotständen gekommen, zum Beispiel Anfang der 1990er-Jahre. Aber: "Eine vergleichbare Situation hat es in den vergangenen 50 Jahren nicht gegeben."
Aktuell sei von rund 200.000 fehlenden Vollzeitkräften auszugehen. "Bis zu 70 Prozent" der Pflegefachkräfte, deren Zahl im vergangenen Jahr insgesamt gestiegen sei, sind laut Bienstein in Teilzeit beschäftigt – und der Krankenstand in dieser Berufsgruppe übersteige wegen der hohen Arbeitsbelastung den aller anderen.
Kinderkliniken am Limit
Zuletzt machte sich der Personalmangel in der Pflege in den Kinderkliniken besonders bemerkbar: Ein Teil der Betten konnte nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) wegen fehlender Pflegekräfte nicht betrieben werden. Und das während einer Infektionswelle mit dem RS-Virus, das im Gegensatz zum Coronavirus vor allem für Kinder gefährlich ist.
Von 110 Kinderkliniken hatten zuletzt 43 Einrichtungen kein einziges Bett mehr auf der Normalstation frei.
Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
Der Kinder-Intensivmediziner und DIVI-Generalsekretär Prof. Florian Hoffmann nannte die Situation "katastrophal".
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) begrüßt zwar die für heute geplante Bundestagsabstimmung zum Krankenhauspflege-Entlastungsgesetz, das eine bundesweite Personalbemessung für Pflegekräfte in Kliniken etablieren soll, warnte aber zugleich vor einer Einflussnahme des Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP), dem im Gesetzentwurf der Regierungsparteien ein Mitspracherecht eingeräumt wird. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hielt dies trotz Warnungen für vertretbar. Wörtlich heißt es darin:
Das Bundesministerium für Gesundheit kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen, erstmals bis zum 30. November 2023, Vorgaben zur Ermittlung der Anzahl der eingesetzten und der auf der Grundlage des Pflegebedarfs einzusetzenden Pflegekräfte in der unmittelbaren Patientenversorgung von Erwachsenen und Kindern auf bettenführenden Stationen der somatischen Versorgung in den nach § 108 zugelassenen Krankenhäusern erlassen.
Bundestagsdrucksache 20/4708 (neu), 30. November 2022
Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand befürchtet dadurch weiterhin falsche Prioritäten und eine Versorgung nach Kassenlage:
Es ist ein großer Fehler im Gesetz, Herrn Lindner Rechte bei der Umsetzung der Personalausstattung einzuräumen.
Der Pflegebedarf orientiert sich ausschließlich an den Patientinnen und Patienten und nicht an der Haushaltslage.
Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di
Eine Unterschreitung der Personalvorgaben müsse frühzeitig ausgeschlossen und mit Sanktionen belegt werden, forderte sie am Donnerstag.
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