Pflegenotstand droht sich zu verschärfen

Zu Beginn der Pandemie gefeiert, jetzt müde und zum Teil auch sauer: medizinisches Personal und Pflegekräfte. Foto: Darko Stojanovic auf Pixabay (Public Domain)

Die Barmer-Krankenkasse warnt: In den nächsten zehn Jahren braucht Deutschland deutlich mehr Pflegekräfte. Der Beruf soll attraktiver werden – nicht nur mit höheren Löhnen

In Deutschland steuert die Pflege auf einen dauerhaften Notstand hin. Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich über 182.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Und das sind nur konservative Annahmen, wie es im "Pflegereport" der Barmer Krankenkasse heißt, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Das liegt unter anderem auch daran, dass bis dahin die Zahl der Pflegebedürftigen von aktuell 4,5 Millionen auf rund sechs Millionen steigen dürfte.

"Bereits heute fehlen tausende Pflegekräfte und tragende Konzepte, wo diese Menschen herkommen sollen", sagte Kassenchef Christoph Straub. Deutschland sei auf dem besten Wege, in einen prekären Pflegenotstand zu geraten, warnte er. Damit es nicht so komme, solle die neue Bundesregierung die Pflegeausbildung attraktiver machen. Und damit die Pflegebedürftigen nicht in die Armut abrutschen, sollten zugleich die Leistungsbeiträge der Pflegeversicherung einmalig angehoben und später regelmäßig angepasst werden.

Anspruch: hochwertig, aber bezahlbar

Entscheidend sei, dass Pflege qualitativ hochwertig und gleichzeitig bezahlbar bleibe, sagte Straub. "Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass die Bundesländer endlich ihrer Pflicht nachkommen, die Investitionskosten vollumfänglich zu übernehmen." Das würde die Pflegebedürftigen zumindest bei den Eigenanteilen etwas entlasten. Bislang werden ihnen diese von den Heimbetreibern in Rechnung gestellt, was dazu beiträgt, sie finanziell zu überlasten.

Heinz Rothgang, Autor des "Pflegereports" und Professor an der Universität Bremen, wies auf den deutlich höheren Finanzbedarf hin. Dieser werde auch ohne weitere Verbesserungen bei den Leistungen von 49 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 59 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 steigen. Aber, darauf wies Rothgang auch hin, weitere Leistungsverbesserungen seien gleichwohl notwendig.

Es müsse auch die Frage beantwortet werden, wer künftig die Pflegebedürftigen betreuen soll. "Bereits heute fehlen tausende Pflegekräfte", so Rothgang, und diesen Mangel zu beseitigen, müsse ein zentrales Anliegen werden. Im Report geht er davon aus, dass bis zum Jahr 2030 etwa 81.000 Pflegefachkräfte, 87.000 Pflegehilfskräfte mit und 14.000 Pflegehilfskräfte ohne Ausbildung fehlen werden.

Tatsächlich könnten das nur konservative Schätzungen sein. So ging das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im letzten Jahr von einem wesentlich höheren Bedarf aus. Das IW ging davon aus, dass bis zum Jahr 2030 rund 460.000 Pflegekräfte fehlen könnte, bis 2035 rund 500.000. Und das bei einer geringeren Zahl an Pflegebedürftigen.

Wichtige Schritte, die noch nicht reichen

Um diesen gravierenden Personalmangel abzuwenden, müsse mehr Personal für die Pflege gewonnen werden, so Straub. Die einheitliche Pflegeausbildung und der Wegfall des Schulgeldes seien wichtige Schritte gewesen. Doch das reiche nicht aus und eine angemessene Bezahlung sei auch nur ein Schritt, betonte Straub weiter.

"Ebenso wichtig sind bessere Arbeitszeitmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der stationären Langzeitpflege erleichtern." Außerdem müsse mehr getan werden, um die körperlich und psychisch belastende Arbeit abzufedern. "Viele der Berufstätigen halten den Dauerstress in der Pflege gar nicht bis zur Rente durch. Frust und körperliche Belastung führen dazu, dass sie frühzeitig aussteigen."

Wie aus dem Barmer-Pflegereport weiter hervorgeht, werden in weniger als zehn Jahren knapp drei Millionen Pflegebedürftige ausschließlich von ihren Angehörigen gepflegt. Das sind rund 630.000 mehr als im Jahr 2020. Zudem wird es insgesamt eine Million Menschen vollstationär und 1,17 Millionen durch ambulante Pflegedienste versorgte Menschen geben. Dies entspricht einem Anstieg um gut 200.000 Betroffene (plus 26 Prozent) in Pflegeheimen und 165.000 Personen, die ambulant versorgt werden (plus 16 Prozent).