Pflicht zur Installation der Corona-App?
In CDU und RTL werden Stimmen laut, die Deutschen zur Nutzung des bislang 70 Millionen Euro teuren Instruments zu zwingen
Offiziell noch nicht bestätigten "vertraulichen Projektplänen der Firmen Telekom und SAP" zufolge sind für die seit dem Sommer verfügbare deutsche Corona-Warn-App in den nächsten Monaten mehrere neue Funktionen vorgesehen, die über Updates umgesetzt werden. So soll die Software ab Ende November daran erinnern, einen positiv ausgefallenen Test auf das Sars-CoV-2-Virus weiterzugeben. Aktuell machen das lediglich 60 Prozent der entsprechend getesteten App-Nutzer.
"Unfreiheit hinnehmen"
Im Dezember sollen den Nutzern dann Statistiken zur App-Nutzung, zu Inzidenzwerten und zu Fallzahlen übermittelt werden. Und ab dem Februar will man die Namenserfassung in den (dann möglicherweise wieder geöffneten) Gaststätten durch QR-Codes automatisieren. Außerdem soll mit dem im Faschingsmonat geplanten Update ein "Kontakttagebuch" kommen, wie es der inzwischen nicht mehr ganz unumstrittene Virologe Christian Drosten "dringend empfiehlt".
Bislang wurde die etwa 70 Millionen Euro teure deutsche Corona-App für Android und iOS 21,1 Millionen Mal heruntergeladen. Thomas Röwekamp, dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft, reicht das nicht. Er fordert ein Bundesgesetz, dass die Deutschen unter Androhung eines Bußgelds zur Nutzung dieser Software verpflichtet. Unterstützt wird er dabei von den zum Bertelsmann-Konzern gehörigen Fernsehsendern n-tv und RTL. Dort rechtfertigt Andreas Laukat den Zwang mit dem paradoxen Satz, wer "mit einem tödlichen Virus frei leben" wolle, der müsse "Unfreiheit hinnehmen".
Schlüsselanhänger und Armbänder als Ersatzhardware
Wird Röwekamps und Laukats Wunsch Wirklichkeit, stellt sich nicht nur die Frage, was mit jenen Bürgern geschieht, die kein Mobiltelefon haben. Auf etwa 15 Prozent der noch im Betrieb befindlichen Geräte läuft die Corona-App nämlich nicht. Dass ihre Besitzer keine neueren Telefone nutzen, liegt nicht nur an der "Bequemlichkeit", die ihnen die Staatssekretärin Dorothee Bär in diesem Zusammenhang unterstellte: Für viele davon ist das auch eine finanzielle Frage, was der Politikerin auf Telegram, Parler und Gab den Spitznamen "Marie Antoinette" einbrachte. Danach wurde bekannt, dass die Bundesregierung mit Steuergeld die Entwicklung von Schlüsselanhängern und Armbändern fördert, die als Ersatzhardware herhalten sollen.
Von den Nutzern, die die deutsche Corona-Warn-App installierten, wird sie nicht ausnahmslos als nützlich empfunden. Außer mit Problemen in Fällen einer Warnung (vgl. Chaos: Was ich in Berlin erlebte, als meine Corona-Warn-App rot wurde) liegt das auch daran, dass sie zwar die Formel preisgibt, mit der sie ein Risiko errechnet, aber wenig Informationen dazu herausgibt, wo und wie sich ein Nutzer diesem Risiko ausgesetzt hat.
Das Risiko errechnet die App aus der Dauer und der Stärke von akkubelastenden Bluetooth-Signalen der Mobiltelefone anderer App-Nutzer. Konkrete Orte, genaue Zeiten oder andere Daten werden nicht preisgegeben (vgl. Corona-Warn-Apps: Studie findet Probleme bei der Kontaktverfolgung im ÖPNV). Aber auch, wenn man die Orte kennt, lassen sie sich oft nicht vermeiden. Zum Beispiel Züge, die im Herbst wieder übervoll sind. Die Ergebnisse von Infektionsstudien hält die Deutsche Bahn zurück.
Österreich: "Imageproblem" durch Verpflichtungsvorstöße
Weniger hohe Erwartungen in Corona-Apps als der Bremer CDU-Fraktionschef hat der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er sagte dem Klassik- und Kultursender Ö1, der Nutzen so einer Software habe seine Grenzen, wenn sich das Virus so weit ausgebreitet hat, dass das Nachvollziehen einzelner Infektionsketten zu umfangreich wird. Ein Land wie Österreich mit seinen vielen Grenzen sei da in einer schlechteren Lage als Inseln wie Taiwan und Neuseeland, denen das Eindämmen der Pandemie besser gelang. Dass die österreichische Corona-Warn-App mit etwa einer Million Downloads prozentual gesehen weniger als halb so stark abgerufen wurde wie die Deutsche hängt dem Standard zufolge mit einem "Imageproblem" zusammen: Als "ÖVP-Politiker die Installation der App verpflichtend machen wollten" habe ihr das "nachhaltig geschadet".
Ob die deutsche Bundeskanzlerin stärker auf diese Stimmen aus ihrer CDU hört als Kurz auf die Verpflichtungsforderer aus der ÖVP ist noch unklar. Dass sich Merkel von verfassungsrechtlichen Bedenken von einem App-Zwang abhalten lässt, ist aber unwahrscheinlich: Ihre Kenntnisse einer juristischen Verhältnismäßigkeitsprüfung sind begrenzt, was unter anderem Begriffe zeigen, die sie in diesem Zusammenhang an falschen Stellen einsetzt.
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