Covid und plötzliche Todesfälle: Warum die AfD-Darstellung haltlos ist

Wollte einen großen investigativen Coup landen: Martin Sichert (AfD). Bild: Olaf Kosinsky / CC-BY-SA-3.0-DE

"Logische Konsequenz der Datenauswahl": Wer 2021 gestorben ist, kann in den Vorjahren nicht den Tod erlitten haben. Hier die Hintergründe.

Unbestritten ist eine Übersterblichkeit vor allem im Herbst des laufenden Jahres – eine Todesursachenstatistik wurde aber noch nicht einmal für 2021 veröffentlicht. Das Statistische Bundesamt spricht von verzögerten Datenlieferungen durch Gesundheitsämter und von Personalengpässen.

Umso heftiger tobt in "Sozialen Netzwerken" eine Art Glaubenskrieg darüber, ob und warum es gegebenenfalls einen Anstieg "plötzlicher Todesfälle" seit 2021 gebe und ob diese vielleicht mit der Covid-19-Impfkampagne zu tun hätten.

Die AfD mischt dabei kräftig mit – ein von ihr beauftragter Datenanalyst sollte der Sache auf den Grund gehen, tat dies aber offenbar keineswegs ergebnisoffen. Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Sichert, hatte am Montag eine im Netz als "historisch" bezeichnete Pressekonferenz mit dem Datenanalysten Tom Lausen anberaumt: Von der AfD angeforderte Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sollten demnach einen schockierenden Anstieg plötzlicher Todesfälle seit Beginn der Impfkampagne belegen.

Vermeintliche Anstiege um mehr als 1.000 Prozent

Einen Anstieg um 1.082 Prozent gab es demnach bei Sterbefällen, die unter dem ICD-10-Code R96 für "plötzlich eingetretener Tod" erfasst wurden.

Bei Todesfällen innerhalb von weniger als 24 Stunden nach Beginn der Symptome ohne weitere Angaben – dafür steht der Code R96.1 – soll der Anstieg sogar 1.673 Prozent betragen.

Ähnliche Auffälligkeiten stellte Lausen unter den Codes für "Plötzlicher Herztod" (I46.1), "Tod ohne Anwesenheit anderer Personen" (R98), und "Sonstige ungenau oder nicht näher bezeichnete Todesursachen" (R99) fest.

Nach Analysen der KBV gibt es allerdings "keinen Anstieg 'plötzlicher Todesfälle' in den Abrechnungsdaten", wie deren Pressesprecher Daniel Wosnitzka gegenüber Telepolis klarstellte.

Vielmehr handelt es sich bei dem von der AfD beobachteten "Phänomen" um eine "logische Folge der Datenauswertung", heißt es dazu in einer Stellungnahme des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Dessen Vorsitzender Dr. Dominik von Stillfried erklärte am Dienstag: "Die Aufregung um möglicherweise gestiegene Todesfälle 2021 entbehrt jeder Grundlage."

In der ausführlichen Stellungnahme schlüsselt er auf, welche Daten der AfD-Abgeordnete Sichert in drei Schritten angefordert habe:

Im ersten Schritt waren die Daten aller gesetzlich Krankenversicherten gefordert, die 2021 eine ICD-Kodierung zu Impfnebenwirkungen (Kodierungen T88.1, T88.0, U12.9 und Y59.9) erhalten haben.

Für das so identifizierte Versichertenkollektiv sollten im zweiten Schritt die Häufigkeiten aller Diagnosekodierungen für den Zeitraum 2016 bis 2021 nach Quartalen aufgelistet werden. Im dritten Schritt sollte die Häufigkeit aller Diagnosekodierungen für die übrigen gesetzlich Krankenversicherten (abzüglich des unter Schritt 1 fallenden Versichertenkollektivs) für den Zeitraum 2016 bis 2021 nach Quartalen gezählt werden.

Um die Kollektive in den Schritten 2 und 3 vergleichen zu können, muss sich der gesamte Datensatz auf Versicherte beziehen, die im Jahr 2021 mindestens eine ärztliche Leistung in mindestens einem Quartal in Anspruch genommen haben.


Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi)

Daraus folgt: Niemand aus dieser Versichertengruppe kann logischerweise vor 2021 verstorben sein.

Der scheinbare Anstieg der Kodierungen für Todesfälle ist also eine logische Konsequenz der Datenauswahl und methodisch als Kohorteneffekt bekannt.


Dr. Dominik von Stillfried

Die sehr seltenen Kodierungen für Todesfälle in den Vorjahren könnten bei dieser Kohorte nur Kodierungsfehler bei der Eingabe oder Übertragung sein, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Darüber hinaus erklärte KBV-Sprecher Wosnitzka auf Nachfrage von Telepolis, dass bei den besagten Todesfällen nicht bekannt sei, ob sie gegen das Coronavirus geimpft waren oder nicht. Ein Abgleich sei in den Abrechnungsdaten nicht möglich, da es sich um getrennte Datensätze handle. Es sei auch nicht ersichtlich, wie viele dieser Verstorbenen obduziert wurden.