Polen: Dudas Erwachen
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Ukraine-Krieg: Präsident "Kugelschreiber" bekommt eine neue Schlüsselrolle
Das erste Mal entschied Andrzej Duda, Kandidat der rechtskonservativen Partei Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit), kurz PiS, 2015 die Präsidentenwahl für sich. Der bis dahin kaum bekannte, freundlich wirkende Mitvierziger war zunächst Professor an der Krakauer Universität, danach EU-Abgeordneter für die PiS. Wenige Monate nach seinem Wahlsieg erlangte seine Partei am 25. Oktober 2015 bei den Wahlen zum Sejm, dem polnischen Parlament, die absolute Mehrheit.
Duda wurde mit einer knappen Stimmenmehrheit von 51,55 Prozent bestätigt. Er schlug damit den bisherigen Amtsinhaber Bronisław Komorowski, den Favoriten der liberalen Platforma Obywatelska (Bürgerplattform), kurz PO. Bei einer Wahlbeteiligung von 55,34 Prozent wurde Duda somit von etwas mehr als einem Viertel der Wahlbeteiligten gewählt. Eine überaus schwache Legitimation für den "Präsident aller Polen", wie ihn seine Partei und Duda sich selbst fortan bezeichnete.
Der Umbau des Staates
Seit dem Doppelsieg im Jahr 2015 nahm das Tandem Duda-PiS umgehend den Umbau des Staates nach eigenen Vorstellungen in Angriff.
Es entmachtete das Verfassungsgericht, ersetzte unliebsame Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien durch Propagandisten nationalklerikaler Rundfunksender und Zeitungen. Es besetzte Schlüsselpositionen in staatsnahen Unternehmen mit eigenen Gefolgsleuten und setzte das europaweit strickteste Abtreibungsrecht durch.
Es unternahm den Versuch, regierungskritische Medien unter seine Kontrolle zu bringen, drohte unverhohlen der Opposition und förderte eindeutig nationalistische bis faschistische Kreise, bzw. es tolerierte zumindest deren Exzesse.
Präsident "Kugelschreiber"...
Duda, selbst Verwaltungsjurist und ehemaliges PiS-Mitglied, hatte eine Zeit lang alle kontroversen Gesetzesvorhaben der rechtkonservativen Regierung widerspruchslos abgesegnet, was ihm prompt den Beinamen "prezydent długoPiS" (Wortspiel mit "Kugelschreiber" und "PiS") einbrachte.
Doch dann, auf einmal, im Juli 2017, nach Beratungen mit den führenden Juristen Polens, weigerte sich Duda erstmals, seine Unterschrift unter ein verabschiedetes Gesetz seiner politischen Gönner und Parteifreunde zu setzen. Konkret lehnte er zwei von drei Gesetzesvorlagen ab, die die Unabhängigkeit der Justiz untergraben würden.
Es ging um einen umstrittenen und heftig kritisierten Gesetzesentwurf der PiS zur Herabsetzung des Pensionsantrittsalters für Richter des Obersten Gerichtshofes. Damit könnte die PiS unliebsame Richter rascher gegen eigene Kandidaten austauschen. Umgehend zog Duda Zorn und Hohn des Justizministers Zbigniew Ziobro wie auch der PiS-kontrollierten Medien auf sich.
Der Vorwurf: Duda würde mit seiner Obstruktion dem "Guten Wandel", wie der Reformslogan der PiS offiziell genannt wird, Steine in den Weg legen. Dem Präsidenten selbst war durchaus bewusst, dass er ausschließlich seiner Partei, allen voran dem PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, das Präsidentenamt zu verdanken hatte, zudem hegte er den Wunsch wiedergewählt zu werden.
... und dann Duda, der Verweigerer...
Der Präsidentensprecher sah sich sogar gezwungen, an die damalige Premierministerin Beata Szydło zu appellieren, ihren Innenminister Ziobro, der für das gescheiterte Gesetz verantwortlich zeichnete, nach dessen verbalen Ausrastern gegen Duda, im Zaum zu halten.
Doch schon bald darauf schwoll ein neuer Konflikt zwischen dem Präsidenten und der PiS-geführten Regierung an. Verteidigungsminister und PiS-Präsidiumsmitglied Antoni Macierewicz äußerte den Wunsch, den Generalstab der Streitkräfte mit seinen Günstlingen zu besetzen.
Auch in diesem Fall verweigerte Duda seine Unterschrift unter die Nominierungen. Politbeobachter erkannten darin den ersten ernsten Bruch im bisher unerschütterlichen Monolith PiS. So kam es, dass wegen der andauernden Schwäche der parlamentarischen Opposition paradoxerweise ausgerechnet Präsident Duda zum größten Hoffnungsträger bei der Abwehr der politischen Pläne von Kaczyński avancierte.
Moderate PiS-Politiker, zu denen auch Duda zählt, die sich durchaus mit den sozialen Zielsetzungen der PiS bzw. mit dem konservativen Weltbild der Partei identifizierten und davon ausgingen, dass die PiS Staatsinstitutionen erneuern, die von Nepotismus und Amtsmissbrauch geprägte Gerichtsbarkeit reformieren und von Korruption befreien würde, mussten nun zusehen, wie ihre eigene Partei die Rechtsstaatlichkeit untergrub und Polen zum Sorgenkind Europas werden ließ.
... und Erneuerer?
Es war Präsident Duda, der Ende 2017 eine Regierungsumbildung durchsetzen ließ, infolge welcher Premierministerin Beata Szydło durch Mateusz Morawiecki ersetzt wurde. Kaczyński, Szydło und Duda trafen sich und es kam zu einer Einigung, deren Ergebnis sich etwa wie folgt liest: Um den "Guten Wandel" nicht zu gefährden, bekam Duda mit Morawiecki einen moderaten, sprachgewandten, weltoffenen Wirtschaftsexperten.
Dieser würde Polens ramponiertes Image in der EU wieder aufpolieren. Dafür zog Kaczyński einige seiner kontroversen "Falken" wieder von der Politbühne zurück. Einer der "Falken" blieb unangetastet – Dudas Widersacher Justizminister Ziobro sollte weiterhin das PiS-"Justiz-Reformwerk" vorantreiben.
Als 2018 das umstrittene "Holocaust-Gesetz", welches vorsah, Personen, die Polen Mitverantwortung für Verbrechen Nazideutschlands zuschreiben, strafrechtlich zu verfolgen, in Kraft treten sollte, hatte Präsident Duda das Gesetz zunächst unterschrieben, jedoch nach internationalen Protesten dessen Überprüfung durch das Verfassungsgericht beantragt. Das Gesetz wurde vom Sejm verworfen.
Neuer Sieg, neuer Weg?
Bei der Präsidentschaftswahl am 12. Juni 2020 gewann Andrzej Duda gegen seinen Herausforderer, den Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski, hauchdünn mit 51 Prozent. Der liberale Trzaskowski wurde knapp vor der Wahl als Ersatz für eine glücklose Oppositionskandidatin ins Rennen geschickt.
Beinahe so, als ob er am Ende seiner politischen Karriere angelangt wäre, ging Duda nach einem neuerlichen Wahlsieg für ein Jahr auf Tauchstation. Bei anstehenden, zentralen innenpolitischen Themen war von ihm wenig zu vernehmen. Dies änderte sich Mitte 2021, als PiS einen Vorschlag zum Mediengesetz anregte, wonach in Polen nur mehr TV-Stationen zugelassen werden sollen, deren Eigentümer zu 51 Prozent in Polen bzw. in einem EWR-Staat ansässig sind.
Die Gesetzesänderung richtete sich, entgegen anders lautender Beteuerungen der Regierung, klar gegen den im Besitz des US-amerikanischen Konzerns Discovery befindlichen regierungskritischen TV-Sender TVN. Die Gesetzesnovelle schaffte es im August 2021 mittels unsauberer Praktiken mit einer hauchdünnen Mehrheit durch die Instanzen des Sejm, wurde allerdings durch das Oberhaus, den Senat, abgewiesen.
Die Novelle kam zurück in den Sejm, wo sie schließlich mit Stimmen der PiS und ihrer Verbündeten in Dezember 2021 beschlossen wurde. Nach massiven Protesten der US-Regierung, der EU und unter dem Eindruck polenweiter Demonstrationen stufte der Staatspräsident Duda die "Lex TVN" als verfassungswidrig ein und belegte das Gesetz mit seinem Veto.
Bei seinen Entscheidungen gegen seine ehemaligen Parteifreunde schien Duda überaus zögerlich vorzugehen, aus dem Präsidentenpalast kamen widersprüchliche Verlautbarungen, doch letztlich dürften seine engsten Berater, allen voran Dudas Berater zu Sozialfragen Marcin Mastalerek und Polens UN-Botschafter Krzysztof Szczerski, den entscheidenden Einfluss auf den Staatschef ausgeübt haben. Der Letztere soll den Präsidenten zum Veto gegen "Lex-TVN" mit dem Argument überredet haben, dass ihm das Zerwürfnis mit den USA den Weg zu einer internationalen Karriere, etwa bei der UNO, verbauen würde.
Wegen des Streits Polens mit der EU um die Justizreform hält Brüssel die Auszahlung der Polen im Rahmen des EU-Corona-Fonds zugesprochenen 58 Milliarden Euro zurück – der nationale Wiederaufbauplan wurde seitens der EU vorerst nicht genehmigt.
Die EU-Kommission und der EU-Gerichtshof sehen die Rechtsstaatlichkeit in Polen als gefährdet und fordern die Rücknahme einiger Kernelemente der Reform der polnischen Gerichtsbarkeit. Auch in diesem Fall sprang Duda als Vermittler ein. Er schlug vor, auf die umstrittene und seitens der EU bekämpfte Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofes zu verzichten.
Bei Dudas Entscheidungen dürfte seine Gattin Agata Kornhauser-Duda eine Rolle spielen. Ihre Initiative, zwei Präsidentenvillen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zu überlassen, wurde zwar von den Medien aufgegriffen, doch im Hintergrund hat die fünfzigjährige ehemalige Deutsch-Lehrerin, die ihrem Bruder Jakub zufolge liberaler als ihr Mann sein soll, schon einige Male Entscheidungen ihres Ehegatten beeinflusst.
Zwar äußerte sich die Tochter des jüdisch-stämmigen Krakauer Schriftstellers, Dolmetschers und Literaturkritikers Julian Kornhauser nach der Wahl ihres Mannes zum Staatspräsidenten nicht zu politischen und gesellschaftlichen Themen, doch Beobachtern zufolge hat Andrzej Duda gewisse Entscheidungen, etwa das umstrittene Holocaust-Gesetz, mit seiner Gattin abgesprochen.
Anders als seine Amtsvorgänger, etwa Lech Wałęsa, Aleksander Kwaśniewski oder auch Lech Kaczyński, fiel Andrzej Duda außenpolitisch bisher kaum in Erscheinung. Kwaśniewski engagierte sich 2004 aktiv bei der "Orangen Revolution" in der Ukraine, Jarosław Kaczyńskis Zwillingsbruder Lech – 2008 in Georgien.