Polen drängt: So soll die EU zur Militärunion werden

Harald Neuber
Patronen eines Maschinengewehr vor einer EU Fahne in EU haben

Bild: Natallia Ustsinava/ Shutterstock.com

Ende des Bündnisses mit den USA und Krieg im Osten: Die EU stellt sich auf eine turbulente Zukunft ein. Dabei sind ihr die aktuellen Einsätze schon zu viel.

Die Europäische Union erwägt den Aufbau einer eigenen, unabhängigen Rüstungsindustrie. Dies war auch Thema bei mehreren Treffen auf EU-Ebene in den vergangenen Wochen. Vor allem die amtierende polnische EU-Ratspräsidentschaft hat sich für klare Prioritäten ausgesprochen: Sie setzt auf eine Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten und einen massiven Ausbau der Rüstungsindustrie.

Beim Austausch des Außenausschusses des EU-Parlaments mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski in der zweiten Februarhälfte in Brüssel plädierte dieser für die "Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie". Polen werde sich während seiner Ratspräsidentschaft mit Nachdruck für die Errichtung einer "militärischen Union" einsetzen, "die diesen Namen auch verdiene", so Sikorski laut einem Teilnehmer des vertraulichen Treffens.

Auch im Militärausschuss der EU (EUMC) wurde das Thema intensiv diskutiert. Ein Vertreter des französischen Militärs forderte dort, "eine Balance zwischen kurz- und mittelfristigen Bedarfen zu wahren und Möglichkeiten der Finanzierung zu diskutieren". Die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) müsse als Gremium der Mitgliedsstaaten "eine zentrale Rolle auf dem Feld der Fähigkeitsentwicklung einnehmen", wird der Franzose in einem vertraulichen Protokoll zitiert, das Telepolis einsehen konnte.

Zusammenarbeit mit Rüstungsindustrie

Brüssels Hauptaugenmerk liegt auf der Zusammenarbeit mit der europäischen Rüstungsindustrie. Man setzt klare Schwerpunkte, um sowohl kurzfristige Bedürfnisse zu erfüllen als auch langfristig die Unabhängigkeit Europas in der Verteidigung zu stärken. Besonders wichtige Rüstungsprojekte stehen dabei im Mittelpunkt, die sogenannten European Defence Projects of Common Interest (EDPCI).

Die EDPCI sind noch nicht definiert, aber geplant. Sie sollen gemeinsame Verteidigungsprojekte sein, die mindestens vier EU-Länder umfassen. Beispiele für potenzielle Projekte sind der Air Defence Shield, European Cyber Shield und Maritime Domain Awareness

Probleme offensichtlich

Bei der Aussprache der EU-Militärvertreter in Brüssel wurden allerdings auch die bestehenden Probleme deutlich. Frankreichs Vertreter in dem Militärgremium wies auf erhebliche Herausforderungen bei der Bereitstellung von Truppen für die EU-Marinemission "Eunavfor Atalanta" hin.

Trotz der bekannten Engpässe sei man bis jetzt nicht einmal bei der Koordinierung der beiden Marinemissionen "Atalanta" – am Horn von Afrika und im Golf von Aden – sowie "Irini" – im Mittelmeer – vorangekommen.

Aktuelle Proleme, große Pläne

Während die EU also militärisch kaum mithalten kann und sichtbare Schwierigkeiten hat, laufende Missionen aufrechtzuerhalten, hat man andernorts bereits Großes vor. Polen, das momentan auch eine führende Rolle im Bereich der strategischen EU-Militärplanung innehat, legt besonderen Wert auf die Luftverteidigung und den Schutz der östlichen EU-Grenze.

Die Erfahrungen der Ukraine müssten genutzt werden, um die europäische Verteidigung zu verbessern, heißt es aus Warschau. Gleichzeitig solle die Partnerschaft mit den USA und die Zusammenarbeit mit der Nato weiter gestärkt werden. Wie genau das aussehen wird, ist noch unklar.

Haushaltsregeln sollen gelockert werden

In einem ist man sich in Brüssel indes einig – die strengen Haushaltsregeln sollen gelockert werden, um mehr Investitionen in die Rüstungsindustrie zu ermöglichen. Damit ist klar: Die Zeitenwende ist inzwischen auf europäischer Ebene angekommen und die Rüstungsindustrie wird davon profitieren.

Zunächst aber erweist sich auch die immer wieder beschworene Kooperation mit der Nato als Herausforderung. Bei den internen Aussprachen in Brüssel wies der deutsche Militärvertreter darauf hin, dass sich viele Maßnahmen der Europäer und des Nordatlantikpaktes doppelten. Konkret bezog er sich auf militärische Programme im Rahmen des Nato Defense Planning Process (NDPP): "Entsprechende Bedarfe der Mitgliedstaaten müssen einfach in die EU-Verfahren übernommen werden."

Eigene Verteidigungsindustrie

Die Bestrebungen für den Aufbau einer eigenständigen europäischen Verteidigungsindustrie sind deutlich sichtbar: Die transatlantischen Beziehungen sind angespannt, seit Donald Trump ins Weiße Haus zurückgekehrt ist. Mehrere EU-Abgeordnete haben sich bei der Aussprache mit dem polnischen Verteidigungsminister besorgt über die mögliche politische Einflussnahme der USA auf die Entscheidungen der EU geäußert.

Mehrfach wurde von den Abgeordneten angezweifelt, "ob die USA überhaupt noch als Partner angesehen werden könnten". Man frage sich, "wie sich die Beziehungen zur EU verändern würden".

Kritik an USA unter Trump

Auch die Haltung der USA zum Ukraine-Krieg wird in Brüssel kritisch gesehen. Der portugiesische EVP-Abgeordnete Sebastião Bugalho stellte deshalb die Frage: "Wie kann die US-amerikanische Befürwortung der russischen Agenda für die Zukunft der Ukraine erklärt werden?"

Außenminister Sikorski reagierte zurückhaltend: Er könne "nicht für die USA sprechen". Persönlich sei er aber der Meinung, "dass es, sobald Russland ein 'demokratisches Mandat' der ukrainischen Delegation fordere, auch in Russland Wahlen geben müsse."

Ungeachtet der Spannungen mit Washington sind sich viele EU-Politiker einig, dass die Partnerschaft mit den USA von europäischer Seite aus nicht aufgekündigt werden darf. Einige Abgeordnete fordern deshalb eine Stärkung der Partnerschaften mit Norwegen, Island und Kanada.

Im Vortrag von Sikorski und der anschließenden Aussprache dominierten "ein klares Bekenntnis zur weiteren Unterstützung der Ukraine sowie ein Plädoyer für den massiven Ausbau der gemeinsamen europäischen Verteidigung".

Polens Verteidigungsminister fordert Unabhängigkeit von den USA

Das hat auch EU-Verteidigungskommissar Kubilius in seiner Aussprache mit dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie unmissverständlich klargemacht. Auch er benannte als wesentliche Schwerpunkte für die EU: die Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der eigenen militärischen Fähigkeiten der EU-Mitgliedsstaaten.

In diesem Zusammenhang hob er die EU-Initiative "RearmEU" hervor, die vorsehe, in den nächsten vier Jahren 800 Milliarden Euro für die europäische und ukrainische Verteidigung bereitzustellen.

Die Initiative umfasst sowohl Kredite für EU-Mitgliedstaaten als auch eine Lockerung der Schuldenregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt. Kubilius betonte zudem die Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch das European Industry Programme (EDIP).

In Berlin ist eine entsprechende Entwicklung zu beobachten. Die Union und die SPD planen dort eine weitreichende Änderung der Schuldenbremse, um massiv in die militärischen Fähigkeiten Deutschlands und der Europäischen Union zu investieren. Das steht im Sondierungspapier der wohl künftigen Regierungskoalition aus Union und SPD.

Insgesamt wird ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro bereitgestellt, um "unser Land wieder in Form" zu bringen. Dazu gehören laut dem Papier auch "zusätzliche Mittel" zur Sicherung der Verteidigungsfähigkeit. Es ist eindeutig: Die geplanten Investitionen werden eine in der Geschichte der Bundesrepublik und der EU nie gekannte Dimension erreichen. Die Folgen dieser Politik werden künftigen Generationen zu spüren sein.