Polio-Ausbruch in der Ukraine
Weltbank empfiehlt Beteiligung des privaten Sektors am Gesundheitssystem
In der Karpato-Ukraine, die bis 1939 zur Tschechoslowakei gehörte, hat es im September zwei Polio-Ausbrüche gegeben. Das Polio-Virus kann Menschen jeden Alters befallen. In der Praxis stecken sich aber vor allem Kinder an. Der Erreger schädigt das Nervensystem, weshalb viele Erkrankte gelähmt zurückbleiben. Der bekannteste unter ihnen war US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, bei dem erst 1921 (als er schon 39 Jahre alt war) Kinderlähmung diagnostiziert wurde. Danach war er auf Gehstöcke, Schienen und einen Rollstuhl angewiesen.
Theoretisch müssten zwar alle ukrainischen Kinder beim Schuleintritt gegen Polio geimpft sein - ob sie das tatsächlich sind, wird aber nicht immer kontrolliert. Das begünstigt Impfgegner, die es nicht nur in den USA, Deutschland und Australien, sondern auch in der Ukraine gibt: Sie hängen dem Glauben an, Impfstoffe seien schädlicher als die Krankheiten, gegen die sie immunisieren. Häufig vermuten sie auch eine Verschwörung der Pharmaindustrie, die sie unter anderem dafür verantwortlich machen, dass es keine seriösen wissenschaftlichen Studien gibt, die ihren Glauben stützen.
Stießen solche Eltern in der Ukraine auf eine Schule, die die eigentlich vorgeschriebenen Impfungen prüfte, konnten sie ihre Kinder den Recherchen des Fernsehsenders CNN zufolge oft durch Zahlung eines Bestechungsgeldes ohne Nachimpfungen einschulen lassen. Die ukrainischen Behörden müssen aktuell auf jeden Fall einräumen, dass sie eigentlich keine Ahnung haben, wie hoch oder niedrig die Polio-Durchimpfungsraten tatsächlich sind.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO (die die Krankheit eigentlich bis 2018 ausrotten wollte) befürchtet deshalb, dass es nicht bei den beiden jetzt bekannten Polio-Fällen bleibt und hat diese Woche damit begonnen, fünf Millionen ukrainische Kinder gegen Polio zu impfen. Ob das Vorhaben gelingt, bevor eine Epidemie ausbricht, ist offen. Die Organisation schätzt, dass sie nur drei bis sechs Monate Zeit hat. Deshalb appellierte die WHO (bislang ergebnislos) an den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das den Seuchennotstand erklärt und Behörden wirksame Mittel an die Hand gibt, auch gegen den Willen esoterischer oder fanatisch religiöser Eltern zu impfen.
Ein anderes Impfhindernis ist die seit dem Ende der Sowjetunion zunehmend dysfunktionaler gewordene Bürokratie, die nur einen unzureichenden Überblick über die Bevölkerung hat - auch wegen der Ausgebombten aus dem ostukrainischen Kriegsgebiet, die nicht nur nach Russland, sondern auch in die Zentral- und die Westukraine flüchteten. Im Juni schätzte die UN, dass die Zahl der Binnenflüchtlinge in der Ukraine - die insgesamt knapp 43 Millionen Einwohner hat - bei etwa 1,35 Millionen liegt.
Theoretisch haben diese Binnenflüchtlinge vollen und weitgehend gebührenfreien Zugang zum ukrainischen Gesundheitssystem, das mit Steuern und Sozialversicherungsabgaben finanziert wird. In der Praxis sollen Ärzte aber häufig schwarz Honorare verlangen, die sich nicht jeder Patient leisten kann. In Krankenhäusern ist die Versorgung auch deshalb schlecht, weil viele Ärzte und Krankenschwestern in den Westen gingen, wo bessere Einkommen winken. Die Weltbank empfahl der Ukraine deshalb im April eine "Beteiligung des privaten Sektors" und private Versicherungen.
Nun wurde die Einführung eine Krankenversicherung beschlossen, die jedoch noch umstritten ist. Bisherige Versuche, das System zu reformieren, verschlimmbesserten es lediglich.
Breitet sich Polio in der Ukraine aus, sind auch die westlichen Nachbarländer gefährdet: Auch hier gibt es Impfgegner und Gesundheitsbürokratien, die es in den letzten 25 Jahren mit der Impfkontrolle nicht mehr so genau nahmen, weil von Oben andere Vorgaben kamen. Deshalb sind auch deutsche und österreichische Kinder gefährdet, wenn sie nicht gegen Polio geimpft sind.
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