Polizeiruf 110: Witze ja, aber bitte nicht über Wokeness!

Die Ermittlungen in einem Mordfall führen Kriminalhauptkommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek, vorne rechts) und Oberkommissar Otto Ikwuakwu (Bless Amada, Mitte) ins Uni-Milieu.

(Bild: Ariane Krampe Filmproduktion/BR/Hendrik Heiden)

Wenn dem bürgerlichen Feuilleton das Lachen vergeht: Polizeiruf spottet über den linken Konformismus und ermittelt in "Wokistan". Die deutsche Fernsehkritik reagiert empört.

"Wir sagen nicht mehr Täter, wir sagen Tatperson."
Polizeichef*in im Film

"And the people in the houses/ All went to the university Where they were put in boxes/ And they came out all the same."
Malvina Reynolds: "Little Boxes"

Die Welt steht auf dem Kopf; sie ist total verkehrt und verdreht – sie wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, war ganz offensichtlich das Anliegen des ersten Falls der neuen Ermittlerin beim Münchner "Polizeiruf 110", der mit einer 180-Grad-Drehung der Kamera beginnt.

Die wichtigtuerisch, betont zurückhaltende Verena Altenberger ist nach nur sechs Folgen Geschichte, jetzt ermittelt wieder eine richtige Kommissarin, Cris Blohm, neugierig, unbeschwert und lässig – gespielt von Johanna Wokalek.

Exzellente Schauspieler und durchgängig hervorragende Musik – das war schon mal das erste Merkmal, des Polizeirufs am vergangenen Sonntag.

"Is ois oiwei gleich Rassismus?"

Vor der professionellen Fernsehkritik – falls es so etwas gibt – fand der Film von Dror Zaravi trotzdem wenig Gnade. Weil er ihr ideologisch ganz offenbar gegen den Strich geht: "Besessen von der Ablehnung gegenwärtiger, emanzipatorischer Diskurse", jammerte die alte Tante Zeit fassungslos, und legte dann kopfschüttelnd, aber komplett haltlos nach: "Ein schönes Beispiel für den aufgeblasenen Kulturkampf von rechts, in dem sich Parodie und Beschreibung ununterscheidbar vermischen."

Da kann man nur mit Blohms Kollegen Dennis gegenfragen: "Is ois oiwei gleich Rassismus?"

Der Spiegel ist auch not amused, dass die Ermittlerin einmal gar "Zigeunersoße" sagt, und zu Songs von Michael Jackson tanzt, obwohl der doch nach Missbrauchsvorwürfen als gecancelt gilt. Ohweh-ohje!

Vor allem aber vermutet man beim bekannt minderheitensensiblem Hamburger Magazin eine "Kulturkampfansage" aus Bayern. Dies, weil eine Kommissarin durch die Dauerhinweise ihrer Chefs unbedingt achtsam zu ermitteln und den Leitfaden "Diskriminierungsfreies Sprechen" zu benutzen, entnervt antwortet, ob sie jetzt auch "V-Wort für Vergewaltigung" sagen soll.

Überraschenderweise ist es die taz, die hier gegenhält und lobt:

Der Plot lebt von der überspitzten Darstellung starrer Standpunkte und scheiternder Kommunikation. Durch den ironischen Ton wirken die Positionen bizarr. Genau da macht dieser Krimi vieles richtig: Er provoziert. ... Er rüttelt auf, er ist unangenehm. Und er beweist einmal mehr: Nur wer zuhört, kann verstehen.

Auch die Süddeutsche Zeitung hielt den Film für "sehenswert, fordernd und überraschend".

Die neue Übersensibilität

Den anderen, auch dpa, n-tv und FAZ war alles zu gut gelaunt, wohl auch zu selbstsicher im Spott an Übersensibilität. Die Zweifel fehlten. Offenbar waren sich weder Drehbuchautor noch Regisseur noch die Hauptdarstellerin ihres Privilegs bewusst. Stattdessen spotten sie ganz privilegiert über hypersensible Uni-Kreise.

Aber der Reihe nach.

Der "Polizeiruf" war nicht ungewöhnlich, weil es um einen Mordfall an einer Universität ging, sondern weil der Ton von Anfang an eine grundsätzliche Heiterkeit durchzogen war – und es war nicht einfach eine typische Münchner Heiterkeit und schon gar nicht Münsteraner Schenkelklopfen.

Hier meldete sich deutlich spürbar einmal die akademische Mehrheitsgesellschaft zu Wort, also Menschen, die Witze machen über Akademiker und die sich, wenn sie zwei Helle getrunken haben, und gut gelaunt sind, in der Kneipe über "die Jugend von heute" auslassen.

Könnte gut sein, dass sich hier unter anderem jene bestätigt fühlen, denen die neue Übersensibilität gegenüber Rassismus und Sexismus langsam lästig wird.

Der neuen Münchener Ermittlerin Cris entzieht man den bisherigen Partner, einen Leberkäs’ essenden Sechziger-Fan, und stellt ihr Otto Ikwuakwu an die Seite, der schwarz ist und schwul – das passt zur aktuellen Werbekampagne der Polizei mit dem Titel: "Bunter als du denkst".

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