Polizeiruf 110: Witze ja, aber bitte nicht über Wokeness!

Seite 2: Autoritäre Sehnsüchte, Sprechverbote und Cancel Culture

Zu Beginn wird der Doktorand eines ganz und gar nicht unrealistischen Instituts für "Postcolonial Studies" ermordet aufgefunden. Offenbar zu Tode gefoltert und mit der Aufschrift "RAPIST" auf dem nackten Körper.

Sein Tod kommt, wie sich herausstellt, einigen entgegen: Dem Mann wird Vergewaltigung vorgeworfen; zudem wollte er für den Posten der Frauenbeauftragten kandidieren, und in einem Buch über "Autoritäre Sehnsüchte, Sprechverbote und Cancel Culture in den Postcolonial Studies" hat er die Schattenseiten seiner Universität publik gemacht.

Und die sind tatsächlich übergroß und überall: Die Ermittler werden sogar mit der Behauptung konfrontiert, dass das Mordopfer seine "gerechte" Strafe erfahren habe. Denn der Mann war in einem Blog als Vergewaltiger denunziert worden. Allein schon diese anonyme Anschuldigung reichte aus, um ihn zu ächten.

An der Lösung des Falls ist daher keiner interessiert. Die Ermittler bekommen auf ihre Fragen von einer Studentin die Antwort: "Heute Morgen sind 47 afrikanische Migranten im Mittelmeer ertrunken. Wieso finden Sie nicht heraus, wer dafür verantwortlich ist?"

Ähnlich wie das Opfer gießt auch der Film Öl in die gerade lodernden gesellschaftlichen Feuer. Denn ausnahmsweise spitzt ein Krimi mal kompromisslose Haltungen weiter zu und zielt mitten hinein in aggressiven Feminismus, Cancel Culture, Hass, Wut und Arroganz linker Kreise, anstatt die Bösen wie so oft in Unternehmern und Rechtsextremisten zu finden.

Der Kniff dieses von Stefan Weigl ("Zeit der Kannibalen") geschriebenen Films: Es ist der Schwarze Otto Ikwuakwu, der die Fokussierung der Forschung auf Diskriminierung ablehnt. "Ausbeutung, Genitalverstümmelung, Burka – alles sekundär. Manchmal ist es kein Rassismus. Manchmal ist es bloß Dummheit".

"Misstrau' jedem, der sich selbst für gut und edel hält."

Die Ermittler geraten bei ihren Untersuchungen immer tiefer in eine recht typische, nur leicht zugespitzt gezeichnete Szene von akademischen Tugendwächterinnen, die in den Phrasen der Gender Studies sprechen.

Und auch ansonsten zeigt der Film die akademische Welt kaum überzeichnet, aber unverstellt in ihrer Absurdität, in der Studis einen Prof verklagen, weil er im Aufzug "eine unangemessene Bemerkung" gemacht hat (nach einem Kleidungskompliment, soll die Universitätsleitung "Maßnahmen" ergreifen); in der Türen bei einer polizeilichen Befragung offen gelassen werden, denn "So fühle ich mich wohler"; und Genderprofessorinnen es ernst meinen, wenn sie behaupten: "Unter patriarchalen Bedingungen kann es so etwas wie einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen Frauen und Männern grundsätzlich nicht geben."

Der Film ironisiert den ganzen Zeitgeist-Jargon von "Trigger", "Retraumatisierung", "Awarnerness" und so weiter. Hinter dem manchmal bemüht satirischen Grundton ist die Zielrichtung ernst: Es geht um die neuen Tugendwächter: "Eine Uni ohne freie Rede ist kurz vor dem Wahrheitsministerium." Und um die Selbstgerechtigkeit eines Milieus, in dem Moralismus zur Waffe des persönlichen Karrierismus geworden ist.

Die Figuren wissen: "Misstrau' jedem, der sich selbst für gut und edel hält." So plädiert der Film frech und lustig, und oft auf hohem intellektuellem Niveau für Sprach- und Denkfreiheit.

Gegen den Konformismus

Das wunderbare Lied "Little Boxes" von Malvina Reynolds, das dem Film den Titel gibt, erklingt fast am Ende. Auch dies ist eine Satire, es geht um den Konformismus in US-amerikanischen Vorstädten.

"Little boxes on the hillside
Little boxes made of ticky-tacky
Little boxes on the hillside
Little boxes all the same
There's a green one and a pink one
And a blue one and a yellow one
And they're all made out of ticky-tacky
And they all look just the same"

Da schließt sich der Kreis zum Vorspann, wo in der Münchner S-Bahn, mit der die Kommissarin zum Dienst fährt, alle Passanten, so bunt und divers sie auch "gelesen werden möchten", konformistisch in ihr Smartphone glotzen. Worauf Regisseur Dror Zahavi sie per Splitscreen in lauter kleine Boxen steckt, um diese Einfalt anschaulich zu machen.

Noch einmal dreht sich das Bild um 180 Grad – die Welt steht auf dem Kopf …

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