Kritik der ARD-Dokumentation "Ernstfall": Die Achterbahnfahrt der Ampel

Bild: SWR

Propaganda oder Analyse? Stefan Lamby porträtiert in der ARD die erste Halbzeit der Ampelregierung. Er fällt ein deutlich positives Urteil. Ist das angemessen?

Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.

Carl Schmitt

Mit einem Selfie fing es an. Und vielleicht war dieses Selfie, auf dem sich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen im September vor zwei Jahren Annalena Baerbock, Christian Lindner, Robert Habeck und Volker Wissing gemeinsam zeigten, wie eine Studi-Gruppe in der WG-Küche, verräterischer, als die Porträtierten selbst annahmen.

Denn ein Selfie zeigt ja vor allem erst einmal Narzissmus und Selbstbezogenheit. Und diese Selbstbezogenheit, der Streit darum, wer in dieser Ampel-WG den Müll runterbringt, wer gerade Spüldienst hat, und wer mal wieder dran ist mit Kloputzen, dieser Streit und der ihm zugrundeliegende Infantilismus prägt die ersten zwei Jahre.

Er ist die eigentliche Kontinuität eines Regierungs-Handelns, das ansonsten von einer von außen verursachten Disruption gekennzeichnet war.

Rudi Völler im Kanzleramt?

Bei der Fernsehdokumentation "Ernstfall. Regieren am Limit" (in der ARD-Mediathek) von Stefan Lamby handelt es sich um eine Langzeitdokumentation, die im nüchternen Stil einer erzählerischen, am US-amerikanischen Journalismus geschulten Reportage die ersten zwei Jahre der Regierung erzählt. Der Titel ist aber reißerischer als der dreiteilige Film.

"Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", schrieb der rechte Staatsrechtler Carl Schmitt. Der Ausnahmezustand, der Ernstfall bildet schmittianisch auch die Leit-Metapher in Lambys Film. Ist das angemessen? "Regieren am Limit" passt viel besser. Man könnte auch sagen: "Regieren unter Stress".

Und jeder, der diesen Hinweis auf Hochdruck, Entscheidungszwang und wenig Reflexionsmöglichkeiten voreilig in solchen Fällen als Verteidigungsaktion, als Frontbegradigung oder gar wie die rechtskonservative, mit der Rhetorik der AfD flirtende Neue Zürcher Zeitung als Propaganda-Stück etikettieren möchte, muss sich klarmachen, dass dieses Reden von Limit und Regieren unter Stress keineswegs nur eine Ausrede ist.

Nur Stammtischprahler und verblendete Ideologen behaupten ernsthaft, sie wären die besseren Fußballnationaltrainer und Bundeskanzler. Soll Rudi Völler vielleicht auch das Kanzleramt übernehmen, weil er besser mit den Franzosen klarkommt?

Der neue Souverän: Die Medien entscheiden über den Ausnahmezustand

Völler kommt auch mit den Medien besser klar. Denn es sind ja tatsächlich die Medien, die in den Verhältnissen der Mediendemokratie über den Ausnahmezustand entscheiden und zum Souverän erster Ordnung geworden sind.

Man versteht Regierungshandeln besser, wenn man Medienhandeln versteht.

NZZ

Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, dass die Politiker gut gelaunt sind. Vielleicht aber doch, denn die innere Verfassung eines Politikers strahlt auf sein Handeln, auf sein Selbstbewusstsein aus und wenn die Laune schlecht ist, mangelt es auch an Überzeugungskraft. Aus diesem Grund regiert es sich vielleicht auch gut ohne zu viele Reflexionen, zumindest so lange das Regieren keine Folgen zeigt.

Man muss sich auch vor der Flucht in Personalisieren und in das Psychologisieren des Politischen hüten. Erst recht muss man sich vor Küchenpsychologie hüten. Allerdings darf man Psychologie auch nicht beiseiteschieben, sie nicht ausschließen aus dem eigenen Nachdenken.

Robert Habeck ist so etwas wie der gar nicht mal heimliche Held von Lambys Film. An ihm kann man tatsächlich ablesen, was Politik mit Menschen macht und es ist angesichts des Drucks ganz erstaunlich, welche Resilienz Habeck am Ende noch an den Tag legt.

Habeck hat Nerven gezeigt, ganz anders als Olaf Scholz, der in der Krise immer ruhiger wird und der wie ein Fels in der Brandung zumindest wirkt. Bei keinem Regierungsmitglied kann man das Auf und Ab so klar erkennen. Kontrast ist der Kanzler. Das Auf und Ab, die Krisen und Anfeindungen.

Die Begründung bei Lamby bleibt allerdings ein wenig zu oft an der Oberfläche. Denn Lamby macht vieles von dem, was er beschreibt, letztendlich an den Umfragen fest, er begründet durch Umfragen. Umfragen sind aber letztendlich keine besonders triftige Begründung, wenn man beschreiben will, was so in den Köpfen vorgeht.

Die Kernfrage bleibt: Was kann die Regierung dazu beitragen, im globalen Kräftemessen zu bestehen?

Baerbocks diplomatische Misserfolge

"Es war einmal ..." Wie ein Märchen beginnt es mit Bildern des Anfangs und der Entschlossenheit zum Aufbruch in die Zukunft. Und dann kam doch alles ganz anders. Und der Zauber des Beginns zerschellte an der Realität.

Kaum zwei Monate nach Beginn der Regierung der Ampel begann – vielleicht sogar, um diese Übergangszeit auszunutzen – der Krieg der Ukraine. Die Ampelregierung musste sich von ExpertInnen wie Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht als "Kriegstreiber" beschimpfen lassen.

"Ernstfall – Regieren am Limit" hat neben viel Aufmerksamkeit auch den Vorwurf erhalten, nicht kritisch genug gewesen zu sein. Und tatsächlich stehen Olaf Scholz, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner manchmal, wie der Tagesspiegel notiert, "bedeutungsschwanger am Fenster, unterlegt mit dramatischer Musik".

Andererseits ist Lamby auch bissig und sarkastisch:

Die Koalition hat mehr Angst vor den deutschen Autofahrern als vor Wladimir Putin.

Und er kritisiert deutlich die diplomatischen Misserfolge von Annalena Baerbock in China und Indien, macht klar, dass ihre "wertebasierte Außenpolitik" vor allem rhetorisches Blendwerk ist und in der Sache falsch.

Erst am Ende fällt er ein deutlich positives Urteil:

Man muss der Mannschaft von Olaf Scholz zugutehalten, dass sie in der größten internationalen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg Schlimmeres verhindert hat. Das klingt klein, ist es aber nicht.

Der Film gehe geradezu enthusiastischer Weise affirmativ mit der Ampel um, wird ihm vorgeworfen. Ist er Propaganda?

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