Kritik der ARD-Dokumentation "Ernstfall": Die Achterbahnfahrt der Ampel
Seite 2: Propaganda geht anders
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Genügt, um die Vorwürfe der politischen Gegner von rechts zu rechtfertigen, die Behauptung, der Film sei "kritiklos begeistert" und verkläre die Regierung?
Man versteht die Regierung nach diesem Film vielleicht besser. Man hat kein Mitleid, Verständnis schon. Vielleicht sollte man ein wenig gerechter urteilen: Was hätte die Ampel denn anders machen sollen?
Die Rechten sagen: Atomkraftwerke laufen lassen, die Linken fordern radikaleren Klimaschutz, die anderen Linken mehr Geld für die Armen, die anderen Rechten Steuersenkungen.
Nun ist nicht jede politische PR gleich Propaganda. Und nicht jeder Film, der die Regierung porträtiert, ist PR. Zugleich empfiehlt es sich für politische Beobachter im Zweifel Kritik zu üben und nicht zu verteidigen, denn das Verteidigen, das Rechtfertigen, das Gut-Begründen übernimmt eine Regierung schon selber.
Wer sich gründlicher für Politik interessiert, wird in den 90 Minuten nicht viel Neues erfahren. Trotzdem ist es spannend, die Ereignisse dieser 18 Monate im Zeitraffer zu erleben, zumal sich Lamby nicht allein auf die Folgen des Ukraine-Kriegs beschränkt.
Immerhin macht der Film deutlich, unter welch erheblichem Druck eine Bundesregierung steht.
Dennoch bleiben Leerstellen. Lamby schafft es nicht, seinem Publikum die innere Logik, die Binnenlogik der einzelnen Koalitionsparteien verständlich zu machen.
Was nutzt es der FDP, ihre Standpunkte und einen radikal vereinseitigten Liberalismus derart primitiv zu vertreten, wenn sie doch in den Umfragen öffentlich als Streithansel dasteht und in den Umfragen permanent verliert, bis knapp vor die Grenze ihrer parlamentarischen Existenz? Und ihr ein Scheitern der Koalition angelastet würde.
Was nutzt es den Grünen, fundamentalistisch auf ihren Rand-Themen und moralistischer Nanny-Politik zu beharren, wenn sie doch damit in der breiten Bevölkerung und gerade auch unter ihren neo-bürgerlichen Wählerschichten permanent an Ansehen einbüßen?
Was nutzt es dem Kanzler, nicht mit der Bevölkerung zu kommunizieren, wo doch seine Kommunikationsdefizite seit 18 Monaten permanent öffentlich beklagt werden?
Und noch ein Aspekt kommt gar nicht vor, obwohl er wichtiger ist als alle Energiefragen: Wie wollen die Regierungsmitglieder verhindern, dass die faschistischen Strömungen im Land noch mehr Zulauf bekommen?
Ergänzend auch: Stephan Lamby: Ernstfall. Regieren in Zeiten des Krieges. Report aus dem Inneren der Macht. Verlag C.H. Beck, München 2023. 397 Seiten
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