Syrien: Russland – ein Verlierer mit Verhandlungsspielraum

Eine Landkarte mit Syrien in der Mitte die von einer Lupe erfasst wird

Russland konfiguriert seine Lage im Nahen Osten neu

(Bild: Rokas Tenys/Shutterstock.com)

Russland zählt zu den Verlierern in Syrien. Die Zukunft seiner Militärbasen steht auf dem Spiel. Doch Moskau richtet den Blick bereits auf mögliche Alternativen.

Am vergangenen 8. Dezember nahmen bewaffnete Kämpfer der islamistischen Organisation Hayat Tahrir al Sham (HTS) die syrische Hauptstadt Damaskus ein. Präsident Bashar al-Assad trat zurück und floh in die russische Hauptstadt Moskau. Wie sieht die Lage nun mit Blick auf Russlands Einfluss in der Region aus?

Russische Militäroperation erfolglos

Im Herbst 2015 startete Russland eine Militäroperation in Syrien, die darauf abzielte den Islamischen Staat (IS, in Russland verboten) zu bekämpfen, der sich zu diesem Zeitpunkt zu einem offen operierenden terroristischen Staatsgebilde im Nahen Osten entwickelt hatte.

Ebenso oder vor allem aber sollten der Sturz al-Assads verhindert und die militärische sowie territoriale Position der syrischen Staatsmacht gefestigt werden.

Ruslan Phukov, Direktor des Zentrum für Analysen von Strategien und Technologien (Cast, ein militärpolitischer Thinktank), fasst es in einer der größten Zeitungen Russlands, dem Kommersant, so zusammen, dass sich die russische Intervention im syrischen Bürgerkrieg vorläufig als erfolglos erwiesen habe.

"Die Grenzen der russischen Militärmacht reichten nicht aus, um die Gegner Assads vollständig zu besiegen, insbesondere vor dem Hintergrund ihrer direkten Unterstützung durch andere mächtige externe Akteure (die USA, die Türkei, die arabischen Monarchien) und sowohl die russische Seite als auch das syrische Regime waren gezwungen, im Wesentlichen einen Kompromiss über die Teilung Syriens einzugehen, was an sich schon ein verspäteter Verlust für die Assadisten war", so Phukov.

Seines Erachtens wäre es notwendig gewesen, sich rechtzeitig aus dem Feldzug zurückzuziehen, statt sich in einen langen Krieg zu verwickeln: "Wenn man innerhalb weniger Tage und Wochen einen Sieg erringt, diesen Erfolg aber nicht schnell politisch und militärisch absichern kann, wird man letztendlich verlieren, egal was man tut."

Russland soll Haltung überdenken

Interessant ist vor dem Hintergrund der Ereignisse, dass noch am 1. Dezember, also nachdem am Tag zuvor das Zentrum Aleppos durch die HTS besetzt worden war, der Kommandeur der russischen Streitkräfte in Syrien, Generalleutnant Sergej Kisel, ausgetauscht worden war.

Größere Aktionen seitens Russlands fanden in den Tagen darauf bis zum Rücktritt al-Assads jedoch nicht statt.

Die Russische Föderation unterhält zwei bedeutende Militärbasen nahe der Stadt Latakia in der gleichnamigen Provinz im Nordwesten Syriens; den Flottenstützpunkt Tartus sowie den Luftwaffenstützpunkt Hmeimim. Die Flächen beider Stützpunkte wurden der Russischen Föderation im Jahr 2017 zur kostenlosen Nutzung für 49 Jahre übertragen.

Deren Schicksal hängt nun ebenso von Verhandlungen ab. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Russland Kontakte mit der neuen Führung des Landes, dem politischen Komitee von HTS, aufgenommen hat.

Am Sonnabend erklärte der Chef der bewaffneten Gruppe, Ahmed al-Sharaa (auch Abu Mohammed al-Juliani) gegenüber Syria TV, dass Syrien beschlossen habe, Russland die Gelegenheit zu geben, die Beziehungen zum syrischen Volk zu überdenken.

"Wir haben versucht, die Russen nicht zu provozieren, damit sie ihre Haltung uns gegenüber überdenken", so al-Sharaa.

Die Organisation wird als Nachfolgerin der Al-Nusra-Front vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als terroristisch eingestuft und ist in der Russischen Föderation verboten.

In Russland selbst kommt es immer wieder zu islamistischen Anschlägen oder Anschlagsversuchen, so in der Republik Dagestan. Unter den Kämpfern der HTS befinden sich einige, die aus ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan oder Usbekistan stammen.

Will die russische Regierung ihre Stützpunkte in irgendeiner Form retten sowie einem weiteren Reputationsverlust entgehen, ist sie trotz ihrer ablehnenden Haltung zum radikalen Islamismus gezwungen mit der HTS-Führung Gespräche aufzunehmen.

Während westliche Medien von einem militärischen Abzug Russlands berichteten, gab es der heimischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bereits Gespräche Moskaus mit den neuen syrischen Behörden über den der Erhalt der Stützpunkte in Tartus und Hmeimim

Zuvor hatte das russische Außenministerium erklärt, dass sich die Militärbasen in höchster Alarmbereitschaft befänden, es jedoch keine ernsthafte Bedrohung für ihre Sicherheit gäbe. Zudem hätte die russische Seite vorübergehende Sicherheitsgarantien erhalten, sodass die Basen wie gewohnt funktionierten.

Geostrategische Bedeutung russischer Stützpunkte

Der Marinestützpunkt in Tartus bildet Russlands einzige Marineeinrichtung am Mittelmeer. Er dient als Zentrum für die Betankung, Versorgung sowie Reparatur der Mittelmeerflotte. Er ist Teil der Logistik für die Versorgung russischer Militärspezialisten in Afrika. Im Hafen von Tartus können zur gleichen Zeit elf russische Kriegsschiffe, darunter atomgetriebene, stationiert werden.

Auf dem Luftwaffenstützpunkt Hmeimim werden Flugzeuge mit militärischen sowie zivilen und humanitären Gütern betankt. Er bildet eine wichtige Zwischenstation für russische Flugzeuge Richtung Afrika.

Auf der Seite der russischen Nachrichtenagentur "African Initiative" diskutieren Expertinnen und Experten aus Politik und Medien die Möglichkeit des Verlusts der Stützpunkte, ihre Bedeutung und Alternativen hinsichtlich des afrikanischen Kontinents.

Auch ohne die Militärbasen könnte Russland seine militärische Präsenz in Afrika aufrechterhalten, doch würde dies eine erhebliche Umstrukturierung und Komplizierung der Logistik erfordern, meint Juri Ljamin, leitender Forscher am Cast.

Hinsichtlich der Türkei, welche die syrischen Behörden unterstütze, habe man es mit sehr komplexen Beziehungen zu tun, auch in Afrika. An einigen Stellen stimmten die Interessen überein, an anderen stünden sie im Widerspruch zueinander.

In solchen Fällen müsse man verstehen, dass die Türkei bereit ist, jede Schwachstelle oder Abhängigkeit zu nutzen, um russische Interessen anzugreifen, wenn sie glaube, dass ihr dies einen gewissen Nutzen bringt.

Laut Sergei Balsamov, Analyst am Zentrum für Krisenforschung, sollte dabei jedoch bedacht werden, dass Ankara selbst wirtschaftliche Probleme habe.

Die Ernährung vieler Millionen Syrer in einem Land mit einer zerrütteten Wirtschaft sei für Erdogan (als wichtigster Verbündeter der HTS) schwierig. Syrien benötige Öl und Getreide, wobei Russland als Handelspartner ins Spiel kommen und seine Verhandlungsposition stärken könnte.

Alternativen zu Syrien

Mit Blick auf den afrikanischen Kontinent wird in der Analyse das für Russland wichtige Land Libyen genannt. Dort verfügt die Föderation über Öl und Gas, hat aber gleichzeitig stark divergierende sowie konkurrierende Interessen mit der Türkei.

Als Alternativen zu den russischen Stützpunkten in Syrien werden der Sudan und Eritrea am Roten Meer ins Spiel gebracht. Mit beiden Ländern hat es in der Vergangenheit entsprechende Gespräche und Verhandlungen gegeben.

Im Sudan herrscht jedoch ein heftiger Bürgerkrieg, was die Verhandlungen erschwert und die Garantie der Sicherheit eines Stützpunkts verkompliziert.

Nicht zuletzt aufgrund der Nähe zum Suezkanal wird das gegenüber verschiedenen Groß- und Regionalmächten kaum durchsetzbar sein. Eritrea sei bereit mit Russland zu günstigen Konditionen zusammenzuarbeiten, doch gilt hier ebenso das Problem des engen geopolitischen Spielraums aufseiten der Russischen Föderation.

Die Ereignisse bleiben abzuwarten, da sie von zahlreichen Faktoren abhängen; nicht zuletzt von den Interessen bedeutender globaler Akteure wie den USA, Frankreichs oder Chinas, die einerseits in dem Raum untereinander konkurrieren und andererseits an einer gewissen Aufrechterhaltung des derzeitigen Kräftegleichgewichts in Afrika interessiert sind.