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Preisexplosion bei Düngemitteln – eine Chance für die Agrarwende?

Wegen Teuerungen und unterbrochenen Lieferketten drohen Düngemittel knapp zu werden. Doch die Krise birgt auch Chancen für die Landwirtschaft

Ende Januar haben in Mecklenburg-Vorpommern Bauern mit ihren Traktoren in und um Schwerin gegen eine neue Landesdüngeverordnung protestiert. Hintergrund: In dem nordöstlichen Bundesland ist das Wasser vielerorts in einem hohen Maße mit Nitrat belastet. Deshalb entschied die Landesregierung, die sogenannten roten Flächen mit Düngeverbot weiter auszuweiten [1]. Landwirte sollen ihren Düngemitteleinsatz um 20 Prozent reduzieren.

Bislang sollen hohe Nährstoffeinträge reiche Ernten sichern. Darum sehen viele Bauern nicht ein, warum sie weniger düngen und auf Erträge verzichten sollen. Verständlich, denn mit geringeren Erträgen erzielen sie weniger Einkommen. Gleichzeitig belasten zu hohe Düngermengen die Umwelt und bedrohen Ökosysteme wie Flüsse, Seen und Meere.

Wie hoch dürfen die Düngermengen für Acker und Grünland sein, damit sie Böden und Grundwasser nicht belasten und gerade noch klimaneutral sind? Diese Frage wird seit Jahren diskutiert.

Nicht nur Experten fordern, die Düngermengen zu reduzieren. Wegen zu hoher Nitratwerte wurde Deutschland von der Europäischen Union bisher mehrfach gerügt. Doch passiert ist bisher sehr wenig. Nun könnten ökonomische Überlegungen längst überfällige Entscheidungen beschleunigen.

Preisschock im Agrobusiness

Kunstdünger, der nach dem Haber-Bosch-Verfahren hergestellt wurde, sicherte seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Ernährung vieler Menschen und ermöglichte ein enormes Bevölkerungswachstum. In Deutschland war der Kunstdünger die Basis für ertragreichen Ackerbau, mit einem Selbstversorgungsgrad von 101 Prozent bei Getreide [2]. Allerdings steigt der Verbrauch von Mineraldünger seit Jahren an. Wie viele andere Länder ist Deutschland abhängig von Düngemittelimporten.

Unter anderem, weil sich das Erdgas verteuerte, ist der Preis für Kunstdünger seit Jahresbeginn weltweit gestiegen. So war im Herbst eine Tonne Ammoniak mit 900 US-Dollar dreimal so teuer wie im Vorjahr.

In Russland werden weltweit 23 Prozent des Ammoniaks und 14 Prozent des Harnstoffes, auf der Grundlage von Erdgas, hergestellt. Neben Brasilien geht ein erheblicher Teil des russischen Ammoniumnitrats bislang nach Europa.

Vor dem aktuellen politischen Hintergrund verhängte Russland nun ein zweimonatiges Ausfuhrverbot für Ammoniumnitrat [3] – vorläufig bis Ende März. Auf diese Weise sollen mehr Düngemittel im Land bleiben und die Inlandspreise kontrolliert werden, heißt es.

Als weiterer Grund wird genannt, dass immer weniger Containerschiffe russische Häfen anlaufen [4]; es fehlen schlicht Container, um Düngemittel zu exportieren.

Gründüngung als Ersatz für mineralischen Stickstoffdünger

Die heutige Mineraldünger-Industrie basiert auf der Mineralstofftheorie, die Justus von Liebig vor mehr als 150 Jahren entwickelte [5]. Wobei Liebig den mineralischen Stickstoff als Dünger als eher gering einschätzte. Er suchte zu beweisen, dass Stickstoff im Boden reichlich vorhanden sei und für das Pflanzenwachstum ausreichen müsse. Damit bezog er sich auch auf den fruchtbaren Ackerboden in Russland.

Ob ihm damals schon bekannt war, dass Hülsenfrüchte, die der Familie der Schmetterlingsblütler angehören, mit Hilfe von Knöllchenbakterien Stickstoff aus der Luft aufnehmen, über die Wurzel im Boden binden und ihn pflanzenverfügbar machen können? Die so genannten Leguminosen [6] bilden weit verzweigte Wurzelsysteme, die den Boden auflockern.

Sterben Pflanzen und Wurzeln ab, freuen sich Bodenorganismen über die Pflanzenreste, die sie in wertvollen Humus umwandeln. Auf diese Weise erhöhen Hülsenfrüchte nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern steigern auch die Erträge zahlreicher Ackerkulturen.

Futtererbsen, Soja- oder Ackerbohnen enthalten teilweise mehr als 40 Prozent Eiweiß. Somit sind sie als Futtermittel für Nutztiere mit hohem Eiweißbedarf wie Schweine, Rinder und Hühner bestens geeignet [7].

Lupinen sind anspruchslos, vertragen Frost und Hitze. Mit ihren meterlangen Pfahlwurzeln können sie Nährstoffe und Wasser selbst aus großen Tiefen pumpen. Die Lupine beansprucht ein Fünftel der Fläche, die eine Kuh samt Futter einnimmt, weiß Lupinenexperte Peter Eisner vom Fraunhofer-Institut in Freising. Sie hätte das Potenzial, das problematische Soja aus Brasilien zu ersetzen [8].

Hohe Düngermengen sichern nicht automatisch höhere Erträge

Ob umgekippte Seen, Algenteppiche oder tote Flüsse – die hohe Stickstoffbelastung befeuert nicht nur das Artensterben. Auch ganze Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht. Zudem verursacht der Kunstdünger Lachgasemissionen, die dem Klima schaden. Wenn wir jetzt nicht umsteuern, wird dies langfristig enorme ökonomische Schäden verursachen, befürchtet David Wüpper von der ETH Zürich.

Der Stickstoffdünger auf den Feldern ließe sich ohne großen Aufwand reduzieren, davon ist der Schweizer Agrarökonom überzeugt. Allein schon, weil die meisten Landwirte viel zu hohe Mengen an Mineraldünger auf die Felder ausbringen.

Der Einsatz von Düngemitteln ist nicht nur global extrem ungleich verteilt [9]. Weil der Stickstoff größtenteils als Nitrat vorliegt, unterliegt er im Boden starken Schwankungen und wird schnell ausgewaschen.

Im Verhältnis zu den Ernteerträgen ist die Umweltverschmutzung ungleich höher. So beträgt die Ertragsdifferenz bei Ländern, die 35 Prozent weniger Stickstoffbelastung verursachen als ihre Nachbarn, nur etwa ein Prozent. Zu diesem Ergebnis kommen Wüpper und sein Forscherteam in einer Studie [10], die 2020 veröffentlicht wurde.

Während es den Böden im Globalen Süden an Stickstoff fehlt, gehen die Industrie- und Schwellenländer äußerst verschwenderisch mit dieser Ressource um. Vor allem Staaten wie Malaysia, Neuseeland, Vietnam, Indien und China bringen jedes Jahr Hunderte von Kilogramm Dünger pro Hektar aus, Tendenz steigend.

In vielen Ländern Europas sind die Düngermengen in den vergangenen Jahrzehnten zwar gesunken, verharren aber auf hohem Niveau. Oft landet weniger als die Hälfte des eingesetzten Stickstoffs in den Pflanzen. Deutschland liegt mit einer Düngereffizienz von 63 Prozent noch hinter Österreich mit 86 Prozent.

Dabei könnten durch präziseres Düngen nicht nur Stickstoffgrenzwerte eingehalten werden, sondern es würde immer noch genügend Nahrung zu produziert. Zudem könnte – ganz ohne Ernteverluste – mehr als ein Drittel des Stickstoffs weltweit eingespart werden. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer Studie aus Österreich [11], die im September 2021 veröffentlicht wurde.

Voraussetzung ist eine eingehende Bodenanalyse sowie eine Düngung zum richtigen Zeitpunkt. Auf diese Weise würden nicht nur Düngemittel und Pestizide eingespart, sondern auch kostengünstiger gewirtschaftet.

Effizienter düngen – mit Gülle, Jauche und Mist

Wird der Stickstoff hierzulande zu 93 Kilogramm pro Hektar als Kunstdünger auf die Felder gebracht, so besteht er immerhin zu 96 Kilogramm als Gülle und Mist. Die ausgebrachten Mengen konzentrieren sich vorwiegend in den Regionen, in denen Schweine, Rinder und Geflügel intensiv gemästet werden, etwa in Niedersachsen oder in Nordrhein-Westfalen.

Auch bei tierischen Exkrementen gibt es vom Stall bis auf den Acker enorme Emissionen an Ammoniak und Stickoxiden sowie klimaschädlichem Lachgas. All diese Verbindungen werden leicht vom Regen ausgewaschen.

Allerdings bilden im Gegensatz zum Kunstdünger Gülle, Jauche und Mist mehr oder weniger effiziente Stoffkreisläufe, räumt Philipp Löw ein [12]. Ziel müsse es sein, den Wirtschaftsdünger effizienter zu nutzen, erklärt der Agrarforscher des Thünen-Instituts in Braunschweig.

Dafür braucht es ein optimiertes Ackerbaumanagement – zum Beispiel über zielgerichtete Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Nutzflächen: neben Zwischenfrüchten wie Leguminosen in sinnvollen Fruchtfolgen mit schonender Bodenbearbeitung und Humusaufbau.

Was die Preissteigerungen bei Kunstdünger angeht, so begreift der Agrarexperte die aktuelle Krise als Chance [13], effiziente Landwirtschaft und Naturschutz zu verbinden. Denn, so glaubt er, wenn die Bauern Boden, Klima und Umwelt schützen, profitieren am Ende alle davon.

Farm-to-Fork: Weniger Düngermittel – weniger Pestizide

Können wir uns Ökolandbau überhaupt leisten, fragen Agrarexperten häufig. Inzwischen muss die Frage lauten: Können wir uns die konventionelle Landwirtschaft noch leisten?

Teure Düngerpreise sind nur die sichtbaren Kosten in der Gesamtbilanzierung. Ausgelaugte Böden, vergiftete Böden, belastetes Grundwasser und Ähnliches sind die versteckten Kosten, die in keiner betriebswirtschaftlichen Rechnung auftauchen, die aber die nächste Generation wird bezahlen müssen. Die Kosten für die Aufarbeitung des Trinkwassers ist hierin nicht mit eingerechnet.

Die im Rahmen des europäischen Green Deal beschlossenen Farm-to-Fork-Strategie [14] sieht vor, die Mengen an Pflanzenschutzmitteln bis 2030 zu halbieren. Europas Bauern sollen 20 Prozent weniger Düngemittel einsetzen.

25 Prozent der europäischen Agrarflächen sollen ökologisch bewirtschaftet werden. Bislang fehlten präzise Angaben darüber, wie und in welchen Zeiträumen die Bauern diese Ziele erreichen sollen, klagte Topagrar-Autor Konstantin Kockerols vor knapp einem Jahr.

Allerdings war da die aktuell kriegsbedingte Verknappung und Verteuerung von Düngemitteln noch nicht abzusehen. Angesichts der enormen Preiserhöhungen bei Düngemitteln forderten der EU-Agrarkommissar und Vertreter des Deutschen Bauernverbandes kürzlich, die oben genannten Ziele "auf den Prüfstand zu stellen" und gegebenenfalls zu "korrigieren".

Doch wenn wir jetzt nicht umsteuern, warnen hingegen Experten, werde die Stickstoffbelastung durch Kunstdünger langfristig enorme ökonomische Schäden verursachen. Die beschriebenen konkreten Ansätze können und sollen helfen, die Farm-to-Fork-Strategie, die die EU-Kommission vor knapp zwei Jahren formulierte, endlich auf den Weg zu bringen.

Ökologische Landwirtschaft – ein Weg aus der Krise?

Eine andere häufig gestellte Frage ist: Kann der Ökolandbau überhaupt alle Menschen ernähren? Wer immer nur auf die geringeren Erträge im Vergleich zum konventionellen Anbau verweist, sollte genauer hinschauen. Denn es gibt große Unterschiede [15] innerhalb der Kulturen. So können die Erträge bei Feldsalat schon mal bei 90 Prozent, bei Äpfeln bei 76 Prozent liegen.

Manchmal ernten Biobauern sogar bis zu einem Drittel mehr Mais, weil ihre Systeme besser mit Trockenheit klarkommen. Im Soja-Anbau konnten Demeter-Bauern bereits größere Ernten einfahren [16], weil ihr Boden mit mehr Humus angereichert ist.

Auch unter tropischen Klimabedingungen hat sich die ökologische Bewirtschaftung bewährt. Denn hier wird häufig natürlicher Dünger, wie etwa Kompost, eingesetzt. Das zeigt eine Langzeituntersuchung [17], die von 2007 bis 2019 verschiedene Anbausysteme in Kenia, Indien und Bolivien miteinander verglich.

Mittlerweile sind wir in einer multifaktoriellen Krise angekommen: Neben fortschreitendem Klimawandel sind die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise noch nicht aufgearbeitet.

Als wären das nicht genug Probleme, haben wir nun auch noch einen Krieg in Europa, der Verteuerungen in allen Bereichen mit sich bringt. So entwickelt sich unser Luxus-Leben mit vormals niedrigen Ölpreisen allmählich zu einer Frage des Über-Lebens.

Wie können wir unsere Nahrungsmittelproduktion den sich ändernden Bedingungen anpassen? Diese Frage ist aktueller denn je. Die Antworten liegen auf dem Tisch: Indem wir unsere Lebensmittel ohne synthetische Düngemittel und Pestizide produzieren, in Betrieben mit nachhaltiger Kreislaufwirtschaft, der möglichst wenige Ressourcen von außen zugeführt werden.

An die Stelle von Mineraldünger und Pestiziden treten betriebseigene Wirtschaftsdünger und Futtermittel, mechanische Beikrautregulierung, Nützlinge, Humusaufbau und vielfältige Fruchtfolgen. Eine solche Agrarwende geht natürlich nicht von heute auf morgen. Der Vorteil in Bezug auf das Düngen läge auf der Hand: Wir müssten, um eigene Lebensmittel zu produzieren, zumindest keinen teuren Importdünger mehr einkaufen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6548738

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.agrarheute.com/politik/duengeverordnung-schock-mv-rote-gebiete-verdreifacht-589210
[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76625/umfrage/selbstversorgungsgrad-in-deutschland-mit-getreide-seit-1994-95/
[3] https://www.agrarheute.com/markt/duengemittel/duengerpreise-spielen-verrueckt-russland-stoppt-export-ammonium-590099
[4] https://www.focus.de/finanzen/news/reaktion-auf-sanktionen-stoppt-russland-duenger-exporte-das-steckt-hinter-moskaus-ankuendigung_id_64670709.html
[5] https://unterrichten.zum.de/wiki/Bodenhistorie/Justus_von_Liebig:_Mineralstofftheorie_und_Bodend%C3%BCngung
[6] https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/pflanzensteckbriefe/leguminosen
[7] https://www.oekolandbau.de/bio-im-alltag/wissenswertes/tag-der-huelsenfruechte/
[8] https://www.ugb.de/lebensmittel-zubereitung/lupine/
[9] https://ourworldindata.org/fertilizers#excess-fertilizer-use-which-countries-cause-environmental-damage-by-overapplying-fertilizers
[10] https://www.nature.com/articles/s43016-020-00185-6
[11] https://www.nature.com/articles/s43016-021-00366-x
[12] https://www.thuenen.de/en/infrastructure/coordination-units-climate-and-soil/team/m-sc-philipp-loew/
[13] https://www.spektrum.de/news/landwirtschaft-das-duengerdilemma-das-keines-ist/1987294?utm_source=pockeet-nwtab-global-de-DE
[14] https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/farm-to-fork-strategie-noch-immer-ohne-folgenabschaetzung-12572969.html
[15] https://www.oekolandbau.de/handel/marktinformationen/der-biomarkt/marktberichte/ertraege-im-biologischen-und-konventionellen-landbau/
[16] https://www.fr.de/politik/maerchen-mageren-bio-ernte-11059323.html
[17] https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/umwelt/biodiversitaet/oeko-landbau-eine-alternative-fuer-die-landwirtschaft-im-globalen-sueden/