Preisexplosion bei Düngemitteln – eine Chance für die Agrarwende?
- Preisexplosion bei Düngemitteln – eine Chance für die Agrarwende?
- Effizienter düngen – mit Gülle, Jauche und Mist
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Wegen Teuerungen und unterbrochenen Lieferketten drohen Düngemittel knapp zu werden. Doch die Krise birgt auch Chancen für die Landwirtschaft
Ende Januar haben in Mecklenburg-Vorpommern Bauern mit ihren Traktoren in und um Schwerin gegen eine neue Landesdüngeverordnung protestiert. Hintergrund: In dem nordöstlichen Bundesland ist das Wasser vielerorts in einem hohen Maße mit Nitrat belastet. Deshalb entschied die Landesregierung, die sogenannten roten Flächen mit Düngeverbot weiter auszuweiten. Landwirte sollen ihren Düngemitteleinsatz um 20 Prozent reduzieren.
Bislang sollen hohe Nährstoffeinträge reiche Ernten sichern. Darum sehen viele Bauern nicht ein, warum sie weniger düngen und auf Erträge verzichten sollen. Verständlich, denn mit geringeren Erträgen erzielen sie weniger Einkommen. Gleichzeitig belasten zu hohe Düngermengen die Umwelt und bedrohen Ökosysteme wie Flüsse, Seen und Meere.
Wie hoch dürfen die Düngermengen für Acker und Grünland sein, damit sie Böden und Grundwasser nicht belasten und gerade noch klimaneutral sind? Diese Frage wird seit Jahren diskutiert.
Nicht nur Experten fordern, die Düngermengen zu reduzieren. Wegen zu hoher Nitratwerte wurde Deutschland von der Europäischen Union bisher mehrfach gerügt. Doch passiert ist bisher sehr wenig. Nun könnten ökonomische Überlegungen längst überfällige Entscheidungen beschleunigen.
Preisschock im Agrobusiness
Kunstdünger, der nach dem Haber-Bosch-Verfahren hergestellt wurde, sicherte seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Ernährung vieler Menschen und ermöglichte ein enormes Bevölkerungswachstum. In Deutschland war der Kunstdünger die Basis für ertragreichen Ackerbau, mit einem Selbstversorgungsgrad von 101 Prozent bei Getreide. Allerdings steigt der Verbrauch von Mineraldünger seit Jahren an. Wie viele andere Länder ist Deutschland abhängig von Düngemittelimporten.
Unter anderem, weil sich das Erdgas verteuerte, ist der Preis für Kunstdünger seit Jahresbeginn weltweit gestiegen. So war im Herbst eine Tonne Ammoniak mit 900 US-Dollar dreimal so teuer wie im Vorjahr.
In Russland werden weltweit 23 Prozent des Ammoniaks und 14 Prozent des Harnstoffes, auf der Grundlage von Erdgas, hergestellt. Neben Brasilien geht ein erheblicher Teil des russischen Ammoniumnitrats bislang nach Europa.
Vor dem aktuellen politischen Hintergrund verhängte Russland nun ein zweimonatiges Ausfuhrverbot für Ammoniumnitrat – vorläufig bis Ende März. Auf diese Weise sollen mehr Düngemittel im Land bleiben und die Inlandspreise kontrolliert werden, heißt es.
Als weiterer Grund wird genannt, dass immer weniger Containerschiffe russische Häfen anlaufen; es fehlen schlicht Container, um Düngemittel zu exportieren.
Gründüngung als Ersatz für mineralischen Stickstoffdünger
Die heutige Mineraldünger-Industrie basiert auf der Mineralstofftheorie, die Justus von Liebig vor mehr als 150 Jahren entwickelte. Wobei Liebig den mineralischen Stickstoff als Dünger als eher gering einschätzte. Er suchte zu beweisen, dass Stickstoff im Boden reichlich vorhanden sei und für das Pflanzenwachstum ausreichen müsse. Damit bezog er sich auch auf den fruchtbaren Ackerboden in Russland.
Ob ihm damals schon bekannt war, dass Hülsenfrüchte, die der Familie der Schmetterlingsblütler angehören, mit Hilfe von Knöllchenbakterien Stickstoff aus der Luft aufnehmen, über die Wurzel im Boden binden und ihn pflanzenverfügbar machen können? Die so genannten Leguminosen bilden weit verzweigte Wurzelsysteme, die den Boden auflockern.
Sterben Pflanzen und Wurzeln ab, freuen sich Bodenorganismen über die Pflanzenreste, die sie in wertvollen Humus umwandeln. Auf diese Weise erhöhen Hülsenfrüchte nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern steigern auch die Erträge zahlreicher Ackerkulturen.
Futtererbsen, Soja- oder Ackerbohnen enthalten teilweise mehr als 40 Prozent Eiweiß. Somit sind sie als Futtermittel für Nutztiere mit hohem Eiweißbedarf wie Schweine, Rinder und Hühner bestens geeignet.
Lupinen sind anspruchslos, vertragen Frost und Hitze. Mit ihren meterlangen Pfahlwurzeln können sie Nährstoffe und Wasser selbst aus großen Tiefen pumpen. Die Lupine beansprucht ein Fünftel der Fläche, die eine Kuh samt Futter einnimmt, weiß Lupinenexperte Peter Eisner vom Fraunhofer-Institut in Freising. Sie hätte das Potenzial, das problematische Soja aus Brasilien zu ersetzen.
Hohe Düngermengen sichern nicht automatisch höhere Erträge
Ob umgekippte Seen, Algenteppiche oder tote Flüsse – die hohe Stickstoffbelastung befeuert nicht nur das Artensterben. Auch ganze Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht. Zudem verursacht der Kunstdünger Lachgasemissionen, die dem Klima schaden. Wenn wir jetzt nicht umsteuern, wird dies langfristig enorme ökonomische Schäden verursachen, befürchtet David Wüpper von der ETH Zürich.
Der Stickstoffdünger auf den Feldern ließe sich ohne großen Aufwand reduzieren, davon ist der Schweizer Agrarökonom überzeugt. Allein schon, weil die meisten Landwirte viel zu hohe Mengen an Mineraldünger auf die Felder ausbringen.
Der Einsatz von Düngemitteln ist nicht nur global extrem ungleich verteilt. Weil der Stickstoff größtenteils als Nitrat vorliegt, unterliegt er im Boden starken Schwankungen und wird schnell ausgewaschen.
Im Verhältnis zu den Ernteerträgen ist die Umweltverschmutzung ungleich höher. So beträgt die Ertragsdifferenz bei Ländern, die 35 Prozent weniger Stickstoffbelastung verursachen als ihre Nachbarn, nur etwa ein Prozent. Zu diesem Ergebnis kommen Wüpper und sein Forscherteam in einer Studie, die 2020 veröffentlicht wurde.
Während es den Böden im Globalen Süden an Stickstoff fehlt, gehen die Industrie- und Schwellenländer äußerst verschwenderisch mit dieser Ressource um. Vor allem Staaten wie Malaysia, Neuseeland, Vietnam, Indien und China bringen jedes Jahr Hunderte von Kilogramm Dünger pro Hektar aus, Tendenz steigend.
In vielen Ländern Europas sind die Düngermengen in den vergangenen Jahrzehnten zwar gesunken, verharren aber auf hohem Niveau. Oft landet weniger als die Hälfte des eingesetzten Stickstoffs in den Pflanzen. Deutschland liegt mit einer Düngereffizienz von 63 Prozent noch hinter Österreich mit 86 Prozent.
Dabei könnten durch präziseres Düngen nicht nur Stickstoffgrenzwerte eingehalten werden, sondern es würde immer noch genügend Nahrung zu produziert. Zudem könnte – ganz ohne Ernteverluste – mehr als ein Drittel des Stickstoffs weltweit eingespart werden. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer Studie aus Österreich, die im September 2021 veröffentlicht wurde.
Voraussetzung ist eine eingehende Bodenanalyse sowie eine Düngung zum richtigen Zeitpunkt. Auf diese Weise würden nicht nur Düngemittel und Pestizide eingespart, sondern auch kostengünstiger gewirtschaftet.