Preispoker um neue Aids-Medikamente

Einkaufskonsortium soll Hilfe für Afrika finanzierbar halten

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Patente halten die Medikamentenpreise hoch, nur selten senkt ein Pharmakonzern freiwillig die Preise, und dann nicht aus humanitären Gründen (Der Pharmakonzern Merck senkt die Preise für AIDS-Medikamente in Entwicklungsländern). Die Clinton-Stiftung will die Preisspirale nun durch organisierten Medikamenteneinkauf stoppen.

Nicht mehr apokalyptisch, nein: nur noch katastrophal, sei die Lage der von HIV/Aids betroffenen Menschen in Afrika, sagte unlängst Stephen Lewis, der UN-Beauftragte für HIV/Aids in Afrika. Lewis äußerte damit seine Erleichterung darüber, dass in jüngster Zeit auch in den ärmsten Staaten Afrikas Behandlungsprogramme für Aids-Kranke angelaufen sind (siehe auch: Vax-Rundbrief 6/05).

Rund ein Zehntel aller Aidskranken Afrikas wird inzwischen medikamentös versorgt, und die Programme sollen weiter ausgebaut werden. Doch Nichtregierungsorganisationen wie etwa Ärzte ohne Grenzen warnen: Auf dem Markt für Aids-Medikamente droht eine Preisspirale nach oben, die die mühsamen Erfolge im Kampf gegen Aids wieder zunichte machen könnte. Mit der Organisation eines globalen Einkaufskonsortiums versucht die Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, diese Entwicklung aufzuhalten.

Nachdem in den vergangenen fünf Jahren die Preise für die Standard-Kombinationstherapie gegen Aids drastisch gesunken sind, erklärt sich der neuerlich drohende Preisdruck dadurch, dass eine zunehmende Zahl von Patienten auf einen Wechsel ihrer Therapielinie angewiesen ist. Diese Patienten vertragen die gängige 3er-Kombinationspille nicht mehr, oder sie sind resistent gegen einzelne Wirkstoffe geworden, weshalb sie auf neu entwickelte Medikamente angewiesen sind. Doch die kosten fünf bis zwanzig Mal so viel wie die der Standard-Therapie.

Standard-Medikamente helfen nicht mehr

Wenn sich die staatlichen Budgets für die Aids-Bekämpfung künftig diesen hohen Preisen anpassen müssen, sind das für den globalen Kampf gegen die Pandemie sehr beunruhigende Aussichten – bei ohnehin knappen Budgets müssten die Staaten einen Spagat vollbringen und sowohl die Behandlung ausweiten wie auch die höheren Kosten für die bestehenden Programme auffangen.

Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hat das Problem erkannt: "Die Behandlung von Aids-Kranken ist eine lebenslange Verpflichtung, und mit einer Zahl von zur Zeit einer Million Menschen in Behandlung liegt die Herausforderung zunehmend darin, die Kosten auf einer erträglichen Höhe zu halten", erklärte er im Januar auf einer Pressekonferenz der HIV/Aids-Initiative seiner Stiftung, der William J. Clinton Foundation.

Durch Verhandlungen mit Generika-Produzenten hat Clintons Stiftung im Jahr 2003 zu den Preisreduzierungen auf dem Markt für die Standard-Therapie-Linien erheblich beigetragen: Damals erklärten sich vier indische und ein südafrikanischer Anbieter bereit, Teilnehmern der "Clinton-Initiative" das täglich zwei Mal einzunehmende Standard-Kombi-Präparat zur Aids-Behandlung zum Preis von rund 140 Dollar pro Patient und Jahr zur Verfügung zu stellen. Die Stiftung erklärte, bis 2009 zwei Millionen Patienten in über 100 Staaten erreichen zu wollen – bis heute sind aber "erst" 32 Staaten dem Einkaufs-Konsortium der Stiftung beigetreten; Ende 2005 versorgen sie nach Angaben der Stiftung rund 240 000 Kranke mit den preisreduzierten Medikamenten.

Geschickter Einkauf drückt den Preis

Nun hat die Stiftung des Ex-Präsidenten ein neues Verhandlungsergebnis vorgelegt: Drei Unternehmen aus Indien und eines aus Südafrika erklärten sich bereit, für Einkäufer aus dem Konsortium der Clinton-Stiftung die Preise für zwei neuere Medikamente, die in der Ersatz-Behandlung eine wichtige Rolle spielen – Efavirenz und Abacavir – um ein Drittel beziehungsweise um die Hälfte zu senken. Sechs Wochen nach der Präsentation des neuen Preisangebotes der Generika-Hersteller reagierte bereits der Originalhersteller für Efavirenz: Anfang März erklärte Merck, sein Medikament Stocrin (der Markenname für Efavirenz) in armen Ländern um 20 Prozent günstiger anzubieten.

Damit erzielte die Stiftung einmal mehr mit ihrer Strategie Erfolg, Anbieter und Käufer auf dem unübersichtlichen globalen Markt der Arzneimittel zusammenzubringen, um durch möglichst große Bestellungen Preissenkungen möglich zu machen, denen anzuschließen sich in Folge auch die Originalhersteller genötigt sehen. Allerdings ist es nur bedingt "ideologisch" begründet, wenn die Stiftung des Ex-Präsidenten den Teilnehmern ihrer HIV/Aids-Initiative bisher allein Angebote von Generika-Herstellern vermittelt. Grundsätzlich würde sie auch gerne Angebote von Originalherstellern annehmen, erklärt der pharmazeutische Direktor der Stiftung, Anil Soni. Doch die Stiftung fordere von den Produzenten, mit denen sie in Verhandlung tritt, dass die von ihnen angebotenen Preise allein die Produktionskosten widerspiegeln dürfen (plus eine minimale Gewinnmarge), und auf diesen Geschäftsgrundsatz hätten sich bisher – so bedauert Soni – nur die Generika-Produzenten einlassen wollen. Die Original-Hersteller dagegen verweigerten sich einer solchen Berechnungsgrundlage – zum einen, weil sie dafür ihre Geschäftszahlen rausrücken müssten, zum anderen, weil sich auch ihre Forschungs- und Entwicklungskosten möglichst rasch amortisieren sollen.

Erste Verhandlungserfolge

Es sei in diesem Jahr eine der Prioriäten seiner Stiftung, weitere Preissenkungen zu erreichen, erklärte Bill Clinton bei der Vorstellung des Verhandlungsergebnisses zu Beginn des Jahres. Doch ob es seiner Stiftung tatsächlich gelingen wird, für den gesamten Markt der neueren, "2nd-line" genannten Medikamente einen Preisdruck nach unten auszuüben, steht bisher in den Sternen. Denn das Angebot auf dem "2nd-line"-Markt ist viel eingeschränkter als das auf dem Markt der gängigen "1st-line"-Therapien. Einige der wichtigsten Alternativ-Präparate – Tenofovir etwa oder das Kombi-Präparat Kaletra – werden noch gar nicht generisch hergestellt; und nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen werden sie in den meisten Staaten Afrikas noch nicht einmal angeboten. Die Nichtregierungsorganisationen aus dem Bereich der Aids-Hilfe befürchten weiterhin, dass die Produktion neuer Nachahmer-Medikamente auch in Zukunft ausbleiben könnte, nachdem Indien sein Patentrecht an WTO-Vorgaben anpassen musste. Demnach muss sich Indiens Nachahmer-Industrie seit 2005 erst um die Lizenz der Originalhersteller bemühen, bevor sie mit der eigenen Produktion loslegen darf.

Inzwischen hat der erste Original-Hersteller eines Aids-Medikamentes in Indien erfolgreich ein Patent auf sein Medikament Combivir angemeldet. Die Konkurrenz von Seiten der Generika-Hersteller droht damit zu erlahmen. Efavirenz und Abacavir dagegen werden in Indien weiterhin produziert, ohne dass die Hersteller dafür Lizenzgebühren bezahlen. Der pharmazeutische Direktor der Clinton-Stiftung erklärt das damit, dass die Regierung noch gar nicht alle seit dem neuen Gesetz für 2005 vorliegenden Patentanträge habe bearbeiten können, und in Folge könnten auch keine Lizenzgebühren eingetrieben werden.

Stiftungsdirektor Anil Soni gesteht ein, dass es sehr schwierig sei, für die neueren Medikamente Preis-Senkungen durchzusetzen. Nach seiner Darstelllung liegt das in erster Linie daran, dass die Produktionskosten für die neueren Medikamente höher seien: Die nachgefragten Mengen sind geringer, die Herstellungsverfahren aufwändiger. Für das Zustandekommen ihres jüngsten "Deals" habe die Stiftung deshalb noch zusätzliche Anstrengungen unternehmen müssen, indem sie nach günstigeren Herstellungsverfahren suchen ließ. Mit Erfolg: Im Falle von Abacavir machte die Clinton-Stiftung die Generika-Produzenten mit einem neuen, günstigeren Anbieter eines der pharmazeutischen Grundstoffe bekannt und im Falle von Efavirenz machte sie einen Forscher ausfindig, der den Produzenten einen neuen, günstigeren Weg zur Synthese des zentralen Wirkstoffes anbieten konnte.

Eigentlich Aufgabe der Regierungen

Die Stiftung des ehemaligen US-Präsidenten gehöre zu den internationalen Institutionen, die den Kampf gegen Aids wirklich ernst nähmen, sagte der UN-Beauftragte Stephen Lewis in einem Interview mit einem kanadischen Fernsehsender. Und tatsächlich stellt sich die Frage, warum es eine private Stiftung ist, die so große Energie darauf verwendet, um einerseits Käufer und Anbieter und andererseits Forscher und Produzenten zusammen zu bringen, um in Folge möglichst große Preisnachlässe möglich zu machen. Einige Staatschefs scheinen sich inzwischen dieselbe Fragen gestellt zu haben – jedenfalls erklärten Frankreich und Brasilien, dass es an der Zeit sei, eine Institution zu gründen, die den Einkauf möglichst günstiger Aids-Medikamente global regeln soll. Dann würde auch die Clinton-Stiftung Konkurrenz bekommen.