Pressefreiheit in Schweden: Wenn investigativer Journalismus zu Spionage wird
Eine folgenreiche Grundgesetzänderung lag schon länger in der Schublade. Schwedische Berichterstattung soll Beziehungen zu anderen Ländern nicht belasten. Anlässlich des Nato-Beitrittsantrags könnte das Erdogan freuen.
Der 16. November war ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit in Schweden und darüber hinaus. Eine Grundgesetzänderung mit dem Titel "Auslandsspionage" kriminalisiert künftig Whistleblower und investigativen Journalismus, die geheime Details aus Schwedens Kooperation mit anderen Ländern und Institutionen ans Licht bringen.
Ausnahmen soll es nur für "gerechtfertigte" Veröffentlichungen geben – eine Formulierung, die alles andere als rechtssicher ist. Die Ursprünge des Gesetzes sind älter als der Plan zum Nato-Beitritt, aber es kommt passend, um kritische Stimmen ruhig zu stellen. Proteste von Journalisten und Medienhäusern hatten keinen Erfolg.
"An den nächsten Snowden: Melde dich nicht bei mir" ist der Titel eines Beitrags von Fouad Youcefi, USA-Korrespondent der öffentlich-rechtlichen Fernsehgesellschaft SVT und ehemaliger Vorsitzender der Vereinigung investigativer Journalisten in Schweden.
Das ist – in Kürze – das Ergebnis, das die Änderung, die ab 1. Januar 2023 gelten soll, mit sich bringen wird: Wenn sowohl der Whistleblower selbst als auch der Publizist mit einer Gefängnisstrafe rechnen müssen, wer fasst dann noch die heißen Eisen an? Bisher gehörte Schweden zu den wenigen Ländern, in den die Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen als "gut" bewertet wurde, mit einem guten Quellenschutz und Schutz für Whistleblower. Damit dürfte es nun vorbei sein.
Kein Schnellschuss der konservativen Regierung
Die Grundgesetzänderung ist kein Schnellschuss der neuen konservativen Regierung – so etwas ist in Schweden gar nicht möglich. Eine Grundgesetzänderung muss dort zwei Mal von einem Parlament abgesegnet werden, mit einer Wahl dazwischen. Über das Gesetz zur "Auslandsspionage" wurde erstmals noch unter der Regierung der Sozialdemokratin Magdalena Andersson im April 2022 abgestimmt.
Damals stimmten nur die Linkspartei und die Liberalen dagegen. Es gab auch jetzt eine breite politische Mehrheit dafür. Dagegen stimmten die Linkspartei und die grüne Umweltpartei. Die Liberalen sind jetzt selbst in der Regierung und tragen es daher mit.
Die erste Version dieses Gesetzes lag schon 2013 einmal vor, zu Zeiten der Regierung Reinfeldt (Moderate), im Zuge anderer Verschärfungen. Es gab Widerstand, und der Vorschlag verschwand. 2017, während der Regierung Löfvén, tauchte er wieder auf, "umformuliert, aber immer noch mit großen Mängel, was die Begründung für das Gesetz und den Schutz für Whistleblower betrifft", wie Youcefi schreibt.
Es gab erneut Proteste, dann war es wieder Jahre still – bis mitten im turbulenten Herbst 2021 eine neue Version auftauchte. Und es im April 2022 zu einer politischen Mehrheit brachte. Am 24. Februar hatte Russland bekanntlich die Ukraine angegriffen und im April wurde in Schweden bereits breit über einen Nato-Beitritt diskutiert. Es gab Stimmen, die schon damals warnten – aber die endgültige Entscheidung schien noch weit weg.
Erst kurz vor der Abstimmung flammte die Diskussion in den Medien richtig auf, dafür von allen Seiten, inklusive Svenska Dagbladet und Dagens Nyheter. Vergebens. Die konkreten Begründungen, dafür, warum dieses Gesetz gebraucht wird, sind mager. Abgesehen von den Debatten im Parlament gab es kaum öffentliche Äußerungen von Befürwortern. Für Magdalena Andersson ist es eine "Lücke in der Gesetzgebung", die nun gefüllt sei, es handele sich um die "Sicherheit des Landes".
Johan Pehrson von den Liberalen, die sich im April noch dagegen ausgesprochen haben, erklärte gegenüber SVT: "Wir werden dafür stimmen. Wir haben eine schlimme weltpolitische Lage, in der die Demokratie Schweden bedroht ist, das Leben von Schweden bedroht sind, nicht zuletzt in den verschiedenen Auslandsmissionen, an denen Schweden teilnimmt."
In der Diskussion werden Enthüllungen angeführt, die zukünftig kriminalisiert wären: die des schwedischen UN-Mitarbeiters Anders Kompass zum sexuellen Missbrauch von Kindern während einer UN-Mission in Zentralafrika oder die des schwedischen Radios zum Bau einer Waffenfabrik in Saudi-Arabien mit Unterstützung eines staatlichen schwedischen Instituts.
"Lasst nicht Erdogan die schwedische Berichterstattung bestimmen"
Und niemand braucht besonders viel Phantasie, um sich vorzustellen, wozu dieses Gesetz nun genutzt werden kann: "Was werden schwedische Journalisten künftig über Nato-Länder wie die Türkei enthüllen können? Schon vor der Mitgliedschaft gehen Machthaber auf Zehenspitzen, um Erdogan nicht zu stören. Bald kann die unwürdige Untertänigkeit sich Verbrechensbekämpfung nennen", schreibt Eric Rosén in Aftonbladet.
In einem Debattenartikel in Dagens Nyheter wird folgendes Szenario entworfen: "Ein schwedischer Journalist erhält den Tipp, dass schwedische Waffen bei Übergriffen gegen Kurden in Syrien eingesetzt werden, und er schreibt darüber. Erdogan blockiert daraufhin die Nato-Mitgliedschaft, und dem Journalisten droht ein Verfahren wegen "Auslandsspionage", ebenso wie dem Herausgeber. Außerdem wird von ihnen verlangt, ihre Quellen zu nennen." Folgerichtig heißt der Debattenbeitrag der zehn Autoren: "Lasst nicht Erdogan die schwedische Berichterstattung bestimmen."
Zur Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato fehlt noch das grüne Licht aus Ungarn und der Türkei. Während es aus Ungarn zumindest zeitweise schon positive Signale gab, ist Erdogan insbesondere mit Schweden noch nicht zufrieden. Dabei ist die neue Regierung ihm schon entgegengekommen und hat verbal Abstand von den kurdischen Organisationen YPG und PYD genommen, obwohl diese beispielsweise mit den USA kooperiert haben.
Die neueste Forderung Erdogans ist die Auslieferung des Exiljournalisten Bülent Keneş, der nun fragt, ob Schweden seinen Prinzipien als Rechtsstaat treu bleibt, "oder ob wir regimekritischen Journalisten Erdogan als Opfer angeboten angeboten werden für eine Mitgliedschaft in der Nato, die ironischerweise eine transatlantische Institution ist, eingerichtet, um Demokratien zu schützen."
Regimetreue türkische Journalisten tragen inzwischen dazu bei, Erdogan-Kritiker in Schweden auszuspionieren. So berichtete Dagens Nyheter über einen Mann in einem kurdischen Kulturzentrum in Stockholm, der von zwei Besuchern über ihre wahre Identität getäuscht wurde. Diese Besucher fotografierten in dem Zentrum auch ein Bild von Abdullah Öcalan. Eine Woche später wurde dies in türkischen Medien als "Hochburg der Terroristen" in Schweden präsentiert.
Etwas unter dem Radar geblieben ist eine andere Grundgesetzänderung in Schweden, die die Vesammlungsfreiheit weiter einschränken kann, nämlich zusätzlich zu den bisherigen Gründen auch für jene, die "Terrorismus unterstützen". Was vom wem als Terrorismus definiert wird, ist bekanntlich ein weites Feld. Möglicherweise könnte diese Änderung auch der kurdischen Community in Zukunft Probleme bereiten.
Zurück zu den Einschränkungen für Whistleblower und Medien: Es fällt schwer, dabei nicht an Julian Assange zu denken. Zum einen wegen der unrühmliche Rolle der schwedischen Justiz in diesem Fall, die der frühere UN-Sonderbeauftragte Nils Melzer aufgearbeitet hat. Zum anderen, weil hier ebenfalls "Spionage" als Grund angegeben wird.
"Jetzt stehen wir vor einem Szenario, wo Whistleblower und Journalisten darüber nachdenken müssen, ob sie der neue Snowden oder Assange werden wollen", so Erik Halkjaer, der Vorsitzende der Organisation Reporter ohne Grenzen in Schweden, bei der Kundgebung vor dem Parlament.
Wie konnte es so weit kommen? Haben die Schweden einfach nicht wahrhaben wollen, dass eine Einschränkung von Freiheitsrechten auch hier möglich ist? Ein Erklärungsversuch von Eric Rosén im Aftonbladet: Zehn Jahre lang hätten verschiedene Regierungen versucht, diese Art Gesetzgebung durchzubringen – erfolglos. "Aber 2022 schafften es weniger als bisher, dagegen zu kämpfen. Alles, was dem Staat, der Polizei oder dem Militär mehr Muskeln gibt, ist gut." Diese Tendenzen gibt es nicht nur in Schweden.