"Priesterlicher Geist", "echtes Soldatentum" und der Teufel in Russland

Heinrich Missalla (1926-2018), Theologe und langjähriger Geistlicher Beirat der deutschen Sektion von pax christi (internationale kath. Friedensbewegung): Als 16-Jähriger wurde er zu den Waffen beordert; ein Leben lang sah er sich zur pazifistischen Erinnerungsarbeit verpflichtet (Foto privat: Dr. Magdalene Bußmann)

Die Mentalität einer Generation und die Gehorsamspredigten für den Vernichtungskrieg Hitlers im Osten. Wie viel Glaubwürdigkeit kann die Kirche zurückgewinnen, wenn es um Krieg geht? Kirche & Weltkrieg, Teil 13.

Heinrich Missalla (1926-2018), geboren in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an und war 1987-1996 auch Geistlicher Beirat der Bewegung.

Er musste als junger Katholik selbst Krieg und Kriegsgefangenschaft (bis Juni 1946) miterleben. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten "Stacheldrahtseminar" für deutsche Kriegsgefangene in Chartres ließ ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr los.

"Ein katholischer Junge lässt sich von niemandem an Tapferkeit übertreffen"

Die Prägungen des katholischen Milieus zielten auch im "Dritten Reich" auf eine vaterländische Grundhaltung, gespeist unter anderem aus frommen Heldengestalten und populären Versatzstücken der sogenannten Reichstheologie. Heinrich Missalla schreibt dazu in seinen autobiographischen Erinnerungen "Nichts muss so bleiben, wie es ist" (2009):

Mit dem 15. Februar 1943 – kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad – wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden. […] Wenn ich für einige Stunden "Ausgang" hatte, traf ich mich mit einigen Freunden zu Gesprächen bei unserem Jugendseelsorger. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Krieg jemals problematisiert oder dass darüber gesprochen wurde, dass im Krieg getötet wird. Das Wichtigste war nicht das fünfte Gebot ["Du sollst nicht töten"], sondern das sechste Gebot [sexuelle Enthaltsamkeit, Anm. P. B.].

(Nach 1945 schien sich für lange Zeit auch in diesem Punkt nicht viel geändert zu haben. Eine der ersten hektographierten "Arbeitsskizzen" des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend "für die Arbeitskreise der Vorbereitungsaktion" für den 1956 wieder eingeführten Wehrdienst lautete "Die Laterne vor der Kaserne. Wehrdienst und die Beziehung der Geschlechter".)

Das Hauptanliegen unseres Vikars schien darin zu bestehen, uns auf die Kirche stolz zu machen und unser katholisches Selbstbewusstsein zu stärken – was ihm bei mir zweifellos gelungen ist. Es gab für uns keinen Zweifel, dass Deutschland bedroht wurde und dass wir als Deutsche und zumal als Katholiken unsere Pflicht gegenüber unserem Vaterland zu erfüllen hatten, schon um verleumderischen Angriffen der Nazis auf die Kirche den Boden zu entziehen.

Neben dem schon erwähnten Merksatz gab es einen anderen: Ein katholischer Junge lässt sich von niemandem an Tapferkeit übertreffen. Zur Mahnung und Erinnerung daran hatten viele von uns über ihren Betten ein Bild des Bamberger Reiters, von Sankt Georg oder von Sankt Michael hängen – Bilder der Tapferkeit und des Kampfes gegen das Böse. Michael war zudem seit Jahrhunderten der Schutzpatron der Deutschen. Diese Einstellung war wohl vor allem die Reaktion auf das Bemühen der NS-Propaganda, Kirchen und Christentum als schwächlich und dekadent darzustellen.

Demgegenüber wurde in der katholischen Jugend der Stolz auf das Christ- und Katholischsein gestärkt: Uns brauchte niemand zu erzählen, was es heißt, gut deutsch zu sein. Wir wussten, wer den Germanen die Kultur gebracht, wer den deutschen Osten besiedelt und dort die Dome gebaut hatte.

Das Wort "Reich" hatte eine seltsame, fast magische Wirkung auf meine Fantasie: Da gingen Gottesreich und Christi Reich, Heiliges Römisches Reich deutscher Nation und "Drittes Reich" ineinander über. Für uns war "Christus Herr der neuen Zeit", und was jetzt noch nicht christlich, ja sogar heidnisch geprägt war, das würde ihm eines Tages dienen. Jetzt war nur eines wichtig: Dass wir tapfer und treu unsere Pflicht erfüllten, gleichgültig, was um uns herum passierte.

Und je unbegreiflicher im Verlauf des Krieges alles Geschehen wurde, umso wichtiger war der Glaube: Gott wird alles zum guten Ende führen. Mir kommt es vor, als sei der Glaube an die Bedeutung des "Opfers" und die Möglichkeit einer Art von sakramentaler "Wandlung" auch der Geschichte nie so stark gewesen wie in jenen Jahren.

Wenn wir nur treu sind und auch in den schwierigsten Situationen des Krieges und der Gefangenschaft uns "bewähren" – Bewährung war das in der katholischen Jugend vielleicht am häufigsten gebrauchte Wort –, wenn wir unser Leben und Schicksal Gott anbieten, wird er es annehmen und verwandeln wie das eucharistische Brot. Unser Opfer – das war meine, unsere Überzeugung – war nötig für die Neuwerdung Deutschlands.

Im öffentlichen Geschehen dominieren heute Akteure, die mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen der Abgründe des 20. Jahrhunderts offenbar nicht mehr in einer tieferen Verbindung stehen. Das sollte uns beunruhigen, zumal dann, wenn ohne Scham einem neuen Weltkriegs-Szenarium das Wort geredet wird.

Die Mentalität einer Generation

Noch nach sieben Jahrzehnten waren Heinrich Missallas letzte Beiträge zur pazifistischen Erinnerungsarbeit von den Schrecken und Widersprüchen der Vergangenheit bestimmt. Er gehört zu den Persönlichkeiten, die meinen eigenen Weg in der katholischen Friedensbewegung besonders nachhaltig geprägt haben.

Das in dieser fortlaufenden Telepolis-Serie vorgestellte Projekt "Kirche & Weltkrieg" soll nicht zuletzt einer Fortsetzung seiner Aufklärungsarbeit wider das Kriegs-Christentum dienen.

Seine Studie über die "Kirchliche Kriegshilfe" ergänzte H. Missalla 1999 mit einer Quellendokumentation zu Theologen-Rundbriefen und Predigtvorlagen, die über den Caritasverband (!) 1940-1944 für die Arbeit der deutschen katholischen Militärseelsorge bereitgestellt worden sind.

Die damals vom späteren CDU-Parlamentarier Heinrich Höfler zusammengestellten Texte geben Aufschluss über die Mentalität einer Generation, die sich im Krieg durch Gehorsam und Opferbereitschaft "bewähren" wollte. Anders als in der Botschaft des Juden Jesus von Nazareth wurde das Töten von Menschen als gerechtfertigt empfunden, ebenso die militärische Durchsetzung nationaler Interessen.

In den von Höfler redigierten Rundbriefen wurde betont, "dass priesterlicher Geist in der Unbedingtheit seiner Gläubigkeit und seines Gehorsams dem Geiste edlen und echten Soldatentums verwandt und ähnlich ist". Angehende Geistliche betrachteten die Front als Ersatz für verlorene Zeit im Priesterseminar:

Was ist das doch eine "große Sache"! Wir stehen nicht erst noch in der Vorbereitung, sondern schon mitten drin in unserer Berufung, wir sind jetzt schon Priester, wir opfern uns für alle die, in deren Mitte wir sind, in das Opfer des ewigen Hohepriesters.

Ich glaube, in dieser Art wird einer, der den Weg zum sakramentalen Priestertum schreitet, diese Zeit hier draußen im grauen Heer der deutschen Jugend nicht "verlieren", sondern tausendfach "gewinnen" für sich und alle, die um ihn sind und die er einmal führen darf. So kann ein Jahr im Heer und Krieg drei Jahre Seminar an Fruchtbarkeit und innerem Wachstum leicht gleichkommen …

Rundbrief 25.3.1941

Todessehnsüchtig vermeinten manche Kleriker in Uniform, dem höchsten Gott sei ein Dienst für Hitlerdeutschland besonders wohlgefällig:

Und kehren wir nicht mehr heim, dann hat Gott eben ein Opfer von uns gefordert, zu dem wir dann in diesen Diensten herangereift sind und das zu geben wir gern bereit sind. Oder wir können sagen: Gott hat unser Opfer angenommen, das wir aus Liebe zu unserem Vaterland ihm angeboten haben, und er hat uns damit Sein Siegel aufgedrückt.

Rundbrief 25.3.1941

Einer der Kriegstheologen bekannte in der gleichen Ausgabe: "Gerne lege ich mein bisschen Blut auf den Opferaltar für die Anliegen unserer wirklich großen Zeit." Es galt ja, in Russland den Satan selbst zur Strecke zu bringen:

Man hat vor allem bei diesem russischen Krieg das Empfinden, als ob man es mit dem filius iniquitatis [aus Psalm 88,23: "Sohn der Ungerechtigkeit"; gemeint ist der Teufel] selbst zu tun habe, wenn man gegen den Bolschewismus zu Felde zieht.

Rundbrief 17.9.1941

Mehr als 20 Millionen Menschen haben die deutschen Waffenträger bei ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion ermordet. Im Rundbrief zum Christkönigsfest 1941 wurde den beteiligten deutsch-katholischen "Klerikern die Heiligkeit" des Unternehmens eingeschärft:

Friede aber heißt Ordnung, und keine rechte Ordnung besteht außerhalb des Göttlichen. Zwingt es nicht wirklich zu ernstem Nachdenken, dass Kampf und Bluten deutscher Soldaten Russland im Grunde für Christus zurückerobert haben, für Ihn, ohne den, wie unser Christenglaube uns sagt, nichts heil sein kann von allem Geschaffenen.

Rundbrief 26.10.1941

"Gott hat dem deutschen Volk eine höchste Sendung gegeben"

In den erhaltenen "Predigthilfen" für die Front ist die Identifikation mit Hitlers Kriegsmaschine schier grenzenlos. Den katholischen Multiplikatoren in der deutschen Wehrmacht wurde erneut eingeschärft:

Wir werden unsere Soldatenpflichten gewissenhaft und treu bis zum Letzten erfüllen auf dem Platz, an den wir gestellt sind und gestellt werden und werden uns von niemandem an Einsatzbereitschaft und Pflichterfüllung übertreffen lassen.

Predigtreihe Oktober 1941

Vor den Toten sollten die Geistlichen "Führer-Gehorsam" und "Zukunftskampf" des deutschen Volkes rühmen:

Flug in die ewige Heimat möge ihm dieser letzte Flug geworden sein, – so beten wir heute hier an seinem Grabe, da wir seinen Leib in den Frieden der Heimat-Erde betten, inmitten anderer Kameraden, die gleich ihm, in Treue dem Ruf des Führers folgend, sich restlos einsetzten für eine neue bessere Zukunft unseres Volkes …

Entwurf für eine Soldatengrab-Ansprache, Ende 1941

Der Kriegsdienst entsprach laut Predigthilfe dem göttlichen Gebot, Vater und Mutter zu lieben:

All das, was mit Heimat und Vaterland zusammenhängt, ist so tief und metaphysisch im Menschen verwurzelt, dass es einen religiösen Ton hat. Keiner kommt zum Leben ohne einen Vater und ohne eine Mutter, und so braucht jeder ein Vaterland und eine Muttersprache. Diese Heimat kann von uns die letzte Hingabe verlangen.

Predigtvorlage für einen Feldgottesdienst

Mit der Bibel wurde begründet, warum die Soldaten eine militärische Übermacht des Feindes nicht fürchten durften; Angst vor jenen, die "nur den Leib töten können", sollte keiner haben. Die katholischen "Gottgesandten" waren berufen zum "Anteil am Bau der neuen Zeit":

Täglich sehen wir es mit eigenen Augen, wie der Acker einer vergangenen Zeit mit Gewalt aufgebrochen wird. Gerade hier spüren wir es. Wir sind lebendigste Mitvollzieher des gigantischen Werks, gerade als Soldaten. Mit unserer eigenen Kraft bauen wir an der Zukunft unseres Volkes, an dem Entstehen einer neuen Welt.

Predigthilfe März 1942

Der Krieg galt den nationalistischen "katholischen" Theologen als Gottesdienst, verrichtet durch das von Gott erwählte Deutschland:

Gott hat dem deutschen Volk in diesem Krieg eine höchste Sendung gegeben. Neuordnung Europas. Dieser Neubau stehe im Zeichen Christi. Bolschewismus bedeutet Europa ohne Gott, ohne und gegen Christus. Die Front der jungen Völker unter Führung Deutschlands will ein Europa mit Gott, mit Christus So feiern wir als Deutsche ganz bewusst das Fest der Geburt Christi. Christentum ist eben nicht bloß die Werkstätte höchster seelischer Kultur, sondern auch die Bauhütte völkischer Größe und Kraft …

Predigthilfe Oktober 1942