"Zertrümmerung des Bolschewismus und ein neues Europa"
Über das Caritas-Unternehmen "Kirchliche Kriegshilfe" für den Vernichtungsfeldzug gen Osten - Kirche & Weltkrieg, Teil 7
Teil 1: Als die Kirche staatsfern war
Teil 2: Katholizismus und Erster Weltkrieg
Teil 3: Protestantismus und Erster Weltkrieg
Teil 4: Frieden im Niemandsland
Vor allem auch einer kritischen Schulrichtung von Militärhistorikern, deren Ansatz in der Gegenwart zugunsten einer neuen deutschen "Krieger-Geschichte" zurückgeschraubt werden soll, verdanken wir es, dass die geschichtspolitische Lüge von einer "sauberen Wehrmacht" gegen Ende des letzten Jahrhunderts hierzulande fast nur noch von Rechtsextremen und Rechtskonservativen aufrechterhalten wurde. Die neue Partei der Massenmord-Beschöniger und Leugner sitzt mittlerweile allerdings wieder - mit erschreckenden Wahlerfolgen - in Bundestag und Länderparlamenten.
Zu den wenigen Pionieren einer aufklärenden Forschung wider den Mythus einer "sauberen deutschen katholischen Kriegskirchengeschichte" gehört der Theologe und Priester Heinrich Missalla (1926-2018). Die Arbeiten dieses Aufklärers, der mir in seinen letzten Lebensjahren Freundschaft gewährt hat, haben mich seit vier Jahrzehnten geprägt. Noch nach seinem Tod wurde er von einem unbelehrbaren Apologeten irreführend als Kirchenfeind abgestempelt.
"Wehrwillen und sieghafter Glaube"
Das Aufklärungsprojekt "Kirche & Weltkrieg" soll Missallas Anliegen einer "Erinnerung um der Zukunft willen" wachhalten. In diesem Kontext ist jetzt aus Anlass des herannahenden 80. Jahrestages des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion seine erstmals 1978 erschienene Studie über die "Kirchliche Kriegshilfe" des Deutschen Caritasverbandes erneut ediert worden - zuerst in unserer frei zu nutzenden Digitalen Bibliothek und nunmehr auch als Taschenbuch.
Im Zentrum der von H. Missalla untersuchten Unternehmung stand besonders die Bereitstellung von Schriftgut für die römisch-katholische Militärseelsorge in der unter Hitlers Oberbefehl stehenden Wehrmacht. In einem Dankschreiben vom 17.8.1940 erklärte Caritas-Präsident Benedikt Kreutz (1879-1949), der dem Kaiserreich als Feldgeistlicher gedient hatte, zu dieser selbstgewählten Aufgabenstellung:
Es wird unser Bestreben sein, den Wehrwillen und den sieghaften Glauben unserer mutigen Truppe auch fernerhin zu stärken, indem wir gerade sie mit einem Lesestoff versorgen, der aus den unversiegbaren Quellen religiöser Tiefe, inniger Volksverbundenheit und letzter, nationaler Verpflichtung schöpft.
Benedikt Kreutz
Solche religiöse Assistenz für das Tötungshandwerk wurde aber keineswegs von allen Stellen in Wehrmacht, NS-Staatsleitung und NSDAP gewünscht. In vielen Fällen muss man sogar von einer ungefragten Bereitstellung "geistlicher Waffen" sprechen, die hochrangige Entscheidungsträger des Kriegsapparates nicht wollten und z.T. sogar ausdrücklich verboten.
Gleichwohl bedankte sich der Caritas-Präsident noch am 30. Juni 1944 folgendermaßen für eine Förderspende in Höhe von 5.000 Reichsmark:
Am Segen, in den dieses Geld verwandelt wurde durch Ankauf und Vermittlung genehmigten Schrifttums für Wehrmachtangehörige, werden auch Sie teilhaben dürfen. Die Treue der Soldaten für den Endkampf ist dadurch nur gesteigert worden. Mit verehrungsvollem Gruß und Heil Hitler!
Benedikt Kreutz
Bis 1941 konnten ebenfalls die Caritas-Kalender erscheinen und zur Kriegsertüchtigung beitragen. In der Ausgabe für 1939 hatte man Hitler als ,"Vollstrecker eines von der Geschichte an die deutsche Nation ergangenen Befehls" gefeiert.
"Israel hat Christus gehasst"
Heinrich Missalla, der selbst noch kurz nach Ende der Schlacht um Stalingrad bei einer leichten Flak-Abteilung als 16-jähriger Luftwaffenhelfer Dienst tun musste, beleuchtet - gemäß der für alle seine Publikationen kennzeichnenden sachlichen Diktion - ohne Polemik die Akteure und Gegenstände der "Kirchlichen Kriegshilfe".
Obwohl der federführende Organisator Heinrich Höfler kein Nationalsozialist war und sich zunehmend im Rahmen seines vaterländischen Wirken sogar auf illegale Aktivitäten verlegte, kamen kriegstheologische Machwerke der allerschlimmsten Art in die Schriftenauswahl seines Projektes.
Zu den Druckerzeugnissen, die ganz legal im Rahmen zigtausendfacher Postsendungen an die Front gelangten, gehörte auch das Buch "Der Glaube von Gestern und Morgen" von Theodor Bogler, in dem die Soldaten belehrt wurden, in der Person des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht (Adolf Hitler) würden Volk und Vaterland ihnen selbst gegenübertreten.
Während katholische Wehrmachtsangehörige wie andere bei Massenerschießungen von Juden auf dem Feldzug gen Osten mit Hand anlegten, konnten sie bei Bogler folgende Stützung der Mordideologie des antisemitischen Antibolschewismus lesen:
Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! - Dieses Wort hat sich erfüllt, und es erfüllt sich in erschreckender Wirklichkeit immer wieder bis auf den heutigen Tag. Israel hat Christus ausgestoßen aus seinen Reihen, nun wird das Volk ausgestoßen aus der Erwählung. […] Israel, das Volk Israel, hat Christus gehasst, es hasst daher auch die Kirche […] Israel aber weiß, was es tut, auch heute noch bei den Verfolgungen des Christentums in Russland, in Mexiko, in Spanien, oder wo immer. Immer ist es im Kampfe noch Gegenpartei, wie an jenem Freitag in Jerusalem. Immer noch wühlt und wütet sein grenzenloser Hass …
Theodor Bogler
"Weltgeschichtlicher Sieg des deutschen Soldaten" über das dämonische Russland
Zwischen Juni 1940 und April 1942 erreichte Heinrich Höfler, der später für die CDU im Bundestag saß, auch mit einem Rundbrief ,"Lieber Kamerad" insgesamt einen Kreis von mehr als 10.000 Priestersoldaten, Theologen, Ordensbrüdern und "Laien". In diesem Periodikum wurde der rassenbiologische Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit religiöser Weihe versehen. Am Nachmittag des 22. Juni 1941 schrieb Höfler schon pathetisch:
Welche Ausblicke in Kommendes, welche Horizonte weiten sich da vor dem sinnenden Geiste! Aber auch: welche Abgründe des Grauens, geschichtlicher und menschlicher Unberechenbarkeit erschüttern da unser Herz!
Heinrich Höfler
Am 17. September 1941 betrachtete Höfler den Krieg als Geisterkampf eines neuen Zeitalters und erhoffte sich von der Entscheidung der Waffen eine "Zertrümmerung des Bolschewismus" und ein neues, "christlicheres Europa". Zustimmend zitierte er für seine Leserschaft einen Verbündeten-Aufruf des ungarischen Außenministers Bardossy, der Deutschlands Lebensraumkrieg im Osten entsprechend zum christlichen Abendland-Schutz verklärte:
Ziel dieses Ringens ist der Schutz der christlichen Gesittung des Abendlandes. Ganz Europa steht in ihm dem Ungeist der Gottlosigkeit und der Zerstörung gegenüber. Der siegreiche Kampf, in dem die vereinten Aufbaukräfte der europäischen Völker heute unter der zielbewußten Führung der Achsenmächte stehen, geht um die Grundsätze, nach denen sie über ihr eigenes Leben ganz Europa im Zeichen der wahren sozialen Gerechtigkeit und der Gemeinschaft neu zu errichten entschlossen sind.
Heinrich Höfler
Falls manche Empfänger Gewissensqualen litten angesichts der systematischen Massenmorde der Wehrmacht in der Sowjetunion, konnten sie sich durch Ausführungen in Höflers Rundbrief vom 26. Oktober 1941 beruhigen lassen:
Welch' hohen weltgeschichtlichen Sinn haben Kampf, Wunden und Sieg des deutschen Soldaten im Kampf gegen den russischen Bolschewismus empfangen! […] Der Einbruch dämonischer Mächte in den Raum der Geschichte ist Euch deutschen Soldaten im vergewaltigten Lande des roten Sterns sichtbar geworden. Grauen hat Euch angefallen angesichts der Abgründe von Verworfenheit und Trostlosigkeit, in die Menschen und auch Völker versinken können […], wenn sie in reiner Diesseitigkeit ihres persönlichen und des öffentlichen Lebens Sinnerfüllung suchen wollen. Was an höllischer Bosheit und schaudervoller Vertiertheit in den Zonen des Ostens erlebt wurde, bleibt in Eurer Erinnerung als ein unvergesslicher geschichtlicher Anschauungsunterricht über die alles niederreißende, kulturzerstörerische Wirkung fanatisch hassenden Vernichtungswillens gegen christliches Denken, christliche Symbole und Volksüberlieferung.
Heinrich Höfler
Musste man von Höllenmächten gelenkte und von "Vertiertheit" befallene Feinde noch wie Menschen behandeln? Hunderttausende, gar Millionen deutsche Soldaten zogen - ihrer "Volksüberlieferung" treu ergeben - als Völkermordverbrecher gen Osten. Doch mancher Prediger wollte sie trotz des allgegenwärtigen Wissens um genozidale Verbrechen noch Anfang 1945 als Kreuzritter zur Rettung der bedrohten Christenheit feiern.
Kirchentum ohne Jesus von Nazareth?
Heinrich Missalla, dessen ergänzende Quellenedition zur "Kirchlichen Kriegshilfe" (Rundbriefe, Predigtvorlagen) wir in einem weiteren Band ebenfalls 2021 neu zugänglich machen wollen, formulierte auf der Grundlage seiner - in disziplinierter Archivarbeit gewonnenen - Kenntnis der geistlichen Kriegsassistenz sehr früh Anfragen an die dogmatische Lehre über das kirchliche Amt, wie sie erst heute aufgrund anderer Abgründe des klerikalen - militäraffinen - Männerbundkomplexes von vielen Theologinnen und Theologen vorgebracht werden. Wie konnte dem deutschen Kriegskirchentum der Kompass des Jesus von Nazareth ganz abhanden kommen?
Heinrich Missalla: Die Kirchliche Kriegshilfe im Zweiten Weltkrieg. Eine Organisation des Deutschen Caritasverbandes. (Neuedition; Kirche & Weltkrieg, Band 8). ISBN: 978-3-7534-9221-6 (Paperback, 324 Seiten, Preis 11,90 Euro) Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis hier auf der Verlagsseite
Internetseite zum Editionsprojekt "Kirche & Weltkrieg" (bisher erschienene Bände): hier
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