"Auf zu den Waffen! Gott will es!"
Lehren aus dem Ersten Weltkrieg beim Kulturprotestanten Adolf von Harnack und dem Dominikaner Franziskus Maria Stratmann - Kirche & Weltkrieg, Teil 5
Teil 1: "Als die Kirche staatsfern war …"
Teil 2: Katholizismus und Erster Weltkrieg
Teil 3: Protestantismus und Erster Weltkrieg
Teil 4: Frieden im Niemandsland
Vor der Tür steht der 80. Jahrestag des am 22. Juni 1941 begonnenen deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Deshalb wird die Beleuchtung der geistlichen Militärassistenz der Jahre 1914 bis 1918 im Editionsprojekt "Kirche & Weltkrieg" mit den beiden hier vorgestellten neuen Publikationen vorerst abgeschlossen - zugunsten eines anderen Schwerpunktes in den nächsten Monaten.
Für alle, die sich nicht auf interessengeleitete Interpretationen verlassen wollen, erschließt ein umfangreicher Quellenband zunächst die auf das Thema Krieg bezogenen Schriften des liberalen Theologen Adolf von Harnack (1851-1930), der ein herausragender Repräsentant des deutschen Kulturprotestantismus war. Vor kurzem gab es eine hochkarätige Gedenkveranstaltung zum 170. Geburtstag und 90. Todestag dieses Mannes, der heute auch als erfolgreicher Wissenschaftsorganisator und Gelehrtenpolitiker ins Blickfeld kommt.
In seinen unterschiedlichen Rollen verstand sich Harnack, den Wilhelm II. im Juni 1914 in den erblichen Adelsstand erhoben hatte, als treuer Diener des Staates. Anfang August 1914 beauftragte man ihn, einen Entwurf für den Kriegsaufruf des Monarchen zu verfassen. Harnacks - kaum bekannter, nur schwer greifbarer - Textvorschlag fiel in kriegstheologischer Hinsicht weitaus schlimmer aus als die spätere Kaiser-Rede (vom 6. August) und sei an dieser Stelle einmal vollständig dokumentiert:
"An das deutsche Volk!
Im Begriff zur Armee zu gehen, ist es Mir ein herzliches Bedürfnis, in dieser ernsten Stunde ein Wort an das deutsche Volk zu richten.
Mitten im Frieden ist mir der Krieg aufgezwungen worden. Weil wir in Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der schwere Freveltat rächen musste, darum zwingen uns unsere Gegner das Schwert in die Hand. Mehr als fünfundzwanzig Jahre ist es Mein und Meiner Regierung heißes Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und die kraftvolle Arbeit Meines Volkes in Frieden zu fördern.
Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unsrer Arbeit, und unerträglich ist ihnen unsre Blüte. Alle diese offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West haben wir im Bewusstsein unserer Verantwortung und Kraft lange ertragen. Nun aber wollen sie uns noch demütigen; da gibt es keine Geduld mehr; denn Gott der Herr hat das deutsche Volk erschaffen, damit es den Beruf auf Erden erfülle, zu dem Er es verordnet hat. Das wollen die Feinde verhindern. Wir aber antworten mit dem Rufe: Auf! Zu den Waffen! Gott will es!
Um Sein oder Nichtsein unsres deutschen Vaterlands handelt es sich, um deutsche Macht, deutsche Stärke, deutsche Kultur! Ein herrliches Gut ist in unsre Hand gegeben; wir haben es bewahrt und gepflegt, nicht nur für uns, sondern für die ganze Menschheit. Dies Gut will man uns rauben! Wir aber wollen es verteidigen bis zum letzten Blutstropfen gegen asiatische Halbkultur und gegen welsches Wesen! Deutsche Art, deutsche Treue und deutsche Bildung wollen wir festhalten bis zum letzten Atemzug.
Aber auch jeden Fußbreit deutschen Landes in Ost und West wollen wir behaupten gegen jeden Versuch, uns das Unterpfand unsrer deutschen Einheit, den mit dem Blut unsrer Väter getränkten Boden Elsass-Lothringens zu rauben. Wie wir jeden Fußbreit Landes in Ost und West und vor allem unsre Reichslande, die mit dem Blute unsrer Väter getränkt sind, behaupten wollen, die Frankreich, bereit seine ganze Existenz einzusetzen, uns wieder entreißen will, so wollen wir auch deutsche Art, deutsche Treue und deutsche Bildung festhalten bis zum letzten Atemzug!
Mit Meinem geliebten deutschen Volk fühle ich mich in dieser großen Stunde eins in der sicheren Erkenntnis, dass jetzt jedes Schwanken, jedes Zögern Verrat am Vaterland ist, und in dem festen Willen, kein Opfer zu scheuen. Ich rufe die Männer und die Jünglinge, die Frauen und die Jungfrauen: sie alle mögen von dem Einen Gedanken erfüllt sein, alles daran zu setzen, für unsre höchsten Güter und die Ehre des teuren Vaterlands! Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, stark im Vertrauen auf unsre gute Sache, stark im Vertrauen auf unsre gute Wehr, stark vor allem im Vertrauen auf Gott, der unsere Väter in gleich ernster Stunde vor 100 Jahren nicht verlassen hat. Ihnen würdig zu leben oder zu sterben, sei unsre Losung."
(Adolf von Harnack: Ein Entwurf vom 4. August 1914 für den Kriegsaufruf des Kaisers)
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte Adolf von Harnack überaus gründliche Forschungen zur Ablehnung des tötenden Kriegshandwerks durch die Kirche der ersten drei Jahrhunderte vorgelegt. Es gibt sogar aus dieser Zeit ein fast pazifistisches Votum zur gesamtmenschlichen Sichtweise fern von Nationalismus und Rassenlehren. Nicht aus theologischer, sondern aus realpolitischer Perspektive lobt der Gelehrte dann im Frühjahr 1918 die Revision des alten "Jesus"-Standortes durch die nachkonstantinische Christenheit, die in militärischen Fragen ab dem 4. Jahrhundert die Programmatik der herrschenden Staatsordnungen weitgehend übernahm.
Im November 1909 hatte Harnack in einer an den Monarchen gerichteten Denkschrift zur Grundlegung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft geschrieben: "Die Wehrkraft und die Wissenschaft sind die beiden starken Pfeiler der Größe Deutschlands, und der Preußische Staat hat seinen glorreichen Traditionen gemäß die Pflicht, für die Erhaltung beider zu sorgen." 1914 bis 1918 war der Ernstfall eingetreten. Im Heizraum des deutschen Idealismus ging es nicht nur um Hochgeistiges. Adolf von Harnack organisierte ein militärdienliches Wissenschaftsgefüge des Kaiserreiches, in dem man u.a. Giftgas entwickelte, und leistete seine Unterschrift für Intellektuellen-Aufrufe zur Apologie des deutschen Militarismus.
Späte Reue und Bekenntnis zur Demokratie?
Sehr schnell ist in Texten über Harnack davon die Rede, er habe während des Weltkrieges eine "maßvolle Linie" verfolgt. Diese Floskel bringt jedoch wenig Erkenntniszuwachs, zumal dann, wenn man Harnacks zeitweilige Bewunderung für den Kaiserliebling Houston Stewart Chamberlain ausspart. Unser bis 1922 reichende Quellenband zeigt in überprüfbarer Form, dass der große Sachwalter der liberalen Theologie nur die extreme Form des Annexionismus ablehnte und zwar aus politisch-strategischen Gründen, nicht etwa wegen einer abweichenden, christlich geformten Ethik.
Als 1916 ein Autor allzu offensiv einen Abschied von der "Moral der weißen Weste" in Kriegszeiten propagierte, protestierte Harnack. Wiederum waren die Argumente ganz überwiegend realpolitisch-pragmatischer, nicht ethischer Natur. Den Vorgang kann man durchaus mit der jüngsten Geschichte unseres Landes vergleichen. Jeder darf sich in der Öffentlichkeit über menschenfreundliche Militärmissionen und vermeintliche Notwehrmaßnahmen auslassen. Doch ein Politiker, erst recht das Staatsoberhaupt darf nie offenherzig in den Medien darüber plaudern, dass es in der Militärdoktrin letztlich nur um ökonomische und geostrategische Interessen der eigenen Nation geht.
Während des Weltkrieges hat Adolf von Harnack Gebietszugewinne für das Kaiserreich keineswegs kategorisch abgelehnt, vielmehr - nebst Rückgewinnung von Kolonien - selbst eingefordert. In der Beurteilung der sich wandelnden Kriegslage stellte er freilich - anders als die lautstarken Schreier der alldeutschen Kriegsraserei - einen funktionstüchtigen Verstand unter Beweis.
Die demokratischen und sozialen Reformen nach Innen, die Harnack ab 1915 wünschte, entsprachen weithin einer Grundlinie, die der Nationalprotestant Friedrich Naumann schon 1897 in seinem "National-sozialen Katechismus" beworben hatte. Für die Nachkriegszeit schreibt Christian Nottmeier dem adeligen Theologen zu Recht eine eher rühmliche Rolle zu: Er zählte "nach 1918 trotz seiner Bindungen an das alte Regime zu den Verteidigern der Weimarer Republik. Er verteidigte den Reichspräsidenten Friedrich Ebert gegen Anwürfe von rechts und votierte 1925 gegen Hindenburgs Wahl zum Reichspräsidenten. Harnack gehörte gleichwohl zeitlebens keiner Partei an, sondern pflegte einen überparteilichen, auf Konsens, Konfliktvermeidung und Interessenausgleich zielenden Politikstil."
Was ihn abseits des republikfeindlichen - "deutschnationalen" - Mehrheitsstroms im Protestantismus stehen ließ, war gerade auch eine gewisse Kontinuität: "Harnack blieb […] in der Weimarer Republik, was er im Kaiserreich gewesen war: ein Staatsdiener" (Thomas Kaufmann). Durchgreifend neue Weltsichten findet man in den Texten der ersten Nachkriegsjahre jedoch nicht. Im Einzelfall wird der real existierende "Friede" im Vergleich zur Kriegszeit gar als der schlimmere Zustand beschrieben! Der Kulturprotestantismus sorgte weithin für ein "gutes Gewissen" des Bürgerchristentums und ließ sich auch durch Millionen Tote der Jahre 1914-1918 in seinen "Geschichtsbetrachtungen" nicht nachhaltig erschüttern.
Der "nächste Krieg": Vernichtung ganzer Völker
Wie Harnack beteiligte sich auch der römisch-katholische Dominikanerpater Franziskus Maria Stratmann (1883-1971) im Ersten Weltkrieg zunächst noch an der Textproduktion zur Stärkung des Kampfgeistes. Ein Soldat, der im militärischen Gemetzel nichts Segensreiches entdecken konnte, schickte ihm als Antwort einen wütenden Protestbrief. Der Dominikaner wurde nachdenklich und kehrte um zur Sichtweise der frühen Kirche: "Der Christ steht mehr über als in dem Staate, jedenfalls hängt sein Herz nicht an staatlichem und militärischem Glanz. So dachten sie alle, die von nationaler Beschränktheit noch nicht verkümmerten Christen der ersten Epoche."
Das jetzt von Thomas Nauerth in unserer Reihe neu edierte Werk "Weltkirche und Weltfriede" (1924) erweist Stratmann als den zentralen Theoretiker der frühen katholischen Friedensbewegung in Deutschland: "Mit dem Kampf gegen den Krieg verhält es sich genau wie mit dem Kampf gegen die Sünde, Krankheit und soziale Missstände: es ist Pflicht, das menschenmögliche Maß von Widerstand gegen sie aufzubieten."
Dieser Autor zeigte - anders als der berühmte Harnack - schon in der Weimarer Zeit auf, dass jeder moderne Krieg de facto mit den strengen Kriterien der kirchlichen Lehrtradition nicht vereinbar ist. Seine Bemerkungen über Mahatma Gandhi eröffneten zudem einen neuen Horizont: "Dass die gewaltlose Methode als solche dem Geiste Christi mehr entspricht als die gewaltsame, kann nicht bestritten werden."
Nach dem "Menschenschlachthaus 1914-1918" wäre ein durchgreifender Lernprozess der ganzen Kirche im Sinne dieses Theologen möglich gewesen: "Der Geist des Christentums und der Geist des Krieges vertragen sich wie Feuer und Wasser." 1933 verbot der NS-Staat die mit Juden und Protestanten kooperierende Organisation der katholischen Pazifisten (FdK). Pater Stratmann, der später ins Ausland fliehen musste, kam in Haft. Er behielt leider recht mit seiner Zukunftsschau aus den ersten Weimarer Jahren:
"Alle Welt weiß, wie der nächste Krieg aussehen wird, wenn er zustande kommt, und wozu die staatlichen und militärischen Kräfte entschlossen sind: zur Vernichtung nicht nur der feindlichen Heere, sondern der feindlichen Völker schlechthin." (Franziskus M. Stratmann O.P., 1924)
Adolf von Harnack: Schriften über Krieg und Christentum. "Militia Christi" (1905) und Texte mit Bezug zum Ersten Weltkrieg. Herausgegeben von B. Bischof & P. Bürger. (= Kirche & Weltkrieg, Band 6). Norderstedt: BoD 2021. ISBN: 978-3-7534-1759-2 (Paperback; 500 Seiten; Preis 15,90 Euro) Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis auf der Verlagsseite
Franziskus Maria Stratmann O.P.: Weltkirche und Weltfriede. Katholische Gedanken zum Kriegs- und Friedensproblem. Neu herausgegeben von Thomas Nauerth. (Kirche & Weltkrieg - Band 5). Norderstedt: BoD 2021. ISBN: 978-3-7534-3993-8 (Paperback; 376 Seiten; 12,90 Euro) Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis auf der Verlagsseite
Internetseite zum Editionsprojekt "Kirche & Weltkrieg" (bisher erschienene Bände)
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