Propaganda im Zweiten Kalten Krieg: Das Spiel mit der "Russophobie"

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In Zeiten des Krieges ist Propaganda allgegenwärtig. In Deutschland, so heißt es, bedroht uns vor allem die des Kremls. Warum das falsch ist. Gastkommentar.

In einem Artikel der Berliner Zeitung beleuchtet der britische Russland-Experte Richard Sakwa die Perspektiven beider Pole des ablaufenden Zweiten Kalten Krieges und dessen heißer Manifestation in der Ukraine.

Er sucht auf beiden Seiten nach Fehlern. Die Reaktion auf solche Darstellungen ist oft abwehrend, während fast schon reflexartig eine Verschwörung des Kremls vermutet wird.

Dabei ist die Tatsache, dass Sakwa langjähriges Mitglied der britischen Akademie sowie der sehr traditionellen britischen Denkfabrik Chatham House ist, kaum geeignet, dem Wissenschaftler zu unterstellen, ihm gehe es insgeheim um nichts anderes, als die westliche "Heimatfront" zu zersetzen.

Offene und geschlossene Weltbilder

Als Beobachter bleibt man angesichts dieser Verunglimpfungen bis hin zu Verschwörungstheorien oft resigniert zurück. Die Beweisführung, falls eine erfolgt, verbleibt in der Regel recht einfach: Sakwa hat an russischen Universitäten gelehrt, an Veranstaltungen des Waldai-Klubs teilgenommen, und, eindeutiger wird es nicht mehr, Artikel bei Russia Today publiziert.

Normalerweise würde man davon ausgehen, dass, gerade in Zeiten des erneuten Konflikts zwischen West und Ost, die Expertise langjähriger und intimer Kenner der russischen Nation hoch angesehen wäre. Doch weit gefehlt. Stattdessen werden fast jede Art von Einsicht oder gar Anzeichen eines Einfühlungsvermögens in die andere Seite als Feindpropaganda eingestuft und rigoros abgelehnt.

Wie lässt sich dieser Rückfall in ein derart geschlossenes Weltbild erklären? Der Kabarettist Volker Pispers sagte einst: "Wenn der Feind bekannt ist, hat der Tag Struktur!"

Praktischerweise gibt es da diesen einen Feind, den westliche Eliten mit besonderer Inbrunst und langer Tradition "hasslieben".

Westliche Eliten und das Spiel mit der "Russophobie"

Ich halte es jedoch für fragwürdig, die vermeintliche Wirkkraft russischer Propaganda im Westen als prinzipiell höher einzustufen, als die der eigenen politischen und medialen Eliten.

Die simple Tatsache, dass derart viele Menschen quasi hinter jeder Ecke "russische Einflussnahme" befürchten, ist bereits ein Beleg für diese Fehleinschätzung. Das oft überzogene Maß der Kritik an Russland ein weiterer.

Der russischstämmige US-Politikwissenschaftler Andrei Tsygankov beschrieb "Russophobie" einmal als "mehr denn bloße Kritik an Russland, sondern eine Kritik über jedes Maß hinaus, mit der Absicht, die politische Reputation der [russischen] Nation zu unterminieren."

Man fragt sich: Womit könnten wir es sonst zu tun haben, wenn hoch angesehene Akademiker wie Sakwa, aufgrund akademischer Verbindungen nach Russland, zum bloßen Werkzeug des Kremls und Feind des Westens reduziert werden?

Wenn hoch angesehene deutsche Akademikerinnen wie Gwendolyn Sasse nicht widerstehen können, in einem vom Beck-Verlag publizierten Lehrbuch von "Ruschismus" bzw. "Raschismus", "jeweils eine Mischung aus ‚Russland‘ und ‚Faschismus‘", zu schreiben – was sich angesichts der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs, trotz unbestreitbarer, aber sicherlich nicht faschistoider, Machtbündelung unter Putin, eigentlich verbieten sollte?

Wenn stets aufs Neue vom russischen "Genozid" in der Ukraine zu lesen ist, während die zivilen Opferzahlen des russisch-ukrainischen Krieges, nach über zwei Jahren intensiver und zweifellos auch ruchloser Kriegsführung, nur einen Bruchteil der Zahlen ziviler Opfer darstellen, für die Israel in Gaza nur wenige Monate gebraucht hat?

Hier wird hingegen alles dafür getan, auch nur den Verdacht des "Genozids" zu vermeiden, obgleich Deutschland mittlerweile wegen möglicher (und rational kaum bestreitbarer) Beihilfe vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt wird.

Anti-russische Propaganda hat Tradition im Westen

Tim Nieguth hat in einem lesenswerten Fachaufsatz bezüglich "deutscher Sichtweisen gegenüber Russland", nach den Ereignissen auf dem Maidan und der Krim 2014, geschrieben:

Viele der Tropen, die in aktuellen deutschen Diskursen zu Russland erscheinen – [beispielsweise] Russland als autokratisch, Russland als Aggressor, Russland auf Kollisionskurs mit Europa –, haben ihren Ursprung nicht spezifisch im Kalten Krieg. Tatsächlich sind viele dieser Einordnungen dem Kalten Krieg zu einem beachtlichen Zeitraum vorzudatieren. Die Darstellung Russlands [beispielsweise] als aggressiv, despotisch und nicht egalitär kann mindestens bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden.

Historisch betrachtet ergibt das auch durchaus Sinn, da Russland uns im Westen, wie etwa Kevork Oskanian beschrieben hat, als eine Art "mehrdeutiges Imperium zwischen Ost und West" bereits seit Jahrhunderten vertraut sowie gleichzeitig fremd und bedrohlich erscheint.

Das Problem hierbei ist, dass derartige, unter anderem historisch begründete, irrationale Ängste unseren Blick vernebeln und uns daran hindern, unsere gegenwärtigen Konflikte mit Russland rational zu bearbeiten.

Audiatur et altera pars : Auch die andere Seite hören

Was ist, in diesem Sinne, eigentlich aus dem bis in die Ära Roms zurückreichenden Grundsatz westlicher Rechtswissenschaftler geworden, demzufolge man "immer auch die andere Seite hören" möge? Eine Strategie zwischenmenschlicher Konfliktlösung, die nicht umsonst seit Jahrtausenden Bestand und es zu einem fundamentalen Baustein moderner westlicher Rechtsstaatlichkeit gebracht hat.

Hilft es uns, wenn wir russische Medien wie Russia Today aus unserem vermeintlich liberalen Mediensystem verbannen, während wir gleichzeitig die besondere Bedeutung des "West-" bzw. "Kontrafunks" zu Zeiten des Dritten Reichs oder der DDR betonen?

Wenn wir westliche Experten, die über einen reichhaltigen Fundus an Einsichten in die russische Gesellschaft und Kultur verfügen, als bloße Kreml-Apologeten verunglimpfen – nur weil sie uns möglicherweise mit Sichtweisen konfrontieren, die uns missfallen, weil sie uns die eigenen Verfehlungen vor Augen führen?

Ich würde diese Fragen verneinen und empfehlen, dass wir diese oft grotesk anmutenden russophoben Verirrungen überwinden und zu einem vernünftigeren Diskurs über, und vor allem auch mit, Russland zurückkehren. Es ist überfällig.