Pushbacks in Griechenland: Jetzt muss sich Athen erklären (Update)

Flüchtlingslager in Griechenland. Bild: European Parliament, CC BY-NC-ND 2.0

Flüchtlinge wurden zu Gewalt gegen andere Flüchtlinge gezwungen. Probleme der griechischen Migrationspolitik sind nicht neu: Schon 2021 wurden Kinder und Säuglinge in klirrender Kälte sich selbst überlassen.

Die Europäische Kommission und die Bundesregierung haben von Griechenland umfassende Aufklärung über illegale Pushbacks gefordert. Zuvor hatten Recherchen einer internationalen Journalistengruppe belegt, dass in Griechenland Flüchtlinge selbst gezwungen worden sind, andere Asylsuchende gewaltsam abzuwehren.

Die Sprecherin der Europäischen Kommission, Anitta Hipper, verlangte eine Untersuchung der Vorwürfe über Menschenrechtsverletzungen an der griechischen Grenze. Allerdings vermied sie es, von Rechtsverstößen zu sprechen und kündigte auch keine weiteren Konsequenzen an.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) nahm auf Twitter zu dem Bericht Stellung, an dem in Deutschland Journalisten des Bayerischen Rundfunks und des Spiegels mitgewirkt hatten.

Die "furchtbaren Bilder und Berichte" von den EU-Außengrenzen seien "nicht zu ertragen", so Baerbock: "Sie machen mich tief betroffen." Gemeinsamen Werte, Humanität und Menschenrechte gelten auch an unseren Grenzen, schrieb die Grünen-Politikerin mit Blick auf die Pushbacks im griechischen Evros und die Tragödie in der spanischen Exklave Melilla.

"Die Ereignisse und Vorwürfe müssen nun lückenlos aufgeklärt werden – sie dürfen sich nicht wiederholen. Das Leid ermahnt uns, dass wir in der EU bei der Asyl- und Migrationspolitik noch einen weiten Weg vor uns haben", so Annalena Baerbock.

Doch Beobachtern der Situation geht das nicht weit genug. "Um es einmal klar zu sagen", kommentierte auf Deutschlandfunk der Journalist Panajotis Gavrilis: Griechenland missachte seit Jahren internationale Menschenrechts- und Flüchtlingsschutzstandards:

Das sind keine Einzelfälle, das hat System. Und alle wissen das: Von den Beteiligten, den Betroffenen bis hin zu den Beobachtenden. Von der griechischen Regierung bis hin zur Europäischen Kommission, der Hüterin der Verträge. (…) Es wird Zeit für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland. Griechenland muss die illegalen Pushbacks einstellen und jedem ankommenden Menschen ein ordentliches Asyl-Verfahren garantieren. Es darf Medien, Politik, Gesellschaften nicht gleichgültig sein, was an den EU-Grenzen passiert. Das ist auch eine Frage der Würde und Glaubwürdigkeit. Sonst belügt man sich und verrät die immer so hochgepriesenen Werte wie Humanität und Menschenrechte.

Panajotis Gavrilis

Die Recherchen der Journalistengruppe stützen sich auf Aussagen von Flüchtlingen. Sie bestätigten, dass sie von Polizisten gezwungen wurden, andere Flüchtlinge über die Grenzen wieder aus dem EU-Raum hinauszudrängen.

Die Polizei habe mit Gefängnis und Ausweisung gedroht, oder den Betroffenen Dokumente in Aussicht gestellt, mit denen sie in Griechenland bleiben konnten. Die Rechercheure konnten die Aussagen durch Dokumente und Satellitenbilder verifizieren und sie von der griechischen Polizei bestätigen lassen.

Die Lage von Flüchtlingen in Griechenland ist seit Jahren untragbar. Schon Anfang vergangenen Jahres berichtete Telepolis, wie anerkannte Asylsuchende aus Griechenland angesichts der katastrophalen Situation in den Flüchtlingslagern das Land zu verlassen versuchten. Wegen der tödlichen Bedingungen seien immer mehr Menschen in den Lagern bereit – wie damals auch die niederländische Tageszeitung Volkskrant berichtete – ein illegales Leben in einem anderen EU-Mitgliedsstaat dem weiteren legalen Verbleib in Griechenland vorzuziehen.

Nach Angaben der griechischen Regierung wurden 2020 rund 30.000 positive Asylbescheide erteilt, 70.000 Anträge wurden abgelehnt. Knapp 83.000 Antragsteller warten auf eine Entscheidung.

Immigrationsminister schickte Asylanten in die Kälte

Griechenland versank Anfang 2021 im Schnee. Das Tief Medea hatte das Land im Griff. Schnee, das bedeutet in Griechenland, dass Nadelbäume unter Schneemassen zusammenbrechen und im Fall Stromleitungen mitreißen. Teile des Landes waren daher ohne Elektrizität.

Selbst in den nördlichen Vororten von Athen gab es stundenlang keinen Strom. Das Land war im Ausnahmezustand. Allerdings war der "Jahrhundertschnee" von den Meteorologen mehrere Tage im Voraus angekündigt worden. Die Regierung hätte knapp eine Woche Zeit gehabt, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.

Stattdessen verordnete sie im Februar 2021 die Schließung der zentralen Fernstraßen und Autobahnen. Zehntausende Arbeitnehmer waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Millionenstadt Athen in die Industriegebiete nördlich und westlich von Attika gefahren. Sie wussten lange nicht, ob sie wieder nach Hause fahren konnten. Dies wurde mit einer eilig nachgeschobenen Ausnahmeregel für einige Stunden gestattet.

Keine Schutzmaßnahmen trotz absehbarer Kältefront

Es mag in diesem Zusammenhang nicht verwundern, dass die Regierung, die sich hinsichtlich des Wohlergehens der Bevölkerung so fahrlässig verhielt, gegenüber dem schwächsten Teil der Landesbewohner noch weniger Empathie zeigt.

Im Flüchtlingslager von Malakasa nahe Athen sind Familien mit Kindern und Säuglingen sowie unbegleitete Minderjährige untergebracht. Hier finden sie in der Regel bessere Lebensbedingungen als zum Beispiel im berüchtigten Lager Kara Tepe, das auch Moria 2.0 genannt wird.

Das gebirgig gelegene Malakasa versinkt im Winter regelmäßig im Schnee. Ein Umstand, der nahezu allen Bewohnern Attika, Thivas und Chalkidas gut bekannt ist. Eine vorausschauende Planung hätte das Lager angesichts der drohenden Wetterkatastrophe mit Vorräten ausgestattet und einkalkuliert, dass der Strom ausfallen kann.

Erst nach zwei Tagen gelang es der Feuerwehr, die unbegleiteten Minderjährigen aus dem Lager zu evakuieren und die Bewohner mit Gütern zu versorgen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) bedankte sich ausdrücklich bei den Einsatzkräften des Zivilschutzes und der Feuerwehr.

Auch für diejenigen, die den legalen Aufenthaltsstatus durch erfolgreichen Abschluss ihres Asylverfahrens erlangt haben, hielt das Immigrationsministerium kurz vor dem Einsetzen des Unwetters eine böse Überraschung bereit. So wurden allein im Ort Iliochari bei Agioi Theodoroi in der Nähe von Korinth elf Familien auf die Straße gesetzt. Dies geschah fünf Tage vor Ankunft des Tiefdruckgebiets Medea, als bereits eine Katastrophenwarnung herausgegeben worden war.

Die Flüchtlinge, die wegen der Verschärfungen des Lockdowns keine Möglichkeit hatten, sich zu einem anderen Ort zu bewegen, blieb nur die Möglichkeit, in der Kälte am Straßenrand zu campieren.

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