"Massaker von Melilla": Viele Tote an spanischer EU-Außengrenze
Marokkanische Sicherheitskräfte gehen brutal gegen Migranten und Asylsuchende vor. 37 Afrikaner sterben an Grenze zu spanischer Exklave Melilla. Spanischer Premier hat dennoch ein Lob übrig.
Das Entsetzen ist groß über das, was in der Nacht zum Samstag an der marokkanisch-spanischen Grenze passierte. Mindestens 37 Asylsuchende starben bei dem Versuch, aus Marokko die spanische Exklave Melilla zu erreichen. Die Bilder und Videoaufnahmen von dem, was an den sechs Meter hohen Grenzzäunen, die Afrika von der EU trennen, geschah, sind verstörend.
Sie dokumentieren, wie marokkanische Sicherheitskräfte sogar auf der spanischen Seite der "Mauer" Jagd auf Schwarzafrikaner:innen machen, sie dort festnehmen und mit Gewalt zurück auf das marokkanische Territorium bringen, wie in einem Video zu sehen ist, das u.a. die Online-Zeitung "Público" veröffentlicht hat. Auch eldiario.es veröffentlichte Videos, wie die marokkanische Gendamerie die Einwanderer und Flüchtlinge mit Steinen bewarf und auch die spanische Guardia Civil an den sogenannten "heißen Abschiebungen" beteiligt gewesen ist.
Andere Aufnahmen zeigen Dutzende von Menschen, die am Grenzzaun liegen, einige blutend und viele offensichtlich leblos, während marokkanische Sicherheitskräfte über ihnen stehen. In einem der Clips schlägt ein marokkanischer Sicherheitsbeamter offenbar mit einem Schlagstock auf eine am Boden liegende Person ein.
Nach Angaben der spanischen Behörden starben die Personen am Freitag infolge einer "Massenpanik", nachdem etwa 2.000 Menschen versucht hatten, den Eisenzaun zwischen Marokko und Melilla zu überwinden, wobei einige von ihnen abstürzten.
Amnesty International zeigt sich in einer Erklärung tief besorgt über die Ereignisse an der Grenze.
Auch wenn die Migranten bei ihrem Versuch, nach Melilla zu gelangen, gewalttätig gehandelt haben mögen, ging bei den Grenzkontrollen nicht alles mit rechten Dingen zu,
sagte Esteban Beltran, der Direktor von Amnesty International Spanien.
Die Menschenrechte von Migranten und Flüchtlingen müssen respektiert werden und das, was wir gesehen haben, darf sich nicht wiederholen.
Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen in Marokko und Spanien verlangen nun eine unabhängige Untersuchung der Todesfälle von Melilla.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez verurteilte den versuchten Massenübertritt hingegen als "gewaltsamen Übergriff" und "Angriff auf die territoriale Integrität" Spaniens.
Wenn es jemanden gibt, der für all das verantwortlich ist, was an dieser Grenze stattgefunden zu haben scheint, dann ist es die Mafia, die mit Menschen handelt.
Der Sozialdemokrat Sánchez fügte angesichts des Todes von 37 Menschen hinzu:
Ich glaube, das wurde gut durch die spanischen und marokkanischen Sicherheitskräfte gelöst.
Er bedankte sich für "die Arbeit der marokkanischen Regierung". Verantwortlich seien "Menschenschmuggler". Sánchez fragte schließlich angesichts der Bilder "Wie viele Tote gibt es hier?"
„Kein Wort des Bedauerns von Sánchez, der einst als Oppositionsführer das Sterben an den EU-Außengrenzen selbst scharf angeprangert hatte. Keine Ankündigung, die Todesursachen bei den 37 Opfern zu ermitteln. Stattdessen plumpe Kriegsrhetorik und Schmeicheleien in Richtung Rabat“, kritisiert sogar die Süddeutsche Zeitung.
Unter dem Hashtag #MasacreMelilla empören sich viele in Spanien über den Zynismus der eigenen Regierung.
Der Fotojournalist und Pulitzer-Preisträger Javier Bauluz teilte ein Video auf Twitter, auf dem Schüsse auf die am Boden sitzenden Migranten und Schläge auf diejenigen zu sehen sind, die aus großer Höhe zu Boden stürzen. Von der marokkanischen Seite werden die Menschen dabei mit Steinen beworfen, wie auf dem Video zu sehen ist.
Bauluz schreibt:
Zuerst werden sie mit Tränengas angegriffen und fallen zehn Meter tief. Dann wird mit Gummigeschossen zwei Mal auf die Körper geschossen. Minute 1.40 und 2.14.
Auf dem Boden liegend wird dann auf sie eingeprügelt.
Dann werden sie illegal abgeschoben und marokkanische Polizisten machen ihnen den Garaus.
31 Tote waren bis zu diesem Zeitpunkt registriert.
Erst kürzlich wurde der Journalist über das Maulkorbgesetz mit einer Strafe von 1.000 Euro belegt, weil er über ankommende Migranten auf den Kanarischen Inseln berichten wollte. Das Gesetz der ultrakonservativen Vorgängerregierung – so hatten es die Sozialdemokraten und der linkere Koalitionspartner "Unidas Podemos" (UP) versprochen –, sollte längst gestrichen sein. Es wurde mit Blick auf die Vorgänge in Katalonien aber sogar verschärft.
Bei der UP herrschte lange Schweigen zu den menschenverachtenden Vorgängen, bevor schließlich die UP-Chefin Yolanda Díaz einen nichtsagenden Tweet veröffentlichte, in dem sie sich bestürzt zeigte. Keine Forderung, die Vorgänge umfassend aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Keine Aufforderung an die Regierung, Konsequenzen gegenüber Marokko zu ziehen.
Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte in Melilla resultiert nicht zuletzt aus einem spanisch-marokkanischen Abkommen, das von der UP mitgetragen wird. Mit dem Abkommen hat die Sánchez-Regierung die Souveränität der Westsahara de facto preisgegeben (Marokko besetzt seit Jahrzehnten widerrechtlich die Westsahara), um sich im Gegenzug dafür vom autokratisch regierten Königreich die Garantie zu erkaufen, Asylsuchende und Migrant.innnen an der EU-Grenze abzuwehren. Marokko hat Spanien hinsichtlich der Abwehr von Flüchtlingen immer wieder erpresst.
Madrid riskiert mit dem Marokko-Deal allerdings die dringend notwendigen Gaslieferungen aus Algerien. Algerien verurteilt die Besatzung der Westsahara durch Marokko und fordert ein Ende des Völkerrechtsbruchs.
Innenpolitisch werden das brutale Vorgehen der marokkanischen Sicherheitskräfte in Melilla und die vielen toten Asylsuchenden an der EU-Außengrenze die Regierung in Madrid weiter unter Druck setzen. Die Regierungsparteien, insbesondere das Linksbündnis UP, haben in Folge zahlreicher Kompromisse u.a. in Bezug auf nicht umgesetzte progressive Arbeitsmarktreformen immer wieder herbe Niederlagen bei Wahlen hinnehmen müssen.