Erdgas aus Algerien auf der Kippe
- Erdgas aus Algerien auf der Kippe
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Die spanische Regierung will die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkennen, das erzürnt Algier. Sánchez' Entscheidung kommt zur Unzeit. Das algerische Gas sollte die EU aus der Abhängigkeit von Russland befreien
Die Ankündigung kam zur Unzeit und noch dazu hat der spanische Sozialdemokrat Pedro Sánchez die Entscheidung nicht einmal selbst verkündet, sondern er ließ Marokko vortreten. In einer Mitteilung teilte der autoritäre, marokkanische König, Mohammed VI., am Freitag mit, dass er vom spanischen Regierungschef einen Brief erhalten habe, in dem Sánchez den Autonomieplan für die illegal besetzte Westsahara, den Marokko 2007 präsentiert habe, als "ernsthafteste, glaubwürdigste und realistischste Grundlage für die Lösung des Konflikts" betrachtet.
Ministerpräsident Sánchez habe erklärt, beide Länder seien "durch Zuneigung, Geschichte, Geografie, Interessen und gemeinsame Freundschaft untrennbar miteinander verbunden". Die "Schicksale der beiden Völker" seien es auch, ebenso wie "der Wohlstand Marokkos mit dem Spaniens verbunden ist und umgekehrt", heißt es in der Mitteilung des marokkanischen Königs.
Sánchez hat sich bislang noch nicht zum historischen Schwenk seiner Regierung um 180 Grad geäußert. Aber sein Minister für Präsidentschaft, Félix Bolaños, hat den Brief und den Positionswechsel bestätigt und damit ein neues Beben in seiner ohnehin schwachen Minderheitsregierung ausgelöst.
Denn erneut wurde mit dem einseitigen Kurswechsel auch in dieser Frage dem linken Koalitionspartner Unidas Podemos (UP) vor den Kopf gestoßen, wie schon zuvor, als Sánchez in der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine umgefallen ist. Zudem haben seine Sozialdemokraten (PSOE) gerade mit der gesamten Rechten, bis hin zu Vox-Ultras, gegen eine Initiative der linken Partner gestimmt, endlich die Verbrechen der Franco-Diktatur strafrechtlich zu ermitteln.
Bolaños erklärte, dass es Spanien um eine "gute" und "stabile" Beziehung zu Marokko gehe. "Heute beginnen wir eine neue Phase in unseren Beziehungen zu Marokko, die auf gegenseitigem Respekt, der Einhaltung von Vereinbarungen, dem Verzicht auf einseitige Aktionen sowie auf Transparenz und ständiger Kommunikation beruht", heißt es in einer Presseerklärung der spanischen Regierung. Gesprochen wird von "Stabilität, Souveränität, territoriale Integrität und den Wohlstand", die in beiden Ländern, die gewährleistet werden sollen.
Die Sozialdemokraten liefern Waffen an die Ukraine, um das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer zu verteidigen, dafür opfern sie auf der anderen Seite das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis. Die zahlreichen Resolutionen der UNO sind bekannt, die die Entkolonisierung der illegal von Marokko besetzten Westsahara fordern, der letzten Kolonie Afrikas.
Kritik
"Die gleichen völkerrechtlichen Gründe, aus denen wir die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine verteidigen, müssen auch für den Schutz der Sahara vor der marokkanischen Invasion gelten", meint der Sprecher der spanischen Richtervereinigung "Richter für die Demokratie", Joaquim Bosch. Das Gegenteil davon sei es, die Interessen der Mächtigen über die Interessen der Menschen zu stellen.
Spanien stellt sich nun offen und konsequent angesichts des eigenen undemokratischen und repressiven Verhaltens in der Katalonien-Frage hinter die marokkanischen Positionen. Das autokratische Königreich auf der anderen Seite der Meerenge von Gibraltar hintertreibt seit Jahrzehnten das vereinbarte Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara.
Das war aber die Grundlage für den Waffenstillstand mit der Befreiungsfront "Frente Polisario" im Jahr 1991. Die UNO sollte das Referendum über die Minurso-Mission überwachen. Doch die zeigte sich unfähig, die Pläne gegenüber Marokko durchzusetzen. Nach ständigen, auch bewaffneten Provokationen Marokkos, auch in der entmilitarisierten Zone, platzte der Polisario nach drei Jahrzehnten vor eineinhalb Jahren schließlich der Kragen. Sie beschloss, auf die Provokation auch wieder bewaffnet zu antworten, weshalb der Waffenstillstand beendet wurde.
Der spanische Minister für Präsidentschaft machte deutlich, dass es in der Frage einen Zusammenhang mit Flüchtlingen und illegalen Einwanderern gibt, denn man wolle sich nun gegen die illegale Einwanderung richten. Man wolle gegen die "Mafia und gegen den Menschenhandel zusammenarbeiten", erklärte Bolaños. Allerdings gibt es auch hierbei eine völlig unterschiedliche Behandlung und eine heuchlerische Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Zwei-Klassen-Gesellschaft
Während die Ukraine-Flüchtlinge glücklicherweise mit offenen Armen empfangen werden, prügeln spanischen Sicherheitskräfte – wie kürzlich erst wieder – äußerst brutal auf Flüchtlinge die ein, die versuchen aus Marokko in die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta zu kommen, wie Videos zeigen.
Das brutale Vorgehen wird von der Regierung und von ihrem Innenminister gerechtfertigt. In der Presseerklärung der spanischen Regierung wird die "Entschlossenheit" bekräftigt, "die gemeinsamen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen, insbesondere die Zusammenarbeit bei der Steuerung der Migrationsströme im Mittelmeer und im Atlantik".
Angesichts dieser Argumentationslinie der Sozialdemokraten, ist verständlich, dass allerseits analysiert wird, dass nun Spanien gegenüber der "Erpressung" durch Marokko eingeknickt ist. Das erklärt auch die Polisario, die die Bevölkerung in Spanien dazu aufruft, Druck auf die Regierung auszuüben, um zu einer Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen zu kommen.
Der Vertreter der Polisario in Spanien, Abdulah Arabi, bezeichnet Sánchez Einlassung, der davon spreche, "das Völkerrecht zu verteidigen", als "heuchlerisch". Allein mit einem Referendum, in dem die Sahrauis über die Unabhängigkeit abstimmen, könne der Konflikt gelöst werden.
Erpressung
Dass der Erpressung nachgegeben wird, drängt sich regelrecht auf. Man erinnert sich schließlich nur zu gut daran, dass vor knapp einem Jahr Marokko plötzlich die Grenze zur spanischen Exklave Ceuta geöffnet hat, um Druck auf Spanien auszuüben, und so zur "staatlichen Mafia und Menschenhändler wurde. Tausende, vor allem junge Marokkaner, die besonders schwierig wieder zurückgebracht werden können, gingen im Mai 2021 über die Grenze nach Spanien.
Der Professor für internationales Recht, Juan Soroeta, analysiert, dass es letztlich der ehemalige US-Präsident Donald Trump war, der kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt einseitig, gegen das Völkerrecht, noch Öl ins Feuer in der Sahara geschüttet hat, als er plötzlich die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt hatte. Diese Anerkennung durch Trump habe Marokko ermutigt, "die Schrauben gegenüber Spanien und der EU anzuziehen", damit die dies ebenfalls tun, schreibt Soroeta.
Selbstbestimmung
Der Professor für Völkerrecht meint, das "Überraschendste am Inhalt" des spanischen Briefes an Marokko sei, dass der "aktuelle internationale Kontext unsere Regierung bloßstellt", denn erst vor wenigen Tagen habe Sánchez die russische Invasion als "eine eklatante Verletzung des Völkerrechts, der nationalen Souveränität und der territorialen Integrität der Ukraine" bezeichnet und als einen "Frontalangriff auf die Grundsätze und Werte, die Europa jahrelang Stabilität und Wohlstand beschert haben".
Er hatte bekräftigt, Spanien sei der "internationalen Legalität verpflichtet, und die wirksamste Art und Weise, sich für diese internationale Legalität einzusetzen, ist die Sanktionierung ihrer Verletzung". Der Vergleich dieser Aussagen mit dem spanischen Brief an Marokko "löst nicht nur große Empörung, sondern auch Fassungslosigkeit aus", schreibt der Professor.
"Die wichtigsten UN-Gremien (Sicherheitsrat, Generalversammlung und Internationaler Gerichtshof) haben ausdrücklich das Recht des saharauischen Volkes auf Selbstbestimmung anerkannt, das durch die Durchführung eines Referendums über die Selbstbestimmung verwirklicht werden sollte, an dem die Saharauis und nur die Saharauis teilnehmen", erklärt Soroeta, wie Spanien das Völkerrecht in der Westsahara-Frage mit Füßen tritt.
Spanien sei auch nach dem chaotischen Abzug aus der früheren Kolonie 1975 trotz der Besetzung über den sogenannten "grünen Marsch" durch Marokko weiterhin die "Verwaltungsmacht des Gebiets". Das sei bisher euphemistisch als "aktive Neutralität" getarnt worden. Spanien sei aber niemals neutral gewesen. Seit das Gebiet aufgegeben wurde, habe es real die Besetzung verteidigt.
Letztlich habe sich Spanien nun nur offen dazu bekannt und einen "schweren Verstoßes gegen das Völkerrecht" konsolidiert, wie es schon zuvor zu der militärischen Besetzung, beigetragen habe. "In der Ukraine ist die Lage ebenso ernst wie in der Westsahara", resümiert der Völkerrechtler.
Wie Telepolis immer wieder berichtet hatte, hat auch der erneut aufgeflammte Krieg in der Westsahara das Potential, weiter zu eskalieren und sich zu einem regionalen Krieg zu entwickeln. Marokko hat in den letzten Monaten alles dafür getan, um auch den Nachbarn Algerien zu provozieren, der seit Jahrzehnten eine schützende Hand über die Saharauis und die Polisario hält. In der algerischen Wüste befinden sich die Lager, in welche die Saharauis vor den Besatzern geflüchtet ist.
Dass Marokko Algerien sogar als "wahre Konfliktpartei" bezeichnet hat, führte schließlich schon zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko. Ein Drohnen-Angriff sorgte schließlich im vergangenen November dafür, dass Algerien schließlich die Gas-Lieferungen nach Marokko eingestellt hat, nachdem ein Vertrag ausgelaufen.
Die Maghreb-Europa-Pipeline
So fließt seither über die Maghreb-Europa-Pipeline aber auch kein Gas mehr nach Spanien und Portugal, womit sich die Gasknappheit in Europa verschärft hat und die Preise weiter nach oben getrieben wurden.
Kürzlich hatte Algerien sogar noch angeboten, die Lieferungen nach Europa über die zweite Direkt-Pipeline zu verstärken und insgesamt mehr Gas nach Europa zu liefern. Damit würde auch die MidCat-Pipeline wieder sinnvoll sein, die die deutsche Gas-Abhängigkeit von Russland verkleinern könnte (MidCat-Pipeline zur Befreiung von der russischen Gas-Abhängigkeit?).
Doch nun stehen alle bisherigen Aussagen Algeriens zur Disposition, da sich das Land durch die Westsahara-Entscheidung der sozialdemokratischen Regierung erneut verraten fühlt. "Dies ist nach dem katastrophalen Abkommen von 1975 der zweite historische Verrat Madrids am saharauischen Volk", werden Quellen aus der algerischen Regierung zitiert. "Marokko hat endlich bekommen, was es von Spanien wollte."