MidCat-Pipeline zur Befreiung von der russischen Gas-Abhängigkeit?

Flansch-Verbindung einer Pipeline; Bild: Wikimedia/GNU FDL

2019 wurde das einst von der EU als "prioritär" bezeichnete Projekt gestoppt, über das Gas aus Algerien und Flüssiggas von der Iberischen Halbinsel nach Zentraleuropa gepumpt werden könnte

Die Abhängigkeit Europas von russischer Energie, insbesondere von Gas, ist bekannt. Allseits wird darüber spekuliert, ob Russland Europa den Gashahn abdreht, obwohl die Regierung in Moskau klargestellt hat, es werde Europa weiterhin vertragskonform beliefern. Die Befürchtungen, dass Russland die Gaslieferungen trotzdem einstellen könnte, werden aber mit der Zuspitzung des Kriegs größer.

Deutschland wäre davon besonders betroffen, da es besonders abhängig von russischem Gas ist. Der größte Teil des von Deutschland importierten Gases kommt aus Russland. 2020 - aus diesem Jahr liegen die aktuellsten Zahlen vor - wurden nach Angaben der Bundesnetzagentur 1.121,2 Terawattstunden (TWh) Gas aus Russland eingespeist.

Das waren etwa zwei Drittel des gesamten importierten Erdgases (1.674,2 TWh). Zwar stammte ein Teil davon aus anderen Ländern, die der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) angehören, doch das Gas wurde ebenfalls über Russland nach Deutschland verkauft.

Allüberall in Berlin und Brüssel wird fieberhaft darüber nachgedacht, wie man die enorme Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern könnte. Dabei ist allen eigentlich klar, dass dies kurzfristig unmöglich ist. Es grenzt an bewusste Täuschung, wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vollmundig behauptet, Deutschland sei "versorgungssicher", obwohl das Land nach seinen Angaben ungefähr 55 Prozent des Erdgases aus russischen Quellen erhält.

Die Wiedergeburt der MidCat und die Nato

Auf der Suche nach Alternativen soll nun auch das Projekt der "Midi-Catalonia-Pipeline" (MidCat) reaktiviert werden. So hatte die katalanische Tageszeitung La Vanguardia schon vor einem Monat berichtet, dass man in Madrid und der Nato darüber nachdenke, das Projekt wieder aufzunehmen, das erst 2019 auf Eis gelegt worden war.

LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)

LNG-Terminal Ras Laffan in Katar. Bild: Matthew Smith / CC-BY-2.0

Über MidCat könne die "starke Abhängigkeit" Deutschlands von russischem Gas gesenkt werden, indem Gas aus Algerien, aber auch Flüssiggas von den Terminals in Spanien und Portugal "in das Herz Europas" gepumpt werden, hatte die Zeitung berichtet.

Schon vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurden nicht genannte Quellen in der spanischen Regierung zitiert, wonach die Wiederbelebung einer "neuen grenzüberschreitenden Verbindung mit Frankreich" jetzt auch "auf dem Arbeitstisch der Nato" liegen würde. Die Reaktionen aus der sozialdemokratischen Regierung in Madrid sind offiziell aber weiter zurückhaltend.

Das Problem für Regierung unter Pedro Sánchez ist, dass sie es war, die 2019 darauf gedrängt hatte, das Pipeline-Projekt zu beenden. Doch hat die Sánchez-Regierung nun sogar eine Kehrtwende bei Waffenlieferungen in die Ukraine gemacht.

Nach der anfänglich verkündeten Ablehnung kündigte Sánchez am Mittwoch vergangener Woche plötzlich die Lieferung von "Offensivwaffen an den ukrainischen Widerstand" an, womit er erneut Streit in der Regierungskoalition geschürt und die linken Unterstützer vor den Kopf gestoßen hat. Abgelehnt werden die Waffenlieferungen allerdings auch vom Koalitionspartner Podemos.

Da es sich bei MidCat nun um Nato-Interessen handelt, hinter denen auch Deutschland steht, ist leicht davon auszugehen, dass Madrid seinen Widerstand aufgeben wird und das Projekt schnell wieder aufgenommen werden kann. In Madrid denkt man vermutlich nur noch darüber nach, wie man diesen weiteren Schwenk verkauft.

Ein Gas-Hub in Südeuropa

In Katalonien, wo es auch starke Widerstände von Umweltschützern gegen MidCat gab, drängt nun vor allem der große Unternehmerverband "Foment del Treball" auf eine Reaktivierung des Projekts. In einem Brief an Sánchez hat der gerade die dringende Fortführung des Projekts angemahnt, um sich als "Gas-Hub" in Südeuropa zu positionieren.

"Weniger von Lieferungen aus Russland abhängig zu sein, ist eine geostrategische und ökonomische Priorität und eine Waffe, um den russischen Expansionismus zu stoppen", erklärt der Verbandspräsident Josep Sánchez Llibre. Er erinnert daran, dass das Projekt 2013 zwischen Frankreich, Spanien und Portugal vereinbart worden war.

Die Röhre von Barcelona, wo im Hafen die größte Regasifizierungsanlage Europas steht, wurde sogar schon bis Hostalric an den Rand der Pyrenäen gelegt. Insgesamt sind schon etwa eine halbe Milliarde Euro in das Projekt investiert worden. Aus EU-Mitteln sollen davon gut sechs Millionen gekommen sein. Die EU soll bisher allerdings schon 440 Millionen Euro in "gescheiterte Gasprojekte" gesteckt haben.

Die Pipeline sollte über 235 Kilometer ins französische Barbaira führen. Es fehlt der Anschluss über den "South Transit Eastern Pyrenees" (STEP) genannten Abschnitt, dem die Genehmigung verweigert wurde. Offiziell war mit der mangelnden Notwendigkeit und mit hohen Kosten für ein Projekt argumentiert worden, das die EU in Brüssel noch bis 2019 auf der Liste der "prioritären Infrastruktur" stehen hatte.

Es wurde trotz des spanischen Widerstands weiter unterstützt, um die "Integration der Iberischen Halbinsel in den EU-Energiebinnenmarkt" zu verbessern.

Das Scheitern

Das Projekt entspreche "nicht den Marktbedürfnissen" und sei "nicht ausgereift genug, um berücksichtigt zu werden", wurde von den Energieregulierungsbehörden in Spanien und Frankreich schließlich argumentiert, als es 2019 dann auf Eis gelegt wurde. Das Kostenargument von französischer Seite ist eher berechtigt, denn Frankreich sollte zwei Drittel der etwa 3,1 Milliarden Euro aufbringen. Nutznießer sollte aber vor allem Spanien sein.

So war es in Madrid auch eine politische Entscheidung im Streit mit den abtrünnigen Katalanen, die man auch gerne absurd in Verbindung zu Russland zu bringen versucht, um wieder einmal nichts in die Region zu investieren.

Es war auch eine politische Entscheidung gegen eigene ökonomische Interessen im Land, die mit Klimaschutzargumenten von der sozialdemokratischen Umweltministerin Teresa Ribera angereichert wurde. Doch die Blockade fällt nun auf die Versorgungssicherheit in Europa zurück, denn eigentlich hätte MidCat nun in diesem Jahr in Betrieb gehen sollen. Vor 2024 oder 2025 ist an eine Fertigstellung jetzt nicht mehr zu denken.

Die Möglichkeiten

Die Pipeline könnte die Energieabhängigkeit von Russland bestenfalls auch nur mäßig verringern. Mit einer Kapazität von gut sieben Milliarden Kubikmeter pro Jahr könnte etwa verdoppelt werden, was bereits von der Iberischen Halbinsel in zwei Pipelines über das Baskenland ins französische Netz eingespeist wird. Das ist aber nur ein Bruchteil der Kapazität, die etwa Nord Stream 2 mit 55 Milliarden liefern sollte und die Nord Stream 1 hat.

Dazu stellt sich die Frage, woher das Gas kommen könnte, das über MidCat nach Zentraleuropa fließen soll. Das Problem ist, dass schon Spanien allein nicht mehr genug Gas aus Algerien erhält, woher es den Löwenanteil bezieht. Im Jahr 2021 waren es über 41 Prozent. Algerien liefert wegen des Kriegs in der von Marokko illegal besetzten Westsahara kein Gas mehr an das Nachbarland, nachdem entsprechende Verträge ausgelaufen sind.