Algerien stoppt Gaslieferungen Richtung Spanien
Kalter Krieg zwischen Marokko und Algerien: Kampfhandlungen in der Westsahara und Einschränkungen der Gaslieferungen in EU-Länder Spanien und Portugal
Seit einer Woche fließt über die Pipeline Maghreb-Europa, die aus Algerien kommend über Marokko durch die Meerenge von Gibraltar nach Spanien und Portugal führt, kein Erdgas mehr. Das hat Einfluss auf die Versorgungslage in Europa.
Algerien hatte dem Nachbarn angesichts der Eskalation in der Westsahara die "Gelbe Karte" gezeigt und die Gaslieferungen an das autokratische Königreich Marokko eingestellt. Das Land nutzte das Auslaufen eines Vertrages nach 25 Jahren, so hat man es mit keiner einseitigen Entscheidung zu tun, vielmehr wurde er von beiden Seiten nicht verlängert. Fakt ist allerdings: Nun kommt durch diese Pipeline kein Erdgas mehr nach Spanien und Portugal.
Der Energieengpass in Europa verschärft sich damit ausgerechnet vor dem Winter, in dem ohnehin mit Gasknappheit gerechnet wird. Die US-Administration spricht schon von einer möglichen "lebensbedrohlichen" Situation und schiebt, wie gewohnt, allein Russland den schwarzen Peter zu.
Befürchtet wird: Der Konflikt in der Sahara könnte sich zu einem offenen regionalen Krieg zwischen Marokko und Algerien ausweiten - mit unklaren Folgen für die Gasversorgung. Algerien droht Marokko schon offen mit Vergeltung, nachdem Marokko bei einem Angriff in der vom Königreich illegal besetzten Westsahara am vergangenen Montag drei algerische Zivilisten getötet haben soll.
Unklar ist, ob es sich dabei um eine Retourkutsche für die Sperrung der Gaslieferungen nach Marokko handelt oder ob Marokko schlichtweg einen schweren Fehler begangen hat. Algerien hat eine internationale Offensive gestartet, um eine Verurteilung Marokkos zu erreichen.
Belastbare Beweise, wonach Marokko hinter dem Angriff steht, gibt es bisher nicht. Klar ist aber, dass Marokko gerne mit Zuspitzungen und Erpressung agiert, wenn es seine Interessen durchsetzen will. Dazu werden als Druckmittel auch Einwanderer und Flüchtlinge wie im vergangenen Mai um die spanische Exklave Ceuta eingesetzt. Da Marokko dabei stets weitgehend erfolgreich ist, ist es auch kein Wunder, dass das autokratische Königreich an dieser Politik festhält.
Algerien macht bei diesem Spiel nicht mit. Deshalb hat das Büro des algerischen Präsidenten in einer Erklärung von "einem barbarischen Anschlag" gesprochen. Es habe sich um ein "feiges Attentat mit einer hoch entwickelten Waffe" gehandelt, das die "Besatzungstruppen" aus Marokko verübt hätten. Die Spannungen werden seit Monaten größer.
Schon im August hatte Algerien seine diplomatischen Beziehungen zu Marokko abgebrochen. Es soll sich erneut um einen Angriff mit Drohnen gehandelt haben, die Marokko im Krieg mit der Westsahara seit fast einem Jahr einsetzt.
Von der Drohne soll eine Rakete auf einen Lkw-Konvoi abgefeuert worden sei, der sich auf dem Weg nach Mauretanien befand. Dabei sollen die drei algerischen Händler getötet worden sein. Ihr Tod werde nicht "ungestraft bleiben", hat Algerien Vergeltung angekündigt und zwischenzeitlich den eigenen Luftraum für Flugzeuge aus Marokko gesperrt.
Spanien am härtesten getroffen
Für Spanien - und damit für ganz Europa - kommt die Eskalation zur Unzeit, wobei weder Spanien noch Europa unschuldig an der Entwicklung sind. Spanien trifft die Schließung der Pipeline Maghreb-Europa aber am härtesten, da das Land im ersten Halbjahr fast 50 Prozent dieses Rohstoffs aus Algerien bezogen hat.
Längst würgen extreme Strompreise, die seit Monaten durch hohe Gaspreise getrieben werden, die Wirtschaft ab. Die Preise kommen über den Konflikt zwischen Algerien und Marokko nun weiter unter Druck und könnten bei einer Zuspitzung weiter explodieren.
Zwar wird weiter Erdgas aus Algerien über die Medgaz-Pipeline nach Spanien gepumpt. Über die ist Algerien über 210 Kilometer direkt mit dem Hafen im spanischen Almeria verbunden, ohne dabei Marokko zu durchqueren. Doch über diese Pipeline kann nicht die gleiche Menge wie bisher geliefert werden.
Ein großer Teil der bisherigen Lieferungen, die nun noch ausgeweitet werden sollen, müssen verflüssigt nach Spanien transportiert werden. Dabei sind Frachtschiffe aller Art derzeit knapp, was einen Teil des "Flaschenhalses" ausmacht, der auch dazu beiträgt, dass die Inflation steigt und vom Gespenst der gefährlichen Stagflation gesprochen wird.
Verstrickte Lage
Die Lage in der Region komplex. Aber man kann vereinfacht sagen, dass man es bei der derzeitigen Situation auch mit einer Altlast einer der "Diplomatie" des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump und mit einem dramatischen Scheitern der internationalen Gemeinschaft insgesamt zu tun hat.
Trump hatte plötzlich den Konflikt stark angeheizt, da er kurz vor seinem unrühmlichen Abgang gegen das Völkerrecht die marokkanische Souveränität über die Westsahara vor einem Jahr anerkannt hatte.
Damit bekam das autokratische Regime Rückenwind, das sich in der Westsahara-Frage erpresserisch mit allen anlegt, um zum Beispiel auch Deutschland und Spanien zur Anerkennung seiner illegalen Ansprüche über die Westsahara zu zwingen.
Vor dem UNO-Ausschuss zur Entkolonisierung erklärte der ständige Vertreter Marokkos bei den Vereinten Nationen mit Blick auf die Trump-Entscheidung gerade, dass der Streit um die Westsahara längst endgültig beigelegt sei, "ob es Algerien gefällt oder nicht". Omar Hilale beschuldigte Algier, den Konflikt in der Region zu verschärfen.
Gegen alle Abkommen und gegen das Völkerrecht behauptet er schlicht, dass die Westsahara längst "vollständig entkolonialisiert" sei. Dass das Thema in diesem Ausschuss behandelt wird, zeigt aber schon, dass man das in der UNO anders sieht. Doch das ist für Hilale "anachronistisch".
Der Marokkaner verstieg sich sogar zu der Aussage, dass die "Bewohner der Sahara in Frieden in diesen marokkanischen Provinzen leben und ihre vollen Rechte genießen". Die dauernden Menschenrechtsverletzungen und die Repression gegen die Sahraouis, die nicht in die Wüstenlager geflüchtet sind, verschweigt er. Das gilt natürlich auch dafür, dass Marokko keine Journalisten in die Region lässt und auch europäischen Politikern immer wieder den Zugang verwehrt.
Auch der Westsahara-Befreiungsfront "Frente Polisario" ist nach fast drei Jahrzehnten der Kragen geplatzt. Sie hatte, wie an dieser Stelle berichtet, vor Jahresfrist den Waffenstillstand, den Polisario und Marokko unter Vermittlung der UNO 1991 geschlossen hatten, nach "bewaffneten Provokationen durch Marokko" in der entwaffneten Zone aufgekündigt (Westsahara: Marokko provoziert, Polisario beendet Waffenstillstand). Grundlage für den Waffenstillstand war nämlich, dass ein Referendum über die Unabhängigkeit der völkerrechtswidrig von Marokko besetzten Westsahara durchgeführt werden sollte.
Nach dem chaotischen Abzug der spanischen Kolonialmacht hatte Marokko die Westsahara 1975 im sogenannten "grünen Marsch" besetzt. Dass Marokko an einer demokratischen Abstimmung kein Interesse hat, hat gerade ihr ständiger Vertreter bei der UNO erneut klargestellt.
Scheitern allenthalben
So hat man es insgesamt mit einem dramatischen Scheitern der internationalen Gemeinschaft zu tun. Denn in 30 Jahren gelang es aber der UNO nicht, das vereinbarte Referendum gegenüber Marokko durchzusetzen. Es wurde aus Rabat stets systematisch hintertrieben.
Öl-Interessen der USA und Frankreich in Westsahara spielten dabei eine bedeutsame Rolle, aber auch die Desertec-Initiative und das Interesse an der Ausbeutung der Ressourcen, zu denen auch reiche Fischgründe oder große Phosphatvorkommen gehören.
Unter anderem in der Frage des Fischfangs wurde Marokko und die duldende EU-Politik gerade vom Gericht der Europäischen Union (EuG) "abgewatscht". Es war schlicht illegal, mit Marokko ein Assoziierungsabkommen abzuschließen, das auch die Fischereirechte der besetzten Westsahara betrifft. Doch statt endlich den autokratischen König in die Schranken zu weisen, geht die EU erneut auf die Knie vor Rabat.
Gemeinsam hatten Marokko und der umstrittene EU-Außenbeauftragte Josep Borrell angekündigt, dass man sicherstellen wolle, dass das rechtliche Rahmenwerk erhalten bleibe, das die Stabilität und Fortdauer der Handelsbeziehungen garantiere. Damit ist auch hier ein Verantwortlicher für die Zuspitzung der Lage zu finden, den vor allem seine spanische Heimat vermutlich teuer in diesem Winter bezahlen darf.
Das Scheitern der UN-Mission zur Überwachung eines Referendums in der Westsahara (Minurso) ist auch immer deutlicher zu greifen. Es ist aussagekräftig, dass die Mission nicht einmal mehr einen Sonderbeauftragten mehr hat, seit der deutsche Horst Köhler (CDU) das Amt vor zweieineinhalb Jahren aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat.
Seine Vermittlung, in die Hoffnungen gesteckt worden waren, verliefen wie alle anderen zuvor erfolglos im Wüstensand. Dazu kommt, dass diese Blauhelm-Mission, anders als sonst bei UN-Missionen üblich, nicht einmal das Mandat hat, über Menschenrechte in dem Gebiet zu wachen. Die gerade weiter verwässerte und um ein Jahr verlängerte Minurso-Mission untersucht nun aber den Angriff auf die Lastwagen in der eigentlich entmilitarisierten Pufferzone.
Tatsächlich wurde in New York die Überwachung einer Waffenruhe verlängert, die es seit einem Jahr nicht mehr gibt. So ist auch die Feststellung absurd, dass im Berichtszeitraum zwischen April und September "die Lage in der Westsahara trotz einiger Unwägbarkeiten relativ ruhig" geblieben sei und "der Waffenstillstand zwischen den Parteien eingehalten wurde".
Damit hat sich die marokkanische Lesart der Vorgänge Marokkos im Sicherheitsrat durchgesetzt, wo sich Russland und Tunesien bei der Abstimmung aus Protest gegen den Text enthalten haben. Denn für Marokko gibt es den Krieg in der Westsahara schlich nicht, der derzeit wie aufgezeigt sogar deutlich zu eskalieren droht.
Ohnehin gibt es in der Region längst praktisch täglich Kampfhandlungen. "Statt Frieden: Die UN-Mission Minurso beobachtet Kriegshandlungen zwischen Polisario und Marokkos Armee", titeln Medien deshalb zu den Vorgängen aus der Region.