"Natürlich ist ihr oberstes Ziel Präsident Carles Puigdemont"
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Wie Spanien zur Kriminalisierung des Puigdemont-Stabschefs Josep Lluis Alay eine russische Invasion in Katalonien erfindet. Interview mit dem Historiker Josep Lluis Alay
Der katalanische Historiker und Professor für Zeitgeschichte Tibets und der Mongolei, Josep Lluis Alay, ist Büroleiter und Chefberater des ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont. Gegen Alay laufen zahlreiche Ermittlungen, unter anderen soll er Agent des russischen Geheimdienstes sein und in eine angebliche russische Invasion zur Abtrennung Kataloniens von Spaniens verwickelt sein.
Alay sieht sich in einem ersten Prozess demnächst einem Strafantrag von drei Jahren Gefängnis wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs ausgesetzt. Darüber hinaus wird ihm vorgeworfen, sich mit Russland verschworen zu haben und zudem wird ihm im Rahmen des Tsunami Democràtic auch noch Terrorismus vorgeworfen, weil Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen blockiert wurden. Telepolis sprach exklusiv mit dem Stabschef von Puigdemont.
Geheime Ermittlungen starteten sehr schnell
Wissen Sie schon, wann das erste Gerichtsverfahren gegen Sie beginnen wird?
Josep Lluis Alay: Leider noch nicht. Woch können davon ausgehen, dass es im kommenden Frühjahr losgeht.
Das heißt, dass Sie demnächst zunächst wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauch angeklagt werden. Können Sie erklären, wie die spanischen Ermittler zu diesen Anschuldigungen kommen?
Josep Lluis Alay: Dies ist nur eins von vielen Verfahren, die gegen mich laufen. Doch es ist das fortgeschrittenste Verfahren, das nun zum Prozess führt. Die Ermittlungen begannen im August 2018, als Quim Torra zum Präsidenten der katalanischen Regierung gewählt worden war. Nach einigen Monaten unter einer Zwangsverwaltung über den Paragraf 155, in denen wir keinen Präsidenten der katalanischen Regierung hatten, wurde mit der Wahl Torras der vorhergehende Präsident Puigdemont zum Ex-Präsidenten, den große Teile der Katalanen weiterhin als ihren legitimen Präsidenten sehen.
Puigdemont, in Übereinstimmung mit den katalanischen Gesetzen, hat damit automatisch das Recht auf ein eigenes Büro, das über einen Büroleiter und zwei Personen verfügt, die darin arbeiten. Dazu kommt ein Sicherheitsdienst der katalanischen Polizei (der ihm nie angeboten wurde) und ein Dienstwagen. Als Büroleiter hat Präsident Puigdemont mich im Einklang mit den Gesetzen ernannt. Nicht einmal einen Monat danach startet eine Staatsanwältin in Barcelona geheime Ermittlungen gegen das Büro. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Aktivität. Wir wussten natürlich zunächst nichts davon. Wir erfuhren davon erst, als ein Verfahren eingeleitet wurde.
Die spanische Justiz benötigt nicht einmal einen Monat dazu, ohne dass es dazu einer Anzeige oder eines Verdachts bedurfte. Zunächst wurde untersucht, wie meine Ernennung zustande kam. Sie vermuteten sofort, dass meine Ernennung nicht korrekt ablief. Nach ein paar Wochen stellen sie aber fest, dass alles korrekt war. Sie hatten verschiedene Dokumente von der katalanischen Regierung angefordert oder sie von der Polizei holen lassen.
Als sie feststellten, dass alles korrekt war, begannen sie die Ausgaben des Büros zu untersuchen. Sie fordern alle Rechnungen und alle Unterlagen von der Regierung, die mit dem Büro von Puigdemont zu tun haben. Hunderte Seiten an Ermittlungsakten entstehen und sie schwellen, da alle Aktivitäten des Büros genau untersucht werden, auf mehr als 2.000 Seiten an.
Und dabei stoßen Sie auf Mautquittungen im Umfang von etwa 11 Euro?
Josep Lluis Alay: Genau. Da der Präsident im Exil im Ausland lebt, muss ich als sein Büroleiter natürlich oft zu ihm reisen oder ihn in ein anderes Land begleiten, weil er an einen Vortrag in Deutschland, der Schweiz, in Irland, Finnland oder Dänemark hält. Das ist eine gesetzliche Verpflichtung des Büroleiters.
Eigentlich waren es vier Maut-Quittungen, die sich auf 11 Euro summieren, die im Auftrag des Exilpräsidenten entstanden sind: Er hatte mich als Büroleiter angewiesen, die Gefangenen der Unabhängigkeitsbewegung zu besuchen, die aus Madrid nach Lledoners verlegt worden waren. Das sind sehr bedeutsame Persönlichkeiten in Katalonien und Puigdemont wollte, dass sie ihm ihre Sicht der Situation schildern.
In Ausübung meiner Funktionen habe ich den Besuch gemacht. Ich habe kein Taxi bestellt, ich wurde nicht in einem Dienstwagen gefahren, was mir nicht zusteht, sondern ich habe wie stets mein eigenes Auto genommen. Ich habe nicht einmal die Benzinrechnung eingereicht, nur die Mautgebühren. Das ist die gesamte Geschichte dieser 11 Euro.
Die Staatsanwältin ist aber der Ansicht, dass es nicht meine Pflicht ist, Gefangene zu besuchen, deshalb sei das ein unangemessener Aufwand gewesen. Später kamen noch weitere Ausgaben wegen einer Reise nach Neukaledonien hinzu. Die Unabhängigkeitsbewegung der Kanaken, ein Volk, das für seine Unabhängigkeit von Frankreich kämpft, hatte mit der französischen Regierung das erste verbindliche und international anerkannte Referendum über die Unabhängigkeit vereinbart, das im Oktober 2018 organisiert wurde.
Es handelt sich um unseren Nachbarn Frankreich, ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Und wie wir alle wissen, historisch ist das ein sehr zentralistischer Staat. Daher war es nach Ansicht des Präsidenten politisch sehr wichtig, dass die Katalanen einem solchen Referendum beiwohnen. Genau das hatten wir immer angestrebt: Ein verbindliches, mit Spanien vereinbart und international anerkanntes Referendum.
Die Kanaken empfinden zudem große Bewunderung für die Arbeit von Präsident Puigdemont wegen der Organisation des Referendums ein Jahr zuvor in Katalonien. Sie haben ihn deshalb eingeladen. Die Einladung wurde auf einem Treffen auf den Färöer-Inseln ausgesprochen, wo Vertreter aus Schottland, Neukaledonien und Präsident Puigdemont anwesend waren. Der Chef der Kanaken-Delegation lud ihn zum Referendum nach Neukaledonien ein.
Eine Reise nach Neukaledonien ist aber kompliziert, es liegt sehr weit entfernt an den Antipoden, man muss etliche Flüge nehmen, darunter zwei interkontinentale. Von Barcelona nach Paris, von Paris nach Tokio und Tokio nach Nouméa. Man ist fast zwei Tage unterwegs und dazu kommt die Zeit für die Abstimmung.
Schon deshalb war es für den Präsidenten schwierig, so viele Tage abwesend zu sein. Ich möchte im Übrigen daran erinnern, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des Europaparlaments war, daher keine Immunität genoss. Daher war seine Reisemöglichkeit, auch innerhalb der Europäischen Union, sehr eingeschränkt, und in einigen Fällen war es damals besser, überhaupt nicht zu reisen.
Wie wir kürzlich auch wieder bei der Verhaftung von Puigdemont auf Sardinien im September gesehen haben, die erneut zum Rohrkrepierer für Spanien wurde…
Josep Lluis Alay: Das stimmt. Und wir hatten ja auch schon die schlechte Erfahrung gemacht, als er in Deutschland verhaftet wurde. Ich wurde damals nicht verhaftet, saß aber im Auto mit ihm. Als ich dann allerdings nach Barcelona zurückkehrte, wurde ich von der spanischen Polizei festgenommen. Wir haben die Probleme der FLNKS vermittelt. Das ist eine sozialistische nationale Befreiungsbewegung mit linksradikaler Tradition. Die antwortete darauf: "Wenn Sie Herr Präsident nicht kommen können, dann möchten wir, dass ein katalanischer Delegierter Ihres Vertrauens kommt und bei diesem Referendum anwesend ist."
Das war für sie der wichtigste Vorgang seit den Abkommen von Matignon und Nouméa von 1988 und 1998. Präsident Puigdemont hat logischerweise entschieden, da ich als sein Büroleiter frei reisen kann, dass ich ihn vertreten soll. Deshalb haben sie mich als Vertreter eingeladen. Es wurde vereinbart, dass wir die Reisekosten übernehmen und sie für Unterkunft und Verpflegung sorgen.
Wir mussten die Flugtickets kaufen und wir haben das unter den üblichen Bedingungen der Sparsamkeit getan, die der Präsident von uns verlangt. Damit niemand, wie die Staatsanwältin, denkt, dass das eine Vergnügungsreise war: Ich bin natürlich Touristenklasse geflogen, so günstig wie möglich.
Es war eine sehr lange Reise, die fast 48 Stunden dauerte. Und mein Aufenthalt in Neukaledonien war offensichtlich geschäftlicher Natur. Ich war in einem Hotel in einem Industriegebiet untergebracht. Die Mahlzeiten, viele Leute können sich das nicht vorstellen, wurden im Hauptquartier der FLNKS gereicht, an einem riesigen Tisch.
Gekocht haben zwei FLNKS-Kämpfer. Das Essen wurde und den Aktivisten und anwesenden Führungspersonen verteilt. Wir waren stets etwa zwölf Leute, die dort alles geteilt haben. Ich war nicht einmal in einem Restaurant zum Abendessen.
Es war eine sehr interessante Erfahrung, die Solidarität mit uns zu spüren, und zu sehen, wie man solche Dinge auf demokratische, friedliche und einvernehmliche Weise machen muss. Sie haben die Abstimmung verloren und ich bin schon am nächsten Tag nach Barcelona zurückgekehrt. Das ist aber für die Staatsanwaltschaft und die spanische Justiz eine kriminelle Handlung.
Für sie bin aus eigenem Interesse nach Neukaledonien gereist, sozusagen um dort Urlaub zu machen, und um einige Zeit dort zu verbringen. Dabei war die Reise von der ersten bis zur letzten Stunde offensichtlich eine mehr als gerechtfertigte politische Reise. Das sieht man Madrid aber anders.
Dabei sollten auch sie solche friedlichen und vereinbarten Referenden überwachen, statt so zu tun, als würden sie nicht existieren. Letztendlich stört sie, dass wir zu einem zivilisierten, europäischen, demokratischen Referendum eingeladen wurden, das Spanien nicht zulässt. Es fand auf Inseln im Pazifik statt, die zu einem europäischen Staat gehören.
Die Europäische Union wird das irgendwie regeln müssen, wenn sie sich dort letztlich für die Unabhängigkeit entscheiden. Es gibt immer Lösungen. Es geht einfach darum, Vereinbarungen zu treffen, wie damals, als Schottland über die Unabhängigkeit abgestimmt hat. Auch jetzt, wo es aus über den Brexit aus der Europäischen Union ausgetreten ist, bin ich mir sicher, dass Brüssel keine Probleme haben wird, letztlich eine Einigung mit Schottland zu erreichen.
Für die Reise forderte die Staatsanwältin im Einvernehmen mit einer Richterin, mich vor Gericht zu stellen. Sie fordern drei Jahre Haft und siebzehn Jahre Amtsverbot für mich. Sie wollen mich also schon in den Ruhestand schicken, mein Leben ruinieren, da ich auch als Dozent an der Universität arbeite. An öffentlichen Universitäten dürfte ich dann auch nicht mehr arbeiten.
Sie wollen also mein Berufsleben ruinieren, denn in 17 Jahren wäre ich über 70 Jahre alt. 17 Jahre Amtsverbot wurden nicht mal im Fall der politischen Gefangenen der Unabhängigkeitsbewegung gefordert. Ich musste auch schon eine Kaution von fast 5.000 Euro hinterlegen, die ich angeblich veruntreut haben soll.
Im Grunde handelt es sich um politische Verfolgung
Besonders merkwürdig ist für mich aber eine andere Sache. Jemand hat die Ausgaben für die Reise genehmigt. Ist es nicht diese Person, die bestenfalls einen Amtsmissbrauch begehen konnte?
Josep Lluis Alay: Im Grunde handelt es sich um politische Verfolgung, rechtlich gesehen ist das ein Skandal. Ohne die Unterschrift des Generalsekretariats der Präsidentschaft kann es keine Reise geben, gibt es keine Genehmigung dafür. Diese Unterschrift gab es, wie auch die Staatsanwältin anerkennt. Doch sie und die Richterin klagen die Generalsekretärin dafür nicht an.
Die Richterin hat entschieden, die Unterschrift sei korrekt, so dass die Generalsekretärin aus dem Verfahren ausgeklammert wurde. Aber mir wir wird vorgeworfen, ich sei ein notwendiger Mittäter an einem Verbrechen, für das die Person nicht angeklagt wird, die es angeblich begangen hat. Das ist ein juristischer Aberwitz. Ein Staat ohne Recht, kein Rechtsstaat.
Wie aber kann man als Mittäter an einem Verbrechen angeklagt werden, wenn der bekannte mutmaßliche Täter nicht angeklagt wird, mit dem man angeblich kooperiert hat?
Josep Lluis Alay: Tatsächlich wird die Person, die möglicherweise eine Straftat begangen hat, ausgeklammert. Natürlich sind wir alle froh darüber, da auch sie sich korrekt verhalten hat. Aber es passt natürlich nicht zu dem Argument, dass ich als Mittäter einer identifizierbaren Person angeklagt werde.
Deshalb kommen wir um den Schluss nicht herum, dass es sich hier um nichts anderes als eine politische Verfolgung dreht. In einem Staat innerhalb der Europäischen Union gibt es politische Verfolgung durch Justiz und Polizei.
Ist die Generalsekretärin aber nicht sogar als Zeugin vorgeladen?
Josep Lluis Alay: Richtig. Es ist sogar die Staatsanwaltschaft, die sie als Zeugin geladen hat. Aber auch die Spitzen der FLNKS, wie Mickaël Forrest, derzeit Minister der Autonomieregierung von Neukaledonien, und Daniel Goa, Sprecher der FLNKS, wurden vorgeladen, was zu einem diplomatischen Konflikt mit Frankreich führen könnte.
Ich glaube, das Letzte, was Frankreich will, ist, den Kanaken-Konflikt vor ein Gericht zu bringen. Soweit ich das sehen kann, gibt es Teile des spanischen Justizsystems, die auch bereit sind, die Unabhängigkeitsbewegung Neukaledoniens zu verfolgen. Das ist absurd.
Der Staatsanwältin liegen die Einladungen der FLNKS vor, um als Vertreter des Präsidenten teilzunehmen. Aber die erkennt sie nicht an. Sie ist sogar so weit gegangen, sie als gefälscht einzustufen.