Wie Spanien zur Kriminalisierung des Puigdemont-Stabschefs Josep Lluis Alay eine russische Invasion in Katalonien erfindet. Interview mit dem Historiker Josep Lluis Alay
Der katalanische Historiker und Professor für Zeitgeschichte Tibets und der Mongolei, Josep Lluis Alay, ist Büroleiter und Chefberater des ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont. Gegen Alay laufen zahlreiche Ermittlungen, unter anderen soll er Agent des russischen Geheimdienstes sein und in eine angebliche russische Invasion zur Abtrennung Kataloniens von Spaniens verwickelt sein.
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Alay sieht sich in einem ersten Prozess demnächst einem Strafantrag von drei Jahren Gefängnis wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs ausgesetzt. Darüber hinaus wird ihm vorgeworfen, sich mit Russland verschworen zu haben und zudem wird ihm im Rahmen des Tsunami Democràtic auch noch Terrorismus vorgeworfen, weil Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen blockiert wurden. Telepolis sprach exklusiv mit dem Stabschef von Puigdemont.
Geheime Ermittlungen starteten sehr schnell
Wissen Sie schon, wann das erste Gerichtsverfahren gegen Sie beginnen wird?
Josep Lluis Alay: Leider noch nicht. Woch können davon ausgehen, dass es im kommenden Frühjahr losgeht.
Das heißt, dass Sie demnächst zunächst wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauch angeklagt werden. Können Sie erklären, wie die spanischen Ermittler zu diesen Anschuldigungen kommen?
Josep Lluis Alay: Dies ist nur eins von vielen Verfahren, die gegen mich laufen. Doch es ist das fortgeschrittenste Verfahren, das nun zum Prozess führt. Die Ermittlungen begannen im August 2018, als Quim Torra zum Präsidenten der katalanischen Regierung gewählt worden war. Nach einigen Monaten unter einer Zwangsverwaltung über den Paragraf 155, in denen wir keinen Präsidenten der katalanischen Regierung hatten, wurde mit der Wahl Torras der vorhergehende Präsident Puigdemont zum Ex-Präsidenten, den große Teile der Katalanen weiterhin als ihren legitimen Präsidenten sehen.
Puigdemont, in Übereinstimmung mit den katalanischen Gesetzen, hat damit automatisch das Recht auf ein eigenes Büro, das über einen Büroleiter und zwei Personen verfügt, die darin arbeiten. Dazu kommt ein Sicherheitsdienst der katalanischen Polizei (der ihm nie angeboten wurde) und ein Dienstwagen. Als Büroleiter hat Präsident Puigdemont mich im Einklang mit den Gesetzen ernannt. Nicht einmal einen Monat danach startet eine Staatsanwältin in Barcelona geheime Ermittlungen gegen das Büro. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Aktivität. Wir wussten natürlich zunächst nichts davon. Wir erfuhren davon erst, als ein Verfahren eingeleitet wurde.
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Die spanische Justiz benötigt nicht einmal einen Monat dazu, ohne dass es dazu einer Anzeige oder eines Verdachts bedurfte. Zunächst wurde untersucht, wie meine Ernennung zustande kam. Sie vermuteten sofort, dass meine Ernennung nicht korrekt ablief. Nach ein paar Wochen stellen sie aber fest, dass alles korrekt war. Sie hatten verschiedene Dokumente von der katalanischen Regierung angefordert oder sie von der Polizei holen lassen.
Als sie feststellten, dass alles korrekt war, begannen sie die Ausgaben des Büros zu untersuchen. Sie fordern alle Rechnungen und alle Unterlagen von der Regierung, die mit dem Büro von Puigdemont zu tun haben. Hunderte Seiten an Ermittlungsakten entstehen und sie schwellen, da alle Aktivitäten des Büros genau untersucht werden, auf mehr als 2.000 Seiten an.
Und dabei stoßen Sie auf Mautquittungen im Umfang von etwa 11 Euro?
Josep Lluis Alay: Genau. Da der Präsident im Exil im Ausland lebt, muss ich als sein Büroleiter natürlich oft zu ihm reisen oder ihn in ein anderes Land begleiten, weil er an einen Vortrag in Deutschland, der Schweiz, in Irland, Finnland oder Dänemark hält. Das ist eine gesetzliche Verpflichtung des Büroleiters.
Eigentlich waren es vier Maut-Quittungen, die sich auf 11 Euro summieren, die im Auftrag des Exilpräsidenten entstanden sind: Er hatte mich als Büroleiter angewiesen, die Gefangenen der Unabhängigkeitsbewegung zu besuchen, die aus Madrid nach Lledoners verlegt worden waren. Das sind sehr bedeutsame Persönlichkeiten in Katalonien und Puigdemont wollte, dass sie ihm ihre Sicht der Situation schildern.
In Ausübung meiner Funktionen habe ich den Besuch gemacht. Ich habe kein Taxi bestellt, ich wurde nicht in einem Dienstwagen gefahren, was mir nicht zusteht, sondern ich habe wie stets mein eigenes Auto genommen. Ich habe nicht einmal die Benzinrechnung eingereicht, nur die Mautgebühren. Das ist die gesamte Geschichte dieser 11 Euro.
Die Staatsanwältin ist aber der Ansicht, dass es nicht meine Pflicht ist, Gefangene zu besuchen, deshalb sei das ein unangemessener Aufwand gewesen. Später kamen noch weitere Ausgaben wegen einer Reise nach Neukaledonien hinzu. Die Unabhängigkeitsbewegung der Kanaken, ein Volk, das für seine Unabhängigkeit von Frankreich kämpft, hatte mit der französischen Regierung das erste verbindliche und international anerkannte Referendum über die Unabhängigkeit vereinbart, das im Oktober 2018 organisiert wurde.
Es handelt sich um unseren Nachbarn Frankreich, ein Mitgliedsland der Europäischen Union. Und wie wir alle wissen, historisch ist das ein sehr zentralistischer Staat. Daher war es nach Ansicht des Präsidenten politisch sehr wichtig, dass die Katalanen einem solchen Referendum beiwohnen. Genau das hatten wir immer angestrebt: Ein verbindliches, mit Spanien vereinbart und international anerkanntes Referendum.
Die Kanaken empfinden zudem große Bewunderung für die Arbeit von Präsident Puigdemont wegen der Organisation des Referendums ein Jahr zuvor in Katalonien. Sie haben ihn deshalb eingeladen. Die Einladung wurde auf einem Treffen auf den Färöer-Inseln ausgesprochen, wo Vertreter aus Schottland, Neukaledonien und Präsident Puigdemont anwesend waren. Der Chef der Kanaken-Delegation lud ihn zum Referendum nach Neukaledonien ein.
Eine Reise nach Neukaledonien ist aber kompliziert, es liegt sehr weit entfernt an den Antipoden, man muss etliche Flüge nehmen, darunter zwei interkontinentale. Von Barcelona nach Paris, von Paris nach Tokio und Tokio nach Nouméa. Man ist fast zwei Tage unterwegs und dazu kommt die Zeit für die Abstimmung.
Schon deshalb war es für den Präsidenten schwierig, so viele Tage abwesend zu sein. Ich möchte im Übrigen daran erinnern, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Mitglied des Europaparlaments war, daher keine Immunität genoss. Daher war seine Reisemöglichkeit, auch innerhalb der Europäischen Union, sehr eingeschränkt, und in einigen Fällen war es damals besser, überhaupt nicht zu reisen.
Josep Lluis Alay: Das stimmt. Und wir hatten ja auch schon die schlechte Erfahrung gemacht, als er in Deutschland verhaftet wurde. Ich wurde damals nicht verhaftet, saß aber im Auto mit ihm. Als ich dann allerdings nach Barcelona zurückkehrte, wurde ich von der spanischen Polizei festgenommen. Wir haben die Probleme der FLNKS vermittelt. Das ist eine sozialistische nationale Befreiungsbewegung mit linksradikaler Tradition. Die antwortete darauf: "Wenn Sie Herr Präsident nicht kommen können, dann möchten wir, dass ein katalanischer Delegierter Ihres Vertrauens kommt und bei diesem Referendum anwesend ist."
Das war für sie der wichtigste Vorgang seit den Abkommen von Matignon und Nouméa von 1988 und 1998. Präsident Puigdemont hat logischerweise entschieden, da ich als sein Büroleiter frei reisen kann, dass ich ihn vertreten soll. Deshalb haben sie mich als Vertreter eingeladen. Es wurde vereinbart, dass wir die Reisekosten übernehmen und sie für Unterkunft und Verpflegung sorgen.
Wir mussten die Flugtickets kaufen und wir haben das unter den üblichen Bedingungen der Sparsamkeit getan, die der Präsident von uns verlangt. Damit niemand, wie die Staatsanwältin, denkt, dass das eine Vergnügungsreise war: Ich bin natürlich Touristenklasse geflogen, so günstig wie möglich.
Es war eine sehr lange Reise, die fast 48 Stunden dauerte. Und mein Aufenthalt in Neukaledonien war offensichtlich geschäftlicher Natur. Ich war in einem Hotel in einem Industriegebiet untergebracht. Die Mahlzeiten, viele Leute können sich das nicht vorstellen, wurden im Hauptquartier der FLNKS gereicht, an einem riesigen Tisch.
Gekocht haben zwei FLNKS-Kämpfer. Das Essen wurde und den Aktivisten und anwesenden Führungspersonen verteilt. Wir waren stets etwa zwölf Leute, die dort alles geteilt haben. Ich war nicht einmal in einem Restaurant zum Abendessen.
Es war eine sehr interessante Erfahrung, die Solidarität mit uns zu spüren, und zu sehen, wie man solche Dinge auf demokratische, friedliche und einvernehmliche Weise machen muss. Sie haben die Abstimmung verloren und ich bin schon am nächsten Tag nach Barcelona zurückgekehrt. Das ist aber für die Staatsanwaltschaft und die spanische Justiz eine kriminelle Handlung.
Für sie bin aus eigenem Interesse nach Neukaledonien gereist, sozusagen um dort Urlaub zu machen, und um einige Zeit dort zu verbringen. Dabei war die Reise von der ersten bis zur letzten Stunde offensichtlich eine mehr als gerechtfertigte politische Reise. Das sieht man Madrid aber anders.
Dabei sollten auch sie solche friedlichen und vereinbarten Referenden überwachen, statt so zu tun, als würden sie nicht existieren. Letztendlich stört sie, dass wir zu einem zivilisierten, europäischen, demokratischen Referendum eingeladen wurden, das Spanien nicht zulässt. Es fand auf Inseln im Pazifik statt, die zu einem europäischen Staat gehören.
Die Europäische Union wird das irgendwie regeln müssen, wenn sie sich dort letztlich für die Unabhängigkeit entscheiden. Es gibt immer Lösungen. Es geht einfach darum, Vereinbarungen zu treffen, wie damals, als Schottland über die Unabhängigkeit abgestimmt hat. Auch jetzt, wo es aus über den Brexit aus der Europäischen Union ausgetreten ist, bin ich mir sicher, dass Brüssel keine Probleme haben wird, letztlich eine Einigung mit Schottland zu erreichen.
Für die Reise forderte die Staatsanwältin im Einvernehmen mit einer Richterin, mich vor Gericht zu stellen. Sie fordern drei Jahre Haft und siebzehn Jahre Amtsverbot für mich. Sie wollen mich also schon in den Ruhestand schicken, mein Leben ruinieren, da ich auch als Dozent an der Universität arbeite. An öffentlichen Universitäten dürfte ich dann auch nicht mehr arbeiten.
Sie wollen also mein Berufsleben ruinieren, denn in 17 Jahren wäre ich über 70 Jahre alt. 17 Jahre Amtsverbot wurden nicht mal im Fall der politischen Gefangenen der Unabhängigkeitsbewegung gefordert. Ich musste auch schon eine Kaution von fast 5.000 Euro hinterlegen, die ich angeblich veruntreut haben soll.
Im Grunde handelt es sich um politische Verfolgung
Besonders merkwürdig ist für mich aber eine andere Sache. Jemand hat die Ausgaben für die Reise genehmigt. Ist es nicht diese Person, die bestenfalls einen Amtsmissbrauch begehen konnte?
Josep Lluis Alay: Im Grunde handelt es sich um politische Verfolgung, rechtlich gesehen ist das ein Skandal. Ohne die Unterschrift des Generalsekretariats der Präsidentschaft kann es keine Reise geben, gibt es keine Genehmigung dafür. Diese Unterschrift gab es, wie auch die Staatsanwältin anerkennt. Doch sie und die Richterin klagen die Generalsekretärin dafür nicht an.
Die Richterin hat entschieden, die Unterschrift sei korrekt, so dass die Generalsekretärin aus dem Verfahren ausgeklammert wurde. Aber mir wir wird vorgeworfen, ich sei ein notwendiger Mittäter an einem Verbrechen, für das die Person nicht angeklagt wird, die es angeblich begangen hat. Das ist ein juristischer Aberwitz. Ein Staat ohne Recht, kein Rechtsstaat.
Wie aber kann man als Mittäter an einem Verbrechen angeklagt werden, wenn der bekannte mutmaßliche Täter nicht angeklagt wird, mit dem man angeblich kooperiert hat?
Josep Lluis Alay: Tatsächlich wird die Person, die möglicherweise eine Straftat begangen hat, ausgeklammert. Natürlich sind wir alle froh darüber, da auch sie sich korrekt verhalten hat. Aber es passt natürlich nicht zu dem Argument, dass ich als Mittäter einer identifizierbaren Person angeklagt werde.
Deshalb kommen wir um den Schluss nicht herum, dass es sich hier um nichts anderes als eine politische Verfolgung dreht. In einem Staat innerhalb der Europäischen Union gibt es politische Verfolgung durch Justiz und Polizei.
Ist die Generalsekretärin aber nicht sogar als Zeugin vorgeladen?
Josep Lluis Alay: Richtig. Es ist sogar die Staatsanwaltschaft, die sie als Zeugin geladen hat. Aber auch die Spitzen der FLNKS, wie Mickaël Forrest, derzeit Minister der Autonomieregierung von Neukaledonien, und Daniel Goa, Sprecher der FLNKS, wurden vorgeladen, was zu einem diplomatischen Konflikt mit Frankreich führen könnte.
Ich glaube, das Letzte, was Frankreich will, ist, den Kanaken-Konflikt vor ein Gericht zu bringen. Soweit ich das sehen kann, gibt es Teile des spanischen Justizsystems, die auch bereit sind, die Unabhängigkeitsbewegung Neukaledoniens zu verfolgen. Das ist absurd.
Der Staatsanwältin liegen die Einladungen der FLNKS vor, um als Vertreter des Präsidenten teilzunehmen. Aber die erkennt sie nicht an. Sie ist sogar so weit gegangen, sie als gefälscht einzustufen.
Das russische Komplott: "unglaubliche Halluzinationen"
Das sind aber nicht die einzigen Ermittlungen gegen Sie. Bislang wurden Sie nicht aber nicht wegen der "Wolchow"-Operation angeklagt, eines angeblichen russischen Komplotts. Laut verschiedenen Medien wie El País haben Sie 2017 nach internationaler Unterstützung für den katalanischen Unabhängigkeitsprozess gesucht: "In den Akten finden sich Gespräche von Alay, die auf Bemühungen hinweisen, die Unterstützung verschiedener Länder, darunter auch Russland, für eine Abspaltung zu gewinnen." Macht die spanische Justiz in dieser Angelegenheit schon einen Rückzieher?
Josep Lluis Alay: Mal schauen, wie ich Ihnen das erklären kann. In dem Vorgang gibt es bisher keine Anklageschrift und keine Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens. Nicht einmal das gibt es. Die Wolchow-Operation ist eine dieser Makro-Operationen, bei der am 28. Oktober 2020 dutzende Menschen verhaften wurden, auch ich.
Es waren allesamt prominente Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft und der Unabhängigkeitsbewegung. Es handelte sich um eine Operation, die nach Beziehungen ins Ausland suchen will, nach den Organisatoren des Tsunami. Sie suchen nach allem, was sie wollen, alles verpackt in einem großen Verfahren, das sie Wolchow nennen.
Die Wolchow ist ein Fluss in Russland, an dem die Blaue Division kämpfte, die von Franco als Zeichen der Freundschaft zu Hitler zur Belagerung von Leningrad geschickt wurde. Hunderttausende Russen starben durch die von den Nazis und den spanischen Franquisten organisierte Belagerung. Wie kann man so eine solche Operation nennen?
Sie wurde von der Guardia Civil unter der Leitung von Oberstleutnant Baena, der heute der oberste Chef der Guardia Civil in Barcelona ist, und Richter Aguirre, dem Leiter der ersten Kammer in Barcelona, ins Leben gesetzt. Beide verfolgen stets gemeinsam die demokratische Unabhängigkeitsbewegung.
Es ist das zweite Mal, dass ich verhaftet wurde. Da ich mich in Deutschland im Auto mit Präsident Puigdemont befand, wurde ich im Auftrag des Nationalen Gerichtshofs verhaftet. Auch dabei war man der Ansicht, dass ich notwendiger Mittäter an einem Verbrechen gewesen sein soll, in diesem Fall an einer Rebellion. Das führte aber zu nichts. Zwei Jahre später entschied der Gerichtshof, dass es kein Verfahren geben wird. Erst nach zwei Jahren war ich in Madrid vernommen worden.
Zwei Jahre stand ich ohne jegliche richterliche Kontrolle auf einer roten Liste, wurde von der Polizei angehalten, wenn ich eine Grenze überquerte. Ich wurde bisweilen eine halbe Stunde beiseite genommen, manchmal in eine Polizeiwache gebracht, um zu erklären, wohin ich gehe, wen ich treffe, was ich tue und wann ich zurückfahren werde.
Das geschah nicht nur im spanischen Staat, sondern auch in ganz Europa, denn die rote Liste ist international. Engländer und Schotten fragte ich dabei: Wissen Sie, warum mir das passiert? Der Grund ist die politische Verfolgung in Spanien, denn ich bin der Leiter des Büros von Präsident Puigdemont. Denn die wissen nicht genau, warum jemand auf der roten Liste steht.
Es kann ein Dschihadist, ein Drogenhändler oder ein gefährlicher Waffenhändler sein. In meinem Fall fragte ich sie: Haben Sie vom katalanischen Referendum gehört? Denn deshalb vergeuden Sie hier Ihre Zeit jetzt. Sie behielten mich zwei Jahre lang in diesem Zustand, bis sie entschieden haben, dass nichts vorlag.
Erst dann kamen sie mit Neukaledonien. Daran kann die politische Verfolgung deutlich erkennen. Da auch nicht ausreicht, schoben sie Wolchow nach. In dem Fall ist schon ein Jahr vergangen und wurde noch immer nicht vor einem Richter vernommen. Der Richter, der mich verhaften ließ, hat mich nicht einmal angerufen, um mich zu befragen. Was hat er in dieser Zeit getan?
Sie haben mir meine beiden Handys abgenommen. Wir wissen, dass sie damit nach Israel gereist sind, um mit einem der israelischen Systeme an die Informationen darauf zu gelangen. Bevor damit Anklage erhoben wird, verbreiteten sie den Inhalt der Handys an verschiedene Medien, die Geschichte über meine weltweiten Verbindungen erfunden und verbreitet hatten.
Das gelangte sogar in die New York Times. Man wirft mir im Grunde zwei Dinge vor, was ich aber alles der Presse entnehmen musste, da es keine formelle Anschuldigung gibt. Nach Angaben von spanischen Zeitungen wie El Confidencial und anderen, habe ich nach Ansicht der Guardia Civil Kontakte zu Mitgliedern der russischen Regierung aufgenommen, um eine Invasion Kataloniens zu erreichen, um es von Spanien abspalten zu können.
Das sind unglaubliche Halluzinationen. Sie haben 700 Seiten mit Nachrichten, Kommentaren und Dokumenten völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Daraus kommen sie zu dem Schluss, dass ich praktisch Mitglied eines katalanischen Geheimdienstes bin, den es gar nicht gibt, der aber gerade deshalb so geheim ist.
Sie verkaufen das an die New York Times, denn dort gibt es einen Herrn Michael Schwirtz, der stets nach möglichen Elementen einer russischen Einmischung in Europa sucht. Russland ist für ihn der schlimmste Teufel, der immer versucht, Streit in die Europäische Union zu provozieren, der die Europäische Union zerstören will. Deshalb lag das ganz auf seiner Linie.
Als ihm der Stoff einer Fabrik für Sprengstoff und Munition in der Tschechische Republik ausging, die anscheinend in die Luft flog, was auch die Russen zu verantworten haben sollen, steckte ihm jemand das berühmte Dossier über die angeblichen Verbindungen zwischen Russland und Katalonien zu.
Hier taucht als Mitverfasser des Artikels ein spanischer Journalist mit dem Namen José Bautista auf, dem wahrscheinlich alle Informationen von der Polizei zugespielt wurden. Demnach sei Russland auch hier tätig, um die Stabilität Europas zu untergraben. Der Artikel wurde schon am 3. September veröffentlicht. Es hieß, es sei der erste Teil einer ganzen Reihe. Ein zweiter Teil wurde aber nie veröffentlicht.
Die New York Times hat aber keine unserer Antworten, Briefe, Artikel veröffentlicht, wir hatten kein Recht, auf die Anschuldigungen zu antworten. Unglaublich.
Sie wurden nicht gehört, wie es sich im Journalismus in solchen Fällen gehört, beide Seiten zu hören?
Josep Lluis Alay: Nein. Nur 24 Stunden, bevor der Artikel publiziert wurde, hatten die mir ein paar Fragen geschickt die auf Geheiminformationen beruhten, die ich nicht kannte. Sie fragten: Können Sie sich erinnern, sich mit dem Vize-Außenminister getroffen zu haben, also mit jemandem aus der russischen Regierung?
Ich verneinte, weil ich mich nicht mit ihm getroffen habe. Ich weiß nicht einmal, wer das ist, ich kannte ihn nicht. Tatsächlich ist das, in dem Ganzen von der New York Times veröffentlichten Komplott, der einzige Name von einem Mitglied der russischen Regierung. Ich habe später erst nach dem Namen gesucht habe, kenne ihn deshalb jetzt natürlich auch.
Sie gingen so weit, darüber einen diplomatischen Vorfall zwischen Russland und Spanien und indirekt auch mit den USA zu provozieren. Russland verlangte auch, dass die New York Times diese Unwahrheiten korrigiert. Ich habe ja nie bestritten, nach Moskau gereist zu sein und das stets öffentlich getan.
Ich war in Moskau, wie ich auch in Washington, London oder Berlin war. Wenn ich als Büroleiter von Präsident Puigdemont nach Moskau oder nach Washington fahre, fragen sie mich natürlich nicht nach dem Fußball. Sie fragen mich gewöhnlich nach dem politischen Konflikt. Als Katalane erkläre ich ihnen, wie ich den Konflikt sehe und wie ihn Präsident Puigdemont sieht.
Es ist unsere Pflicht, zu informieren, wenigstens zu informieren. Wir werden niemals um Hilfe oder ausländische Unterstützung bitten. Ich bin davon überzeugt, dass es die Katalanen sind, die die nötigen Schritte gehen müssen. Wir brauchen keine 10.000 russischen oder amerikanischen Soldaten. Das ist barbarisch.
Die Unabhängigkeit setzt das Volk um. Wenn dann die internationale Anerkennung kommt, ist sie willkommen. Aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, mich um internationale Anerkennung durch andere Länder wie Russland oder die USA zu bemühen, damit wir unabhängig werden. Zuerst müssen wir Katalanen die Arbeit machen und die Ausrufung der Republik Katalonien auch selbst verteidigen.
Ich habe mich auch mit amerikanischen Kongressabgeordneten und Senatoren getroffen. Auch das ist öffentlich, zum Beispiel mit John Lewis, der vor ein paar Monaten verstorben ist. Der ging noch mit Martin Luther King auf die Demonstrationen für gleiche Rechte für Schwarze, ein Bürgerrechtler. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Büro des Kongressabgeordneten erinnern.
Er war empört über das, was in Katalonien passierte, über die Unterdrückung, die wir erleiden. Natürlich habe ich ihm erklärt, was hier läuft. Aber die New York Times hat nicht angeprangert, dass ich mich mit Herrn Lewis getroffen habe. Aber wenn ich nach Moskau fahre…
Russland ist aber immer noch eine Weltmacht. Auch dort gibt es Journalisten, die Präsident Puigdemont interviewen wollen, um herauszufinden, was hier vor sich geht. Vor der Covid-Pandemie gab es auch viele Beziehungen, auch auf touristischer Ebene. Katalonien ist in Russland ein bekanntes Land. Eine Region nennt man Katalonien dort, aber es ist nicht unbekannt. Ich bin dorthin gefahren, zum Beispiel um Interviews zwischen russischen Medien mit Präsident Puigdemont zu arrangieren, die dann veröffentlicht wurden.
Das ist kein Geheimnis, auch das Interview mit der South China Morning Post in Hongkong nicht oder Dutzende anderer Interviews in der ganzen Welt. Hat Spanien etwa keine Botschaft in Moskau und unterhält Deutschland keine diplomatischen Beziehungen? Ich denke, jeder spricht mit Russland.
Aber wir schließen keine Pakte mit Moskau, wir verlangen nichts. Wir wollen allein unsere Sicht der Dinge direkt erklären können, ohne Vermittler oder Einmischungen, denn darin sind die spanischen Botschaften versiert. España Global wurde extra geschaffen, um in der gesamten Welt gegen uns vorzugehen.
Auch Moskau für mich ein Teil einer großen Welt- und Europahauptstadt, in der ich den Konflikt mit Katalonien erkläre. Das können sie nicht ertragen. Deshalb begannen sie, eine falsche Geschichte von Spionen, Geheimdiensten und ähnlichen zu verfassen, die auch meine akademische Arbeit beeinträchtigt.
Denn ich bin auch Historiker, und als solcher arbeite ich auch an Dingen, die ich nicht preisgeben werde. Aber zum Beispiel arbeite ich daran, dass nach dem Bürgerkrieg viele katalanische Frauen ins Exil in die Sowjetunion gingen. Einige von ihnen arbeiteten später auf internationaler Ebene mit Moskau zusammen und einige von ihnen waren Teil des KGB in Amerika, in Europa, an verschiedenen Orten.
Sie taten dies aufgrund politischer Überzeugungen, mit denen ich nicht einverstanden sein muss. Aber das ist ein historischer Fakt. Viele von ihnen wurden ignoriert, sind hier in Katalonien unbekannt, aber sie haben katalanische Vor- und Nachnamen.
Aber ich habe einige Archive eingesehen, denn als Historiker fasziniert mich, dass es diese Frauen gab, die an eine kommunistische Revolution glaubten. Aber die sagten dem KGB in Moskau auch: Ich komme zwar aus Spanien, aber ich bin Katalanin und spreche Katalanisch. Eine von ihnen war eine der ersten Sprecherinnen auf Katalanisch im Moskauer Radio, als Katalanisch in Europa noch nicht zu hören war, weil kein Radiosender nach 1939 auf Katalanisch sendete. In Europa sprach man Katalanische in dieser Zeit nur aus Moskau.
Aber die New York Times hat behauptet: "In Moskau traf sich Josep Lluís Alay, ein Abgesandter des im Exil lebenden ehemaligen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont, mit russischen Beamten, ehemaligen Geheimdienstagenten und dem Enkel eines gut vernetzten KGB-Spions. Das Ziel war es, russische Hilfe für die Abspaltung Kataloniens von Spaniens zu erhalten." Was ist da dran?
Josep Lluis Alay: Das mit dem Enkel eines KGB-Spions ist kurios. Jewgeni Primakow war russischer Ministerpräsident im Russland unter Präsident Boris Jelzin, er stand daher sogar dem Westen näher. Tatsächlich habe ich mit dessen Enkel einen Tee getrunken. Zu diesem Zeitpunkt war der Duma-Abgeordneter, gehörte aber nicht einmal der Regierung an.
Über was wurde gesprochen?
Josep Lluis Alay: Natürlich haben wir über die Welt, über Europa, Katalonien und Russland gesprochen. Ich habe ihn aber nicht getroffen, weil er Abgeordneter war, sondern weil er die beliebteste Fernsehsendung zu internationalen Themen im ersten russischen Kanal leitete.
Er war früher Kriegsberichterstatter und ist in Russland ein angesehener Journalist. In Russland hatten bereits die Komsomolskaja Prawda, die größte russische Zeitung, Präsident Puigdemont interviewt. Wir dachten, es wäre für die Leute dort interessant, den Präsidenten auch im russischen Fernsehen zu hören und zu sehen, wie er auch in vielen anderen Fernsehsendern zu sehen war. Deshalb traf ich mich mit Primakow.
Vier Monate danach kam ein russisches Fernsehteam nach Waterloo in Belgien, um ein Interview mit dem Präsidenten zu führen, das am 19. Oktober 2019 ausgestrahlt wurde. Da war nichts geheim, alle können sich das ansehen. Herr Primakow hat das Programm eingeleitet und über die Situation in Katalonien gesprochen. Die ganze Welt hat damals, nach den Urteilen gegen die Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, nach Katalonien geschaut, auch die Russen.
Denn es gab ernste Zusammenstöße auf den Straßen, die von Richtern mit völlig ungerechten Urteilen provoziert worden waren. Deshalb waren auch die Russen daran interessiert, mit Präsident Puigdemont zu sprechen, damit der erklärt, was in diesem demokratischen, freien usw. usw. Europa vor sich geht, dass Brüssel Moskau immer zu verkaufen versucht.
Bei einer akademischen Tagung in Moskau kam auch die Idee auf, ein Buch zu übersetzen, einen Roman über ein russisches Spionagepaar, das 20 Jahre lang in den USA lebte und sich als amerikanische Staatsbürger ausgab. Die Geschichte ist so bekannt, dass sechs Staffeln einer Fernsehserie darüber liefen.
Es war in den letzten zehn Jahren eine der beliebtesten Serie in den USA.Es handelt sich um eine Fiktion, die Elena Vavilova verfasst hat. Ich habe das Buch vom Russischen zunächst ins Katalanische und danach ins Spanische übersetzt.
Vor zwei Monaten gab es dann einen weiteren Bericht in einem dieser rechten Medien in Madrid. Demnach habe die Guardia Civil ein von mir verfasstes Dokument gefunden, das meine Beziehungen zu russischen Geheimdiensten wie dem SFB, dem Äquivalent der CIA, und meine direkten Kenntnisse über diese Geheimdienste belegen soll.
Wissen Sie, was das für ein Dokument ist?
Josep Lluis Alay: Es ist die erste Seite meiner Übersetzung! Das ist der Beweis, dass ich ein SFB-Agent bin, ein Agent Putins also. Weil ich so gut die russischen Geheimdienste beschreibe. Meine Güte. Es ist die erste Seite eines Romans. Das ist alles so absolut lächerlich!
Wie bewerten Sie die jüngsten Entwicklungen, dass der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gesagt hat, ein Bericht des europäischen Geheimdienstes (EU INTCEN), auf das sich die New York Times auch bezogen hat, existiere nicht?
Josep Lluis Alay: Dies ist ein weiterer Beweis für die fehlende Wahrheit des Artikels von Schwirtz und Bautista. Sie sagen, dass sie ihren Artikel auf Informationen stützen, die ihnen jemand aus dem Umfeld der spanischen Polizei zugespielt hat. Und ich behaupte, dass der Bericht vermutlich illegal erstellt wurde.
Es sind aus dem Zusammenhang gerissene Kommentare, die einfach meist völlig falsch sind. Das zweite Standbein des Artikels sei "ein europäischer Geheimdienstbericht." Europaabgeordneten haben die EU-Kommission befragt, ob es Bericht gibt. Der Nachrichtendienst (EU INTCEN) sagt, dass es keinen Bericht von ihm zu diesem Fall gibt und gegeben hat. Sie distanzieren sich ausdrücklich von der Geschichte.
Wohin führt uns das? Könnte es sein, dass die Autoren dieses Berichts wieder einmal die spanischen Geheimdienste sind? Sie sagen, ihre Informationen seien belegt. Unsere Antwort darauf ist sehr einfach: Zeigen Sie uns den Bericht und sagen Sie uns, von welcher Agentur er stammen soll. Das würden ihre Quellen nicht gefährden, aber wir könnten den Wahrheitsgrad abschätzen.
Ich kann Ihnen versichern, dass der null sein wird. Sie müssen im Zusammenhang des Times-Artikel berücksichtigen, der auf diesem angeblichen Bericht basiert, dass der nicht allein mich kompromittiert.
Er kompromittiert auch Präsident Puigdemont und unseren Anwalt Gonzalo Boye, der übrigens auch zu den am meisten verfolgten Personen der spanischen Repression gehört. Die erfolgreiche Verteidigungsstrategie der katalanischen Exilanten wurde von Boye entworfen. Das ist der Grund, warum sie ihn beseitigen wollen und ihn verfolgen.
Doch trotz der Vorgänge lässt der Richter und die Guardia-Civil die Russland-Geschichte nicht fallen. Aber es ist auch wahr, dass sie keinen Staatsanwalt finden, der daraus eine Anklage machen will. Die Antikorruptions-Staatsanwaltschaft hat wiederholt das Provinzgericht in Barcelona gewarnt, dass es sich um eine Untersuchung handelt, die völlig außerhalb der Rechtsstaatlichkeit liegt.
Denn es handelt sich um eine vorausschauende Ermittlung. Sie haben mir mein Handy abgenommen, um zu schauen, ob sie etwas finden, das sie mir vorwerfen können. Dies steht absolut im Widerspruch zur Rechtsstaatlichkeit. Stellen Sie sich vor, sie würden auf der Straße angehalten, man nimmt Ihnen das Handy ab und schaut nach, ob Sie etwas getan haben.
Das ist fast wie in den schlimmsten Diktaturen. Sogenannte prospektive Ermittlungen sind in einem Rechtsstaat verboten. Doch das macht die Staatsanwältin bei mir. Ich muss auch hinzufügen, dass ich in einigen Fällen offen verfolgt worden bin. In Genf zum Beispiel. Ich weiß nicht, ob das Spanier waren. Ich weiß nicht, welcher Einheit sie angehörten oder ob sie überhaupt einer Polizeieinheit angehörten oder ob wir es sogar mit etwas noch Gefährlicherem zu tun haben, das einen bedrohen soll.
Sie wollen klarstellen, dass sie dich jederzeit kriegen können, wissen, wo man sich aufhält, was man tut. Ich kann Ihnen sagen, das bis vor kurzem ein Peilsender an meinem Auto befestigt war. Ich weiß nicht, ob das legal oder illegal gemacht wurde.
Also ebenfalls ein Peilsender wie am Auto von Puigdemont, als er in Deutschland verhaftet wurde?
Josep Lluis Alay: Ja. Wie auch an dessen Auto, nun auch einer an meinem. Sie hatten viel Pech, dass sich der Sender im Auspuffrohr auflöste und wir die Überreste finden konnten. So muss ich leben.
"Operation Judas"
Wie geht es Ihnen damit?
Josep Lluis Alay: Nun, ich weiß nicht so genau, wie ich es Ihnen das sagen soll, aber fast mit Humor. Das hat mit meinen festen Überzeugungen zu tun. Ich werde um jeden Preis so lange kämpfen, bis mein Ziel erreicht ist, nämlich die Freiheit für unser Land zu erreichen.
Glauben Sie, Sie werden wegen Ihrer Ziele verfolgt oder weil Sie Puigdemonts Vertreter in Katalonien sind?
Josep Lluis Alay: Natürlich. Wenn es nur um mich ginge, würde das so nicht passieren. Dies geschieht, weil ihr oberstes Ziel offensichtlich Präsident Puigdemont ist.
Mit anderen Worten, man will Sie auf die Anklagebank setzen, weil Sie an Puigdemont im Exil nicht herankommen?
Josep Lluis Alay: Politisch hat Puigdemont viele Vertreter, aber wer ist derjenige, der noch hier in Barcelona ist? Ich! Wenn sie mich vor Gericht bringen, machen sie das, um Puigdemont auf die Anklagebank zu setzen, ohne das zu können. Sie halten sich für das an mich, was sie gerne mit ihm tun würden. Mit meinem Namen stellen sie auch die Integrität des Präsidenten in Frage und bringen Medien dazu, dies zu veröffentlichen.
Das offensichtliche politische Ziel ist es, Präsident Puigdemont, den Staatsfeind Nummer von Spanien, zu vernichten. Wir haben schon in ganz Europa erleiden müssen, wir wurden verhaftet, verfolgt und illegal überwacht. Das Ziel ist aber Puigdemont.
In welchen politischen Kontext sehen Sie die anhaltende Repression, die sich nicht nur gegen Sie richtet, sondern es gibt auch andere Anschuldigungen. Mitglieder der Komitees zur Verteidigung der Republik werden über die sogenannte "Operation Judas" beschuldigt, Mitglieder einer "parallelen terroristischen Organisation" zu sein, um die Unabhängigkeit Kataloniens mit Gewalt zu erreichen? Befinden wir uns nicht gerade in einer Phase eines Dialogs zur Konfliktlösung mit der sozialdemokratischen Regierung?
Josep Lluis Alay: Mein Fall ist tatsächlich nur einer von Hunderten. Es ist vielleicht nicht wegen der bisher geforderten Strafe einer der herausragendsten, sondern weil er sehr medienwirksam ist, er andere Länder betrifft und weil ich in direkter Beziehung zum Präsidenten stehe. Aber es gibt natürlich viele Betroffene mehr.
Der gleiche Richter, der wegen Wolchow gegen mich ermittelt, zerrt auch mich und sechs weitere Menschen vor den Nationalen Gerichtshof als angebliche Tsunami-Organisatoren. Da er mich als Organisator beschuldigt, beschuldigt er mich auch des Terrorismus. Tsunami ist für den Nationalen Gerichtshof Terrorismus und deshalb wollen sie mich dafür in Madrid anklagen.
Das heißt, wenn es eine formale Anklage gibt, könnten mir das viele Jahre Gefängnis einbringen. Ich bin mir dieser Gefahr bewusst. All das geschieht heute wieder in einem Mitgliedsland der Europäischen Union. Wie soll ich also an einen aufrichtigen Dialog glauben, wenn ich gleichzeitig persönlich das gerade erleide und das Ausmaß der Verfolgung und Demütigung sehe, denen ich und andere Menschen ausgesetzt sind.
Ich glaube nicht, dass auf spanischer Seite der Wille vorhanden ist, diesen politischen Konflikt zu lösen. Ich glaube nicht an die Dialogbereitschaf der spanischen Seite. Außerdem sollte es keinen Dialog, sondern einen Verhandlungstisch geben. Der Dialog, in einer einigermaßen offenen Gesellschaft wie unserer, findet auf der Straße statt.
Wir alle kennen unsere Positionen, wir diskutieren sie im katalanischen Parlament, es gibt einen Dialog im spanischen Kongress, in den Kommunikationsmedien, usw. Wir müssen uns an einen Tisch setzen, an dem Entscheidungen getroffen werden, um Lösungen zu finden. Wir müssen verhandeln.
In welchem Konflikt hat man bisher gesehen, dass es keine Vermittler gab? Und wenn ihnen in Madrid dieses Wort nicht gefällt, dann muss es trotzdem eine Person geben, die aufschreibt, was man vereinbart hat. Denn wir alle wissen doch auch aus Zusammenkünften von zwei Menschen, wenn es die üblichen Probleme gibt, einer sagt, dass der andere eine Sache gesagt hat, aber der behauptet das Gegenteil. Auch bei Ehekonflikten muss es jemanden geben, der bezeugt, dass es Vereinbarung gab, jemand der die Ergebnisse im Protokoll festhält. Nein, nicht einmal das akzeptieren sie.
Es wurde sogar bekannt, dass beim Treffen zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung nicht einmal ein Protokoll geführt wurde. Ich finde das seltsam. Ich habe nicht das Gefühl, dass das ernsthaft gesprochen wird. Ich bin mir auch bewusst, dass es Verhandlungen gibt, wenn beide Seiten eine Position der Stärke haben.
Spanien hat die die Polizei und Richter. Die zeigen jeden Tag, dass es für sie keinen Waffenstillstand gibt. Es gibt keine Position des spanischen Staates, die sagt: Stoppt die Prozesse, damit wir eine Lösung erreichen können.
Aber welche Stärke haben wir derzeit? Ich sehe sie gerade nicht. Wir können mobilisieren, aber dazu müssen wir Abkommen unter uns erreichen. Ich glaube, dass man sich an einen Verhandlungstisch setzen muss, wenn beide Seiten eine ausgewogene Position der Stärke haben. Derzeit sehe ich weder eine ernsthafte Bereitschaft zu Verhandlungen von der anderen Seite, noch sehe ich, dass wir in der Lage wären, verhandeln zu können.
Meine ideale Lösung ist natürlich der Verhandlungstisch. Wir haben uns nie gegen Verhandlungen gestellt. Dort muss die Lösung liegen. Aber ich glaube, die spanische Regierung versucht nur, Zeit zu gewinnen, um weiter Haushalte zu verabschieden, die Legislaturperiode fortzusetzen und sich in eine gute Position für die nächsten Wahlen bringen zu können. Denn so funktioniert Spanien eigentlich immer.
Ich glaube aber, dass die katalanische Gesellschaft, wenigsten 52 Prozent bei den letzten Wahlen, aber gesagt hat: Es reicht. Nicht einmal trotz der Gewalt, denn ein guter Teil der spanischen Gesellschaft würde den Konflikt gewaltsam lösen, würden wir das noch länger aushalten wollen. Deshalb müssen wir eine Lösung finden und sollten auch nicht besessen auf die Europäischen Union schauen. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das seit Jahrhunderten existiert, nicht erst seit zehn Jahren.
Ich gebe aber zu, dass 2017 ein Wendepunkt war. Vor 2017 gab es in der Welt und in Europa, sogar bei unseren engsten Nachbarn wie Frankreich, Deutschland und Italien, einen großen Mangel an Wissen darüber, was Katalonien ist. 2017 ist es uns gelungen, der Welt und Europa ein Volk zu präsentieren, das für seine Würde und seine Freiheit eintritt.
Dass es uns nicht um Geld geht, was immer wieder vorgegaukelt wird, dass es das wäre, worum es uns ginge. Nein, es geht uns nicht um mehr Geld. Diese Diskussion ist beendet. Es ist eine Frage der Würde. Im Jahr 2017 haben sie versucht, unsere Würde zu zerstören. Sie griffen mich, meine Eltern, meine Großeltern, meine Kinder oder meine Enkelkinder an, weil sie einen demokratischen Akt durchgeführt haben, der sonst überall in der zivilisierten Welt möglich ist. Sie haben versucht, unsere persönliche Würde zu brechen. Die zeigt sich in der Würde des Volkes. Ein Volk besteht aus der Würde vieler Personen und sie haben versucht, die Würde eines Volkes, des katalanischen Volkes, zu brechen. Das Volk existiert, auch wenn das einigen nicht gefällt. Und genau darin liegt das große Drama.
Es soll kein vereinbartes Referendum geben und das liegt daran, dass sie uns nicht als Volk anerkennen, dass sie uns nicht als politisches Subjekt anerkennen. Sie sehen uns als Teil ihres politischen Subjekts. Deshalb können sie keinen Pakt mit einem Teil von sich selbst schließen. Ich glaube nicht, dass sie das jemals ändern werden.
Diese Denkweise kann nur durch inneren und äußeren Druck aufgebrochen werden. Wenn es keinen internen und externen Druck gibt, gibt es keine Lösung und gibt es auch keine Verhandlungen. Jahrhunderte in der Geschichte beweisen das. Eigentlich ist die Lösung sehr einfach. Ich gehöre zu denjenigen, die meinen, dass das Referendum über die Selbstbestimmung bereits am 1. Oktober 2017 stattgefunden hat und mit einem positiven Ergebnis endete.
Deshalb haben wir jedes Recht der Welt, ja sogar die Verpflichtung, die Unabhängigkeitserklärung umzusetzen. Wenn dann aber Brüssel, Madrid, Washington und Moskau fordern: Nein, tut das bitte nicht, dann darf das nicht wieder wie 2017 laufen. Damals sagten sie das auch, stahlen sich dann aber davon.
Sie müssen Madrid und uns dazu zwingen, uns auf zivilisierte und demokratische Weise zu einigen, um ein Referendum abzuhalten, wie es in Neukaledonien oder Schottland vereinbart und anerkannt wurde. Und was dabei herauskommt, muss anerkannt werden.
Und wir können dann natürlich auch Bedingungen aufstellen. Dass ein Referendum innerhalb von zehn Jahren nicht wiederholt werden darf. Aber das ist aber nutzlos. Auf diese Position stellt sich Johnson in der Schottland-Frage derzeit, dass einst in einer Generation kein neues Referendum stattfinden sollte. Aber Demokratie geht anders.
Denn in wenigen Jahren hat sich die Lage völlig verändert. Großbritannien hat Schottland mit dem Brexit aus der EU geführt und deshalb kann nicht mehr gelten, was Alex Salmond einst mit einer Generation gemeint hat. Jetzt wird erneut ein Referendum gefordert. Sie werden zu einem Einverständnis. Ich sehe Nicola Sturgeon nicht im Gefängnis oder im Exil in Belgien.
Das ist heute undenkbar. Nun, im 19. Jahrhundert hätte es vielleicht passieren können, in einigen Teilen des 20. Jahrhunderts auch, aber im 21. ist das absurd. Es ist absurd, absurd, absurd. Und ich hoffe, dass die spanische Gesellschaft das irgendwann auch einmal begreifen wird.
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