"Natürlich ist ihr oberstes Ziel Präsident Carles Puigdemont"
Seite 3: "Operation Judas"
Wie geht es Ihnen damit?
Josep Lluis Alay: Nun, ich weiß nicht so genau, wie ich es Ihnen das sagen soll, aber fast mit Humor. Das hat mit meinen festen Überzeugungen zu tun. Ich werde um jeden Preis so lange kämpfen, bis mein Ziel erreicht ist, nämlich die Freiheit für unser Land zu erreichen.
Glauben Sie, Sie werden wegen Ihrer Ziele verfolgt oder weil Sie Puigdemonts Vertreter in Katalonien sind?
Josep Lluis Alay: Natürlich. Wenn es nur um mich ginge, würde das so nicht passieren. Dies geschieht, weil ihr oberstes Ziel offensichtlich Präsident Puigdemont ist.
Mit anderen Worten, man will Sie auf die Anklagebank setzen, weil Sie an Puigdemont im Exil nicht herankommen?
Josep Lluis Alay: Politisch hat Puigdemont viele Vertreter, aber wer ist derjenige, der noch hier in Barcelona ist? Ich! Wenn sie mich vor Gericht bringen, machen sie das, um Puigdemont auf die Anklagebank zu setzen, ohne das zu können. Sie halten sich für das an mich, was sie gerne mit ihm tun würden. Mit meinem Namen stellen sie auch die Integrität des Präsidenten in Frage und bringen Medien dazu, dies zu veröffentlichen.
Das offensichtliche politische Ziel ist es, Präsident Puigdemont, den Staatsfeind Nummer von Spanien, zu vernichten. Wir haben schon in ganz Europa erleiden müssen, wir wurden verhaftet, verfolgt und illegal überwacht. Das Ziel ist aber Puigdemont.
In welchen politischen Kontext sehen Sie die anhaltende Repression, die sich nicht nur gegen Sie richtet, sondern es gibt auch andere Anschuldigungen. Mitglieder der Komitees zur Verteidigung der Republik werden über die sogenannte "Operation Judas" beschuldigt, Mitglieder einer "parallelen terroristischen Organisation" zu sein, um die Unabhängigkeit Kataloniens mit Gewalt zu erreichen? Befinden wir uns nicht gerade in einer Phase eines Dialogs zur Konfliktlösung mit der sozialdemokratischen Regierung?
Josep Lluis Alay: Mein Fall ist tatsächlich nur einer von Hunderten. Es ist vielleicht nicht wegen der bisher geforderten Strafe einer der herausragendsten, sondern weil er sehr medienwirksam ist, er andere Länder betrifft und weil ich in direkter Beziehung zum Präsidenten stehe. Aber es gibt natürlich viele Betroffene mehr.
Der gleiche Richter, der wegen Wolchow gegen mich ermittelt, zerrt auch mich und sechs weitere Menschen vor den Nationalen Gerichtshof als angebliche Tsunami-Organisatoren. Da er mich als Organisator beschuldigt, beschuldigt er mich auch des Terrorismus. Tsunami ist für den Nationalen Gerichtshof Terrorismus und deshalb wollen sie mich dafür in Madrid anklagen.
Das heißt, wenn es eine formale Anklage gibt, könnten mir das viele Jahre Gefängnis einbringen. Ich bin mir dieser Gefahr bewusst. All das geschieht heute wieder in einem Mitgliedsland der Europäischen Union. Wie soll ich also an einen aufrichtigen Dialog glauben, wenn ich gleichzeitig persönlich das gerade erleide und das Ausmaß der Verfolgung und Demütigung sehe, denen ich und andere Menschen ausgesetzt sind.
Ich glaube nicht, dass auf spanischer Seite der Wille vorhanden ist, diesen politischen Konflikt zu lösen. Ich glaube nicht an die Dialogbereitschaf der spanischen Seite. Außerdem sollte es keinen Dialog, sondern einen Verhandlungstisch geben. Der Dialog, in einer einigermaßen offenen Gesellschaft wie unserer, findet auf der Straße statt.
Wir alle kennen unsere Positionen, wir diskutieren sie im katalanischen Parlament, es gibt einen Dialog im spanischen Kongress, in den Kommunikationsmedien, usw. Wir müssen uns an einen Tisch setzen, an dem Entscheidungen getroffen werden, um Lösungen zu finden. Wir müssen verhandeln.
In welchem Konflikt hat man bisher gesehen, dass es keine Vermittler gab? Und wenn ihnen in Madrid dieses Wort nicht gefällt, dann muss es trotzdem eine Person geben, die aufschreibt, was man vereinbart hat. Denn wir alle wissen doch auch aus Zusammenkünften von zwei Menschen, wenn es die üblichen Probleme gibt, einer sagt, dass der andere eine Sache gesagt hat, aber der behauptet das Gegenteil. Auch bei Ehekonflikten muss es jemanden geben, der bezeugt, dass es Vereinbarung gab, jemand der die Ergebnisse im Protokoll festhält. Nein, nicht einmal das akzeptieren sie.
Es wurde sogar bekannt, dass beim Treffen zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung nicht einmal ein Protokoll geführt wurde. Ich finde das seltsam. Ich habe nicht das Gefühl, dass das ernsthaft gesprochen wird. Ich bin mir auch bewusst, dass es Verhandlungen gibt, wenn beide Seiten eine Position der Stärke haben.
Spanien hat die die Polizei und Richter. Die zeigen jeden Tag, dass es für sie keinen Waffenstillstand gibt. Es gibt keine Position des spanischen Staates, die sagt: Stoppt die Prozesse, damit wir eine Lösung erreichen können.
Aber welche Stärke haben wir derzeit? Ich sehe sie gerade nicht. Wir können mobilisieren, aber dazu müssen wir Abkommen unter uns erreichen. Ich glaube, dass man sich an einen Verhandlungstisch setzen muss, wenn beide Seiten eine ausgewogene Position der Stärke haben. Derzeit sehe ich weder eine ernsthafte Bereitschaft zu Verhandlungen von der anderen Seite, noch sehe ich, dass wir in der Lage wären, verhandeln zu können.
Meine ideale Lösung ist natürlich der Verhandlungstisch. Wir haben uns nie gegen Verhandlungen gestellt. Dort muss die Lösung liegen. Aber ich glaube, die spanische Regierung versucht nur, Zeit zu gewinnen, um weiter Haushalte zu verabschieden, die Legislaturperiode fortzusetzen und sich in eine gute Position für die nächsten Wahlen bringen zu können. Denn so funktioniert Spanien eigentlich immer.
Ich glaube aber, dass die katalanische Gesellschaft, wenigsten 52 Prozent bei den letzten Wahlen, aber gesagt hat: Es reicht. Nicht einmal trotz der Gewalt, denn ein guter Teil der spanischen Gesellschaft würde den Konflikt gewaltsam lösen, würden wir das noch länger aushalten wollen. Deshalb müssen wir eine Lösung finden und sollten auch nicht besessen auf die Europäischen Union schauen. Wir haben es mit einem Problem zu tun, das seit Jahrhunderten existiert, nicht erst seit zehn Jahren.
Ich gebe aber zu, dass 2017 ein Wendepunkt war. Vor 2017 gab es in der Welt und in Europa, sogar bei unseren engsten Nachbarn wie Frankreich, Deutschland und Italien, einen großen Mangel an Wissen darüber, was Katalonien ist. 2017 ist es uns gelungen, der Welt und Europa ein Volk zu präsentieren, das für seine Würde und seine Freiheit eintritt.
Dass es uns nicht um Geld geht, was immer wieder vorgegaukelt wird, dass es das wäre, worum es uns ginge. Nein, es geht uns nicht um mehr Geld. Diese Diskussion ist beendet. Es ist eine Frage der Würde. Im Jahr 2017 haben sie versucht, unsere Würde zu zerstören. Sie griffen mich, meine Eltern, meine Großeltern, meine Kinder oder meine Enkelkinder an, weil sie einen demokratischen Akt durchgeführt haben, der sonst überall in der zivilisierten Welt möglich ist. Sie haben versucht, unsere persönliche Würde zu brechen. Die zeigt sich in der Würde des Volkes. Ein Volk besteht aus der Würde vieler Personen und sie haben versucht, die Würde eines Volkes, des katalanischen Volkes, zu brechen. Das Volk existiert, auch wenn das einigen nicht gefällt. Und genau darin liegt das große Drama.
Es soll kein vereinbartes Referendum geben und das liegt daran, dass sie uns nicht als Volk anerkennen, dass sie uns nicht als politisches Subjekt anerkennen. Sie sehen uns als Teil ihres politischen Subjekts. Deshalb können sie keinen Pakt mit einem Teil von sich selbst schließen. Ich glaube nicht, dass sie das jemals ändern werden.
Diese Denkweise kann nur durch inneren und äußeren Druck aufgebrochen werden. Wenn es keinen internen und externen Druck gibt, gibt es keine Lösung und gibt es auch keine Verhandlungen. Jahrhunderte in der Geschichte beweisen das. Eigentlich ist die Lösung sehr einfach. Ich gehöre zu denjenigen, die meinen, dass das Referendum über die Selbstbestimmung bereits am 1. Oktober 2017 stattgefunden hat und mit einem positiven Ergebnis endete.
Deshalb haben wir jedes Recht der Welt, ja sogar die Verpflichtung, die Unabhängigkeitserklärung umzusetzen. Wenn dann aber Brüssel, Madrid, Washington und Moskau fordern: Nein, tut das bitte nicht, dann darf das nicht wieder wie 2017 laufen. Damals sagten sie das auch, stahlen sich dann aber davon.
Sie müssen Madrid und uns dazu zwingen, uns auf zivilisierte und demokratische Weise zu einigen, um ein Referendum abzuhalten, wie es in Neukaledonien oder Schottland vereinbart und anerkannt wurde. Und was dabei herauskommt, muss anerkannt werden.
Und wir können dann natürlich auch Bedingungen aufstellen. Dass ein Referendum innerhalb von zehn Jahren nicht wiederholt werden darf. Aber das ist aber nutzlos. Auf diese Position stellt sich Johnson in der Schottland-Frage derzeit, dass einst in einer Generation kein neues Referendum stattfinden sollte. Aber Demokratie geht anders.
Denn in wenigen Jahren hat sich die Lage völlig verändert. Großbritannien hat Schottland mit dem Brexit aus der EU geführt und deshalb kann nicht mehr gelten, was Alex Salmond einst mit einer Generation gemeint hat. Jetzt wird erneut ein Referendum gefordert. Sie werden zu einem Einverständnis. Ich sehe Nicola Sturgeon nicht im Gefängnis oder im Exil in Belgien.
Das ist heute undenkbar. Nun, im 19. Jahrhundert hätte es vielleicht passieren können, in einigen Teilen des 20. Jahrhunderts auch, aber im 21. ist das absurd. Es ist absurd, absurd, absurd. Und ich hoffe, dass die spanische Gesellschaft das irgendwann auch einmal begreifen wird.