Erdgas aus Algerien auf der Kippe

Seite 2: Die Bedeutung des Gaslieferanten Algerien für Europa

Algerien hat gerade seinen Botschafter in Spanien zu Konsultationen zurückbeordert und alsbald ist mit Reaktionen zu rechnen, die Spanien und Europa vermutlich gar nicht gefallen werden. In Algerien macht man schon darauf aufmerksam, dass das Land für die iberische Halbinsel das ist, was Russland für Deutschland ist. Denn Algerien ist der größte Gas-Lieferant von Spanien.

Schon vor geraumer Zeit hatte Algerien Spanien davor gewarnt, die Gasknappheit in Marokko durch die Umleitung von algerischem Gas nach Marokko zu lindern. Die Gefahr dafür steigt, angesichts des Schmusekurses, den Sánchez nun definitiv eingeschlagen hat. Spätestens dabei wird Algerien nicht zuschauen.

Klar ist, dass sich neben der Ukraine nun auch am Mittelmeer immer mehr Konfliktpotential staut. Es ist fast schmerzhaft absurd, wenn einige Medien zu dem Sánchez-Vorstoß titeln: "Spanien ebnet Weg zur Lösung des Westsahara-Konflikts.".

Das Gegenteil ist der Fall. Auch in dieser Region wird die Lösung des Konflikts nicht über ein demokratisches Referendum vorangetrieben, sondern es wird erneut Öl ins Feuer geschüttet. Das könnte nicht nur dazu führen, dass sich der Krieg in der Westsahara zu einem regionalen Krieg ausweitet, sondern es könnte ein weiterer Gashahn zugedreht werden - mit fatalen Folgen für die Energieversorgung in Europa.

Angesichts extremer Preise wäre das ein weiterer Baustein für den perfekten Sturm, mit dem die gefährliche Stagflation definitiv eintreten würde.

Habeck und die Gasversorgung

Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich erklärte, die Gasversorgung für den nächsten Winter in Deutschland sei noch nicht gesichert. Habeck gibt inzwischen sogar zu, dass dies ohne russisches Gas nicht gewährleistet werden könne.

Fällt auch algerisches Gas ganz oder teilweise aus, hätte das katastrophale Auswirkungen. Zu erinnern sei auch daran, dass Algerien Russland historisch deutlich nähersteht als dem Westen.

Zusammenarbeit mit Europa

Und Algerien muss zudem schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass sich eine stabile Zusammenarbeit mit Europa nicht lohnt, sondern eher Erpressung, wie es Marokko deutlich vorexerziert hat. Somit dürfte man in Algier nun auch stärker geneigt sein, sein Gas stärker in die Verhandlungs-Waagschale zu werfen, um politische Forderungen durchzusetzen.

In einer Situation der Gasknappheit, in der Deutschland und Europa unabhängiger von Russland werden will, ist das natürlich der günstigste Augenblick. So blamiert sich Sánchez nicht nur darin, dass er in völkerrechtlichen Fragen ganz offensichtlich mit zweierlei Maß misst, sondern seine Entscheidung kommt für Europa in der Gas-Frage auch noch zur Unzeit, in der Algerien nun an einem langen Hebel sitzt.

Man fragt sich, wie der Hasardeur genau zu dieser Zeit zu dieser unsäglichen Entscheidung kam.

Nach der Pfeife der USA tanzen

Einige Anhaltspunkte dafür gibt es allerdings. Wie in der Frage der Waffenlieferungen tanzt Sánchez auch hier ganz nach der Pfeife der USA. Es ist kein Zufall sein, dass der Brief an den marokkanischen Autokraten gerade dann öffentlich wurde, als US-Präsident Joe Biden sich nun seinerseits hinter die Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara und damit hinter die Trump-Linie gestellt hatte.

Dass auch Biden gegenwärtig mit einer peinlichen Doppelmoral wie Sánchez die Positionen Marokkos unterstützt, hatten Medien in Marokko schon vor einigen Tagen berichtet. Verwiesen wurde darin auf das Ausgabengesetz, das Biden gerade unterschrieben hat, in dem nur noch von Marokko die Rede sei, die Westsahara nicht mehr erwähnt werde.

Darüber werde die "pro-marokkanische Haltung der USA in der Westsahara-Frage offiziell zur Politik gemacht". Klar ist aber, dass wir in Europa die Rechnung auch für diese fatale Eskalation bezahlen werden, denn die USA sind weitgehend unabhängig von Energieimporten.

Dass man es allerdings mit einer wohl breiter und länger abgestimmten Kampagne in der EU zu tun hat, zeigte sich nicht zuletzt auch am Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) in Luxemburg. Der Gerichtshof hatte im vergangenen Herbst die Polisario als Vertreter der Saharauis anerkannt und ein Assoziierungsabkommen zwischen Marokko und der EU angesichts einer der Polisario-Klage gekippt, weil es auch die illegal besetzte Westsahara eingeschlossen hatte.

Die Westsahara ist aber "kein Teil Marokkos" hatte das Gericht festgestellt. Doch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte nichts Besseres zu tun, als anzukündigen, dass man alles tun werde, um das Urteil zu umgehen.

Auch in Deutschland konnte man schon Veränderungen wahrnehmen, wie zum Jahreswechsel auf den Webseiten des Baerbock-Außenministeriums. So hatte Telepolis darüber berichtet, dass man auch bei der neuen grünen Außenministerin die Positionen aufgegeben hat, die unter Bundeskanzlerin Angela Merkel noch gehalten wurden.

Zum Entsetzen Marokkos war Merkel nicht auf Trump-Linie eingeschwenkt. Die alte Bundesregierung hatte auf Basis der UN-Resolutionen auf einen "gerechten, praktikablen, dauerhaften und für alle Seiten akzeptablen Lösung des Konflikts" unter "Achtung des Humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte" gepocht und dabei stets auf die UN-Resolutionen zur Westsahara verwiesen. Deshalb hatte Marokko sogar die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abgebrochen.

Der Kurs von Baerbock

Um die Beziehungen wieder zu normalisieren, knickte auch Baerbock vor der marokkanischen Erpressung ein und "aktualisierte" die Basisinformationen. Da war plötzlich zur Westsahara-Frage zu lesen: "Marokko hat im Jahr 2007 mit einem Autonomie-Plan einen wichtigen Beitrag für eine solche Einigung eingebracht."

Auf Telepolis-Nachfrage wurde zwar im Auswärtigen Amt behauptet, es habe keine Veränderung gegeben, aber erneut wurde der Autonomie-Plan herausgestrichen, aber vom Selbstbestimmungsrecht der Saharauis war in den Antworten keine Rede mehr.

Der Kurs von Sánchez

Es ist klar, dass nun Sánchez für die USA in Europa Druck macht, um auch hier vollständig auf Trump-Linie einzuschwenken, die auch Biden vertritt. Der Zeitpunkt dafür ist fatal gewählt, man darf gespannt sein, wie Deutschland angesichts seiner Energieabhängigkeit von Russland darauf reagiert, wo man auch auf Gas aus Algerien hofft.

Gegen den Sánchez-Kurs stellen sich in Spanien nicht nur die linken Unterstützer der Regierung Sánchez, die immer wieder mal als "Linksregierung" bezeichnet wird. Der Ministerpräsident hat erneut eine massive Regierungskrise mit dem Vorstoß heraufbeschworen.

Die linken Unterstützer hatten der Minderheitsregierung schon die Unterstützung für die Reform der Arbeitsmarktreform versagt, die letztlich nur durch einen Abstimmungsfehler eines rechten Abgeordneten durch das Parlament kam. Dabei wurde deutlich, dass die Regierung über keine Mehrheit mehr verfügt, also längst am Abgrund steht.

In der Westsahara-Frage tritt, anders als bei den Waffenlieferungen in die Ukraine, auch die Linkskoalition UP geschlossen gegen den Sánchez-Kurs auf. Die Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz, die gegen ihre Formation zum Beispiel Waffenlieferungen in die Ukraine mitträgt, ist klar gegen die Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara. Sie tritt weiter für ein Unabhängigkeitsreferendum ein.

"Ich bekräftige mein Engagement für die Verteidigung des saharauischen Volkes und die Einhaltung der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen", twitterte sie. "Lösung des Konflikts muss den Dialog und die Achtung des demokratischen Willens des saharauischen Volkes beinhalten."

In der Frage stimmt sie mit der Podemos-Chefin Ione Belarra überein, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist und für eine "radikale Diplomatie" eintritt. Belarra fordert eine "gerechte, dauerhafte und für beide Seiten annehmbare politische Lösung" für die Westsahara, die "im Einklang mit den Resolutionen des Sicherheitsrates steht und die "Selbstbestimmung des saharauischen Volkes gewährleistet".

Sogar die rechte Volkspartei (PP) hat Sánchez, anders als im Ukraine-Krieg in der Frage nicht hinter sich. Sie fordert, dass Sánchez seinen Schwenk nun im Kongress erklärt. Die PP erinnert an die Position Algeriens und kritisiert, dass es nicht zu tolerieren sei, dass eine "politische Position mit einem traditionellen Konsens" nicht mit dem Oppositionsführer abgestimmt worden sei. Dabei hat Sánchez die nicht einmal mit dem Koalitionspartner abgestimmt, der in immer schwierigeres Wasser angesichts der linken Wähler gerät.

Diese absurde Schachzug dürfte Spanien vorgezogenen Neuwahlen näherbringen und damit zieht das Ende der Ära Sanchez am Horizont auf. Die Bevölkerung stöhnt schon jetzt unter einer enormen Inflation von offiziell 7,6 Prozent im Februar.

Kommt es zum Streit mit Algerien und fließt weniger oder kein Gas mehr, dann müssen sich vor allem die einfachen Menschen im Land sehr warm anziehen, wo es längst zu massiven Protesten kommt, ein schon seit sechs Tagen andauernder Streik von LKW-Fahrern die Versorgung im Land gefährdet.