Der perfekte Sturm für eine gefährliche Stagflation

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Der Ukraine-Krieg könnte der definitive Katalysator für die von Ökonomen gefürchtete Situation sein, wenn eine hohe Inflation auf eine Stagnation oder Rezession trifft

Schon vor etwa einem halben Jahr zog das Gespenst der gefährlichen Stagflation im Zusammenhang von Lieferengpässen und anderen Problemen im Rahmen der Covid-Krise am Horizont auf. Gesprochen wurde da schon von einem "toxischem Gebräu", wonach die Stagflation der 1970er-Jahre, die es im Zuge des ersten Ölpreisschocks gab, wieder auf die Tagesordnung rücken könnte.

Nun ist es soweit. Die Gefahr ist auf der Tagesordnung. So warnte kürzlich der ehemalige Eurogruppen-Chef und EZB-Ratsmitglied Mario Centeno anlässlich des Ukraine-Krieges: "Es liegen Stagflations-Szenarien vor uns."

Der portugiesische Zentralbankchef weiß, wovon er spricht. Ob es zur gefährlichen Stagflation kommt, also eine Stagnation oder sogar eine Rezession mit einer hohen Inflation zusammentrifft, hänge "natürlich von der Dauer des Konflikts" ab. Das hänge auch davon ab, ob die Europäer zu "einer mehr oder weniger konzertierten Reaktion" in der Finanzpolitik fähig sind.

Auch der ehemalige Bundesbanker und erste EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing sieht jetzt die Gefahr einer Stagflation aufziehen. "Das ist das größte Risiko: Dass wir die gleichen Erfahrungen machen wie in den 70er-Jahren." Die Stagflation sei die "schlechteste Kombination für eine Zentralbank", sagte der langjährige Kritiker der lockeren EZB-Geldpolitik gerade im Bloomberg-Interview.

Ökonomen der US-Großbank Goldman Sachs hatten gerade vorhergesagt, dass die Wirtschaft der Eurozone im zweiten Quartal schrumpfen werde. Das würde bedeuten, dass damit die Stagflation praktisch die Eurozone beherrschen würde.

Da fast alle Parameter derzeit auf einen länger andauernden Krieg in der Ukraine hinweisen, sind alle Ingredienzen für das gefährliche Szenario vorhanden. Anfängliche Hoffnungen an den Börsen, die sich in einer Stabilisierung auch bei den Energiepreisen kurz nach Ausbruch des Krieges gezeigt hatten, sind schnell wieder zerstoben, dass es zu einem relativ schnellen Kriegsende kommen könne.

Tatsächlich stehen die Zeichen derzeit eher auf weitere Eskalation. Waffenlieferungen werden den Konflikt nur weiter verlängern, während die diplomatischen Bemühungen zur friedlichen Beilegung des Konflikts nicht weiterkommen.

Energiepreise und Inflation

Mit der Fortdauer des Krieges wird der Stagflation unter anderem mit explodierenden Energiepreisen der Weg geebnet, von der sich Volkswirtschaften oder Wirtschaftsräume stets nur schwer erholen. Dafür spricht auch, dass die Inflationsraten in der Eurozone in einigen Ländern schon vor dem Ausbruch des Kriegs zum Teil zweistellig waren.

Das hatte aber nichts mit der Eskalation im Osten zu tun. Es ist nun allen klar, dass der Krieg die Inflation, die im Euroraum schon im Februar auf mindestens 5,8 Prozent angestiegen ist, nun erst richtig befeuern wird.

Die offizielle Teuerungsrate ist nun schon fast dreimal so hoch wie die Rate, welche die Europäische Zentralbank (EZB) als Zielmarke angibt. Es ist wahrlich keine Neuigkeit mehr, eine Fahrt zur Tankstelle genügt als Recherche, um festzustellen, dass die Energiepreise derzeit explodieren, was sich sehr negativ auf die Inflationsentwicklung auswirken wird, wie wir noch im März deutlich sehen werden.

Die Energiepreise waren schon vor dem Ukraine-Krieg ein zentraler Inflationstreiber. Sie hatten sich im Februar um fast 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat verteuert. Der Importstopp für fossile Energieträger durch die USA – ausgerechnet atomares Material ist erstaunlicherweise ausgenommen – wird die Teuerungsrate auf neue Rekordstände treiben.

Sollte Russland Europa tatsächlich den Gashahn zudrehen, was die Regierung in Moskau als Reaktion auf das Aus für Nord Stream 2 auch schon angedroht hat, dann tritt ein Szenario ein, wogegen der Ölpreisschock in den 1970er-Jahren wohl eher vergleichsweise harmlos war, als wir an autofreien Sonntagen die Autobahnen mit Fahrrädern bevölkern konnten.

Was sich zusammenbraut

Es braut sich also, da zum Beispiel ohnehin Lieferengpässe nach der Covid-Krise weiter bestehen, damit ein sehr giftiger Cocktail zusammen. Die Produktion stockt zum Beispiel weiter in vielen Bereichen der Elektro- oder Autoindustrie, weil Microchips und andere Teile für die Fertigung fehlen. Das verzögert die Abläufe in der Industrie und da helfen auch volle Auftragsbücher wenig. Gegenwärtig wird davon berichtet, dass zum Beispiel Stahlwerke die Produktion einstellen müssen, da die Energiepreise zu hoch sind.

In Bayern gilt das zum Beispiel für die Lech-Stahlwerke, wo ebenfalls die Produktion für einige Tage eingestellt wird. Bei ArcelorMittal sind in ganz Europa verschiedenste Werke betroffen. Der weltweit zweitgrößte Stahlhersteller hat auch die Produktion in allen Eisenerzminen in der Ukraine eingestellt.

Den Grundstein für eine galoppierende Inflation hat aber die EZB in Frankfurt gelegt, die seit fast 14 Jahren den Geldmarkt flutet und auch in den vergangenen Jahren an ihrer absurden Geldschwemme festgehalten hat, die in der Corona-Krise besonders stark ausgeweitet wurde.

Die EZB

Wie Telepolis immer wieder kritisierte, hat man in Frankfurt keine Maßnahmen ergriffen, als die Inflationsrate deutlich über die Zielmarke von zwei Prozent gestiegen war. Die EZB hat, ohne das auch nur annähernd begründen zu können, lange behauptet, die Inflation werde im Frühjahr wieder zurückgehen. Deshalb wurden die Leitzinsen vom Null- und Negativzinsniveau auch nicht erhöht, als es in den letzten zehn Jahren wieder zu hohen Wachstumsraten kam.

Statt ihrer Aufgabe nachzukommen, für Geldwertstabilität zu sorgen, hat man in der EZB von Christine Lagarde lieber die Zielmarke nach oben verschoben und eine neue Sprachregelung eingeführt, wonach die Zentralbank auch "stärkere Abweichungen nach oben oder unten" akzeptieren will und das auch über einen längeren Zeitraum hinweg.

Das Ergebnis liegt nun auf dem Tisch und da nun allseits damit gerechnet wird, dass es wirtschaftlich bergab geht, kann die EZB die Zinsen nun nicht senken, um die Konjunktur zu beleben, da sie zuvor nicht erhöht wurden. In dieser Lage derzeit denkt man in Frankfurt nicht einmal über Leitzinserhöhungen nach, die die wirtschaftliche Entwicklung weiter schwächen würden. Denn auch den EZB-Ökonomen ist klar, dass die hohe Inflation den Menschen auf breiter Front Kaufkraft entzieht, womit die Konjunktur stark belastet wird.

So wurde am Donnerstag auf der EZB-Ratssitzung nur beschlossen, den umstrittenen Ankauf von Staatsanleihen etwas schneller als geplant zurückzufahren.

Im April sollen weiter Anleihen im Umfang von 40 Milliarden Euro gekauft werden. Im Mai sollen die Ankäufe auf 30 Milliarden verringert werden und im Juni sollen die Ankäufe von Anleihen auf 20 Milliarden Euro sinken. Im dritten Quartal könnten sie unter Umständen auslaufen. "Sollten die Daten unsere Annahme nicht bestätigten, dann müssen wir natürlich unseren Zeitrahmen und das Volumen bei den Anleihekäufen überarbeiten", hält sich die EZB-Chefin aber weiter alle Türen offen.

Es hatte schon tragikomische Züge, als Lagarde mit ungewöhnlich ernster Miene auf der Pressekonferenz erklärte: "Wir werden tun, was auch immer nötig ist, um in diesen Zeiten unser Mandat der Preisstabilität und der Finanzstabilität zu wahren."

Genau das hat sie eben seit dem Amtsantritt nicht getan. Der Rahmen, um für Geldstabilität zu sorgen, ist derzeit aber so schlecht wie nie zuvor, da die EZB in den vergangenen Jahr ihr Pulver nicht trocken gehalten hat.

So fällt die EZB nun weiter durch stark aufgehübschte Inflationsprognosen auf. So stellt sogar die Zeitung Die Welt fest, dass die Prognose der EZB-Ökonomen für die Jahre 2023 und 2024 "bemerkenswert niedrig" ausfalle. Vorhergesagt werden nämlich nur 2,1 Prozent für das kommende Jahr und 1,9 Prozent für 2024. Indem die EZB weiter absurde Prognosen ausgibt, tut sie so, als würde sie ihre Zielmarken erfüllen.

Die Frage ist, ob die Zentralbanker sich selbst ihre eigenen absurden Prognosen, wonach die Inflation in diesem Jahr 5,1 Prozent betragen soll, noch abkaufen. Dabei mussten sie ihre bisherige Prognose schon verdoppeln. Sie ist aber immer noch deutlich zu niedrig, denn die geschätzte Inflation im Euroraum schon im Februar deutlich über der Marke.

Lagarde, die intern "Madame Inflation" genannt wird, musste sie auch ihre absurden Prognosen aus dem letzten Jahr längst korrigieren, wonach die Inflation schnell wieder zurückgehen werde. Trotz Korrektur blieb die Lagarde-EZB aber auf ihrer "geldpolitischen Geisterfahrt".

Dieser Kurs hatte unter anderem dafür gesorgt, dass der ehemalige Bundesbank-Chefs Jens Weidmann aus dem EZB-Rat ausgeschieden ist, der ebenfalls ein Kritiker der lockeren EZB-Geldpolitik war.

Inzwischen taucht die schwierige Lage zwar auch in der Lagarde-Argumentation auf. Doch sie hat mit dem Ukraine-Krieg eine ideale Ausrede für die hohe Inflation gefunden, so als hätte sie im Euroraum nicht längst die Marke von fünf Prozent ohne den Krieg überschritten.

"Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine wird wesentliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität und die Inflation haben: Er wird Energie und Rohstoffe verteuern, den Welthandel stören und das Vertrauen schwächen", erklärte Lagarde nun.

"Ausmaß dieser Effekte wird von der weiteren Entwicklung des Konflikts, der Wirkung der verhängten Sanktionen sowie von etwaigen weiteren Maßnahmen abhängen", meint sie. Weder in Brüssel noch in Frankfurt wird aber an einer Deeskalation gearbeitet, die schon aus ökonomischen Gründen angesagt wäre.

Eine Deeskalation und eine Krisenlösung am Verhandlungstisch statt mit Waffenlieferungen und immer neuen Sanktionen den Krieg immer weiter anzuheizen, fordern linke Kräfte in Europa.