Notenbanken nehmen Inflation ernst – außer der EZB

Leitzinsen werden in diversen Ländern erhöht, auch die FED in den USA bereitet sich darauf vor: Das Attribut "vorübergehend" für die Inflation auf Rekordkurs wurde gestrichen

Am Dienstag hatte das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden mitgeteilt, dass die Bruttolöhne einschließlich der Sonderzahlungen um 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zugelegt haben sollen. Destatis hatte im November schon eine offizielle Inflationsrate von 5,2 Prozent festgestellt, also eine Teuerungsrate, wie es sie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr gab.

Der sogenannte "harmonisierte Verbraucherpreisindex" (HVPI), der die Inflation international vergleichbarer machen soll, war sogar auf sechs Prozent angeschwollen.

In Wiesbaden kommt man angesichts dieser Zahlen bei Destatis zu einer einigermaßen erstaunlichen Einschätzung: "Der Zuwachs der Nominallöhne ist im 3. Quartal 2021 komplett durch die Inflation aufgezehrt worden", erklärte die Referentin der Verdienststatistik. Nach Berechnungen der Statistiker habe der Nominallohnindex, der "die Entwicklung der Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen" abbilden soll, in Deutschland im 3. Quartal 2021 um 3,9 Prozent höher als im Vorjahresquartal gelegen. "Demnach gab es auch keine Reallohnsteigerung gegenüber dem Vorjahr", erklärte Susanna Geisler.

Es stimmt zwar, dass sie dabei nur das dritte Quartal und nicht die weitere Entwicklung verglichen hat, denn angesichts der steigenden Inflation haben die Haushalte längst auch offiziell Reallohneinbußen zu verbuchen. Das gilt für viele Menschen aber auch schon für das dritte Quartal, da der Warenkorb, der zur Ermittlung der Inflation benutzt wird, nicht die Lage der breiten Bevölkerung abbildet.

Dafür ist wichtig, dass sich vorwiegend Energie und Nahrungsmittel besonders verteuert haben, für die die Menschen mit niedrigeren Einkommen einen großen Teil der Einkünfte ausgeben müssen. Bei Energie und Nahrungsmitteln lag die reale Inflation auch schon im dritten Quartal deutlich über den ermittelten 3,9 Prozent.

Klar ist, dass breite Bevölkerungsschichten in Deutschland und in der EU längst an Kaufkraft verloren haben. Dazu kommt, dass – angesichts der Null- und Negativzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) wegen einer offiziellen Inflation von zuletzt 4,9 Prozent im Euroraum – die Menschen auch immer schneller um ihre Ersparnisse gebracht werden. Denn Zinsen auf Spareinlagen erhält man praktisch nicht mehr, zum Teil müssen sogar schon Negativzinsen bezahlt werden. Zudem verlangen die Banken immer mehr und höhere Gebühren für ihre Dienstleistungen.

Zinswende in Großbritannien und Norwegen

In immer mehr Ländern schrillen wegen der hohen und steigenden Inflation bei Notenbankern längst die Alarmglocken. Angesichts der Tatsache, dass die offizielle Inflation in Großbritannien inzwischen auch auf 5,1 Prozent gestiegen ist, hat die Bank of England (BoE) für viele Beobachter "überraschend" als erste der großen G-7-Staaten eine "Zinswende" beschlossen.

Da das Inflationsziel der BoE auch bei zwei Prozent liegt, wurde Leitzins nun um 0,15 Prozentpunkte auf 0,25 Prozent angehoben. Den hatte die BoE ohnehin nicht auf null abgesenkt, wie es bei der EZB der Fall ist. Der BoE-Gouverneur Andrew Bailey verwies auf die "mehr als hartnäckige" Inflation und begründete damit die erste Zinserhöhung seit drei Jahren.

Überraschend ist an der Zinsanhebung aber in Großbritannien angesichts der hohen Inflation eigentlich nichts. Es gehört zum normalsten Vorgehen von Notenbanken, Geld über Leitzinserhöhungen von den Geldmärkten zu saugen, wenn die Inflation steigt.

Allerdings hat man einfache Grundsätze bei der EZB in Frankfurt offenbar vergessen, wo seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 die Leitzinsen nur gesenkt wurden und auch in der zwischenzeitlichen Erholungsphase – anders als zum Beispiel in den USA – trotz Versprechen nie eine Zinsnormalisierung eingeleitet wurde.

Die Zentralbank Norwegens hatte sogar schon vor der BoE eine Zinswende eingeleitet, obwohl die offizielle Inflationsrate im Land sogar noch deutlich unter der Zielmarke von zwei Prozent liegt, die sich viele Notenbanken setzen. Doch die Notenbanker in Oslo erwarten über eine zunehmende Wirtschaftstätigkeit und ein steigendes Lohnwachstum auch eine weiter steigende Inflation und handeln deshalb präventiv.

Deshalb wurde der Leitzins kürzlich um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 0,5 Prozent erhöht. Die norwegische Zentralbank kündigte zudem eine weitere Anhebung im März 2022 an, wenn die wirtschaftliche Entwicklung weitgehend den Projektionen entspricht. Allgemein wird erwartet, dass in dem nordeuropäischen Land drei weitere Zinsschritte bis Ende 2022 folgen werden, um den Zinssatz auf 1,25 Prozent zu normalisieren.

Zinsanhebung in Tschechien und Ungarn

Wie von Telepolis schon berichtet, hatten auch die Notenbanken in Tschechien und Ungarn die Leitzinsen zum Teil schon deutlich angehoben. Die polnische Notenbank hat den Leitzins im Dezember schon zum dritten Mal in Folge auf nun 1,75 Prozent angehoben, da die größte Volkswirtschaft der osteuropäischen EU-Staaten sogar schon mit einer offiziellen Inflationsrate von 7,7 Prozent kämpft.

Ungarn hat bereits fünf Zinsschritte gemacht und den Leitzins angesichts einer offiziellen Teuerungsrate von 7,4 Prozent sogar schon auf 3,30 Prozent angehoben. Die Notenbank in Tschechien zog am Mittwoch ebenfalls nach und hat den Leitzins angesichts einer offiziellen Inflationsrate von sechs Prozent im November nun auf 3,75 Prozent erhöht.

USA: FED bereitet sich auf Leitzinserhöhungen vor

Auch die US-Notenbank FED bereitet sich auf Leitzinserhöhungen vor. So hatte die FED zunächst vor dem Hintergrund rasant steigender Inflationsraten beschlossen, schneller als geplant aus der ultralockeren Geldpolitik auszusteigen.

Denn wie die BoE geht die FED davon aus, dass die Inflation länger als geplant bleiben wird. Das Attribut "vorübergehend" wird zur Beschreibung der Inflation nicht mehr verwendet. Viel hängt für die FED beim Konjunkturverlauf "vom Pfad des Virus" ab, heißt es in der letzten FED-Mitteilung.

Das Programm zum Ankauf von Anleihen, womit die Notenpresse in den vergangenen Monaten auch in den USA auf Hochtouren liefen, wird früher als bisher angekündigt beendet. Seit Längerem wird auf der anderen Seite des Atlantiks schon über das "Tapering" debattiert. In mehreren Schritten wurden Anleihekäufe schon zurückgefahren.

Zum Jahreswechsel werden nun die monatlichen Käufe von Staatsanleihen und staatlich besicherten Hypothekenanleihen um 30 Milliarden US-Dollar auf 60 Milliarden Dollar pro Monat reduziert. Das ist das Doppelte der Summe, um die die Käufe im November und Dezember reduziert wurden. Zwischenzeitlich hatte die FED sogar Anleihen im Umfang von monatlich 120 Milliarden Dollar aufgekauft. Das Ende ihrer Anleihekäufe soll auf den März vorgezogen werden.

An der Leitzinsschraube hat die US-Notenbank (noch) nicht gedreht. Die Leitzinsen werden weiterhin (noch) in der Spannbreite zwischen 0 und 0,25 Prozent gehalten. Wegen der hohen Inflation stellt die FED aber raschere Zinsanhebungen in Aussicht, als bisher geplant waren.

Die Inflationsrate liegt derzeit bei 6,8 Prozent. Im kommenden Jahr wird nach Prognosen der Notenbanker mit insgesamt drei Zinsschritten um jeweils 0,25 Prozentpunkte in den USA gerechnet, um die Geldflut zurückzunehmen.

Beim Vergleich der Inflationsraten muss beachtet werden, dass die Teuerung in den USA etwas ehrlicher als im Euroraum oder in Deutschland ist, da zum Beispiel Immobilienpreise zum Teil einfließen. Das ist in Deutschland nicht der Fall, wo sich längst eine gefährliche Blase bildet. Vor einem baldigen Platzen dieser Blase wird längst gewarnt.

Die FED berücksichtigt nach ihrem Chef Jerome Powell diverse Faktoren für ihre Geldpolitik, dazu gehört unter anderem auch die Arbeitslosenquote und das Beschäftigungsniveau. Die FED will eine maximale Beschäftigung erreichen. Ab welcher die angestrebte Arbeitslosenquote erreicht ist, sagte Powell nicht. Im November lag die Quote offiziell allerdings schon bei 4,2 Prozent.

Nach der Einschätzung der FED verbessert sich die Lage am Arbeitsmarkt aber schnell. Powell geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit schon bis zum Jahresende eine Quote von 3,5 Prozent erreichen wird. Ab zwei Prozent wird allgemein von Vollbeschäftigung gesprochen.