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Putin und Hollande einig, wie man gegen IS vorgehen muss

Bild: Kreml

Dass Treffen von Putin und Hollande im Kreml hat historische Qualität. Nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame steht im Mittelpunkt

Das Verhältnis zwischen Russland und der Türkei hat sich nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeuges am Dienstag massiv verschlechtert. Da die Nato Ankara nicht kritisiert, kann dieser Konflikt zu einem Konflikt zwischen Russland und der Nato werden, was den Weltfrieden bedrohen würde. Angesichts dieser Situation waren die Erwartungen an das Treffen des französischen Präsidenten Francois Hollande mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstagabend im Kreml groß.

Überraschend ist ein Durchbruch gelungen. Die beiden Präsidenten vertraten in den zentralen Fragen die gleiche Position. Auf der abschließenden Pressekonferenz erklärten [1] die beiden Präsidenten, dass

  1. Informationen über die Stellungen der Terroristen ausgetauscht und
  2. die Luftschläge "gegen den IS und die Terroristen" koordiniert werden müssen;
  3. verhindert werden muss, dass Luftschläge gegen die geführt werden, die gegen den IS kämpfen wollen;
  4. die Finanzquellen des IS geschlossen werden können, wenn man die Ölförderanlagen zerstört;
  5. und einer Übergangsperiode in Syrien Wahlen durchgeführt werden müssen.

Wie weit Hollande Putin entgegen kam, wurde auch an seiner Äußerung zu dem Abschuss des russischen Kampfflugzeuges deutlich. Er "bedauere sehr, was am Dienstag passiert ist", erklärte Hollande. "Das hätte man unbedingt verhindern müssen." Putin gab bekannt, dass Hollande sein Beileid zum Tod des russischen Piloten ausgesprochen habe.

Es gab auch Dissonanzen

Hollande sagte, Assad habe in Syrien "keine Zukunft". Putin sagte hingegen, "das Schicksal des syrischen Präsidenten liegt in der Hand des syrischen Volkes." Der Kreml-Chef fügte hinzu, die in Syrien notwendige Bodenoperation dürften nur von der syrischen Armee durchgeführt werden.

Der russische Präsident erklärte, der Austausch von Informationen mit den USA laufe schlecht. Offenbar würden die USA ihre Informationen "nach links und rechts" weiter geben, was zur Folge habe, dass die Terroristen wüssten, wann die russischen Flugzeuge wo auftauchen.

Auf eine Journalistenfrage erklärte der Kreml-Chef, dass der am Donnerstag in Nordsyrien aufgestellte russische Raketenabwehrkomplex S400, dessen Raketen eine Reichweite von 400 Kilometern haben, "nicht gegen unsere Partner eingesetzt (wird), mit denen wir gegen die Terroristen kämpfen". Russland macht mit der Aufstellung des S400 System deutlich, dass es keine Angriffe auf russische Flugzeuge zulassen wird.

Bild: Kreml

Wie in den letzten Tagen bekannt wurde, ist der Pressesprecher der US-Botschaft in Moskau, William Stephens, über die bevorstehende Inbetriebnahme der S400-Systems in Syrien nicht begeistert. Durch die Aufstellung sei die Situation in Syrien nun "noch schwieriger" geworden. Beim Kampf gegen den IS helfe das System nicht, denn dieser habe keine Luftwaffe. Der Pressesprecher der US-Botschaft erklärte, man erwarte, dass diese Waffe im Rahmen des "Memorandums über sichere Flüge" und nicht gegen Flugzeuge der internationalen Koalition eingesetzt wird. Putin machte in den letzten Tagen deutlich, dass er die Türkei für einen Helfer des IS hält. Von daher kann es zu Konflikten zwischen russischer und türkischer Luftwaffe kommen.

Zu der Beschießung eines "humanitären LKW-Konvois" in Syrien mit angeblich sieben toten Fahrern, sagte russische Präsident auf der Pressekonferenz mit Hollande, die humanitäre Organisation, welche diesen Konvoi angeblich organisiert hat, habe schon erklärt, dass sie mit dem Konvoi nichts zu tun habe (Russland verstärkt Angriffe auf syrische Turkmenen [2]). Leider komme es immer wieder vor, dass angebliche humanitäre Konvois in Wirklichkeit Waffen liefern. Wer den Konvoi beschossen hat - türkische Medien behaupteten eine russische Täterschaft -, sagte Putin nicht.

Zu der Erklärung von Erdogan, die Türkei kaufe keine Öl vom IS und vernichte illegal geliefertes Öl, sagte der russische Präsident, man sehe in der Türkei "nicht den Rauch von vernichtetem Öl". Es gäbe Satellitenaufnahmen, die zeigten, dass Tanklaster "bis zum Horizont" wie eine "lebende Pipeline" Öl aus Syrien in die Türkei transportieren.

Völlig aufgegeben hat Wladimir Putin die Hoffnung auf ein Umdenken in Ankara offenbar noch nicht, obwohl der Ton äußerst scharf ist. Der Kreml-Chef erklärte am Donnerstag bei einem feierlichen Empfang für 15 neue Botschafter im Kreml, man habe von der Türkei "immer noch keine verständliche Entschuldigung der politischen Führung" erhalten "und kein Angebot, den Schaden zu bezahlen". Der "verräterische Schlag in den Rücken von Jemandem, den wir als Partner und Verbündete im antiterroristischen Kampf betrachtet haben", sei "unerklärlich". Man habe den Eindruck, dass die Türkei die russisch-türkischen Beziehungen "bewusst in eine Sackgasse" leiten wolle, was man bedauere.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verweigerte eine Entschuldigung für den Abschuss des russischen Kampfflugzeuges, schlug aber ein Treffen mit Putin am 30. November in Paris vor.

Wie reagiert Obama?

In den kommenden Tagen wird sich nun zeigen, ob die Minimalplattform, die Putin und Hollande gefunden haben, weitere Anhänger findet. Die USA wird es kaum zulassen können, dass sich neben der von ihr geführten Koalition gegen den IS eine zweite Koalition bildet, der ein maßgebliches EU-Mitglied angehört.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Aleksej Puschkow, erklärte gegenüber der Fernsehkanal Rossija 24, das Treffen zwischen Putin und Hollande habe eine große Bedeutung, weil "zwei Mitglieder des UN-Sicherheitsrates erklären, dass sie gemeinsam gegen die IS vorgehen wollen". Hollande sei "der erste westliche Politiker, dem der Kampf gegen den IS wichtiger ist als der Kampf gegen Assad". Der amerikanische Präsident sei durch die Verständigung zwischen Moskau und Paris "in eine Beobachterposition geraten". Lange könne die USA diese Position nicht einnehmen.

Syrisch-turkmenische Terroristen angeblich vernichtet

Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums erklärte am Donnerstagabend die russische Luftwaffe und die syrische Artillerie hätten die Berggegend in welcher die Piloten der brennenden SU 24 mit dem Fallschirm absprangen, massiv bombardiert. Die Terroristen dort (die sich rühmten, dass sie einen der Piloten töteten) seien vernichtet.

Im russischsprachigen Internet tauchten unterdessen Recherchen [3] eines Bloggers auf, nach denen der bärtige Anführer der Gruppe, welche die beiden russischen Piloten, als sie an Fallschirmen zur Erde schwebten, beschoss, kein "syrischer Turkmene" ist, sondern ein Mitglied der türkischen neofaschistischen Organisation Graue Wölfe ist. Der Bärtige, der bei seinem Auftritt vor Fernsehkameras Überreste eines der russischen Fallschirme in den Händen hielt, soll Alpaslan Celik heißen und aus der zentraltürkischen Stadt Keban kommen. Sein Vater soll dort ehemaliger Bürgermeister gewesen sein.

Wladimir Putin nahm auf der Pressekonferenz mit Hollande auf die Enthüllungen des Bloggers Bezug und erklärte, in dem Grenzgebiet, wo das russische Kampfflugzeug abgeschossen wurde, kämpften "russische und türkische Terroristen".

Sollten die Enthüllungen des russischen Bloggers stimmen, wäre das sehr peinlich für den Sprecher des US-Außenministeriums Marc Toner. Der hatte am Mittwoch zur Beschießung der an Fallschirmen schwebenden russischen Piloten durch syrische Turkmenen erklärt [4], diese hätten "ein Recht auf Selbstverteidigung".

Wo sich die Leiche 52-jährigen russischen SU 24-Piloten Oleg Peschkow befindet, der bei dem Fallschirmabsprung von syrischen Turkmenen erschossen wurde, ist unklar. Wladimir Putin verlieh Peschkow und einem Marineinfanteristen, der bei dem Versuch, die abgeschossenen Russen per Hubschrauber zu evakuieren, getötet wurde, einen Helden- und einen Tapferkeitsorden. Am Donnerstag legten Bürger Russlands in vielen Städten Blumen an Denkmälern der russischen Luftwaffe nieder.

Der 39-jährige russische Navigator der SU 24, Konstantin Murachtin, der den Absprung aus dem Kampfflugzeug per Fallschirm überlebte, wurde in der Nacht auf Mittwoch in einem Kommandounternehmen von syrischen und russischen Spezialeinheiten aufgespürt und mit dem Hubschrauber zur russischen Luftwaffenbasis bei Latakia gebracht.

Proteste vor türkischen Botschaften

Am Mittwoch und Donnerstag kam es in Moskau und der südrussischen Stadt Noworossisk zu Protestkundgebungen vor türkischen Botschaften. In Moskau wurde dabei Scheiben eingeschmissen [5]. An der Kundgebung in Noworossisk beteiligten sich nach einem Bericht [6] des Internetportals newsru.com auch Vertreter der armenischen und griechischen Diaspora. Es wurde eine türkische Fahne verbrannt

Der russische Präsident stellte am Mittwoch in einer kurzen Stellungnahme vor russischen Journalisten klar, dass es jetzt gegen den Terrorismus und nicht gegen den Islam gehe. Putin wollte offenbar verhindern, dass es nach dem Abschuss des russischen Flugzeuges Übergriffe auf Moslems in Russland gibt. Der Islam sei "eine der traditionellen Religionen in der Russischen Föderation und wir unterstützen den Islam", erklärte der Präsident. In Türkei würden jedoch "radikalere Kräfte" des Islams unterstützt.

Die Türkei veröffentlichte am Donnerstag einen Audiomittschnitt, der beweisen soll, dass die beiden russischen Piloten von türkischer Seite per Funk aufgefordert wurden, den Kurs zu ändern. Russische Militärexperten bezeichneten die Audioaufnahme als Fälschung. Auf der Aufnahme fehle die Stimme des russischen Piloten. Außerdem sei der schwache Lärm im Hintergrund untypisch für ein Suchoi-24-Kamfpflugzeug, wo es wesentlich lautere Hintergrundgeräusche gibt.

Russische Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei

Wirtschaftlich zieht die russische Regierung wegen dem Abschuss des russischen Kampfflugzeuges harte Konsequenzen. Das russische Außenministerium forderte [7] russische Touristen in der Türkei auf, nach Russland zurückzukommen. Für die Türkei ist dieser Aufruf sehr schmerzhaft, da im Jahr vier Millionen Russen in der Türkei Urlaub machen.

Die russische Regierung ordnete Beschränkungen und Verbote türkischer Investitionen in Russland an. Innerhalb von zwei Wochen soll eine Liste von Maßnahmen gegen türkische Firmen und Investitionsprojekte ausgearbeitet werden. Ein Embargo gegen türkische Lebensmittel ist jedoch nicht geplant. Lebensmittel aus der Türkei sollen vom russischen Zoll jetzt jedoch nicht nur stichprobenartig, sondern zu 100 Prozent auf Verletzungen der Lebensmittelnormen kontrolliert werden. Wie frühere russische Handelskriege mit Polen zeigen, können Komplett-Kontrollen zu einer starken Verzögerung beim Import führen.


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https://www.heise.de/-3376875

Links in diesem Artikel:
[1] http://kremlin.ru/events/president/transcripts/50792
[2] https://www.heise.de/tp/features/Russland-verstaerkt-Angriffe-auf-syrische-Turkmenen-3376873.html
[3] http://ntv.livejournal.com/426110.html?mode=reply#add_comment
[4] https://www.youtube.com/watch?v=YU1X9rnTLTQ
[5] https://www.youtube.com/watch?v=1XQHmOThj70
[6] https://www.youtube.com/watch?v=jpE19OogY0E.
[7] http://ria.ru/world/20151126/1329077341.html