Putin unterschreibt hasserfülltes Gesetz

Archivfoto: Berliner CSD 2012/andrreas.livejournal.com/CC BY 2.0

Russland: Diskriminierung und Unterdrückung von LGBTQ-Menschen verschärfen sich. Kritiker fürchten Stigmatisierung, die sich ausweitet. Wie sieht die Situation in der Ukraine aus?

Der russische Präsident Waldimir Putin hat ein Gesetz unterzeichnet, das "die Propaganda für nicht- traditionelle sexuelle Beziehungen, für Geschlechtsumwandlung und Pädophilie vollständig verbietet", wie die Nachrichtenagentur Tass berichtet.

Das neue Gesetz, das kürzlich von beiden Häusern des Parlaments verabschiedet wurde, tritt mit der Veröffentlichung in Kraft. Ob das bereits der Fall ist, geht aus der englisch-sprachigen Tass-Nachricht nicht genau hervor. Dort ist die Rede davon, dass die Unterzeichnung durch den Präsidenten nun in der Datenbank der Staatsduma veröffentlicht wurde.

Was ist neu? Es gibt bereits seit 2013 ein Verbot der "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen", das von Menschenrechtsgruppen scharf kritisiert wurde.

Jetzt, so fasst es Alexander Baschkin, Mitglied des Ausschusses für Verfassungsrecht des russischen Föderationsrates (Oberhaus des Parlaments), am Ende der Tass-Meldung zusammen, gelte das Verbot der "Propaganda" für Menschen jeden Alters, während die "Propaganda" bisher nur für Minderjährige verboten war. Das ist nicht die einzige Ausweitung, die der in administrativer Sprache gehaltenen Nachricht zu entnehmen ist:

Nach dem neuen Gesetz ist solche Propaganda in sozialen Netzwerken, in den Massenmedien, in Filmen und in der Werbung nun vollständig verboten.

Eine gesonderte Bestimmung verbietet die Verbreitung solcher Informationen unter Minderjährigen, während das Verbot bisher nur für Materialien über LGBT galt. Es ist geplant, einen Mechanismus einzurichten, um Minderjährigen den Zugang zu LBGT-bezogenen Informationen auf kostenpflichtigen Websites zu verwehren. Für den Zugang zu solchen Websites werden spezielle Codes oder andere Maßnahmen erforderlich sein.

Die Aufsichtsbehörde für die Massenmedien des Landes wird ermächtigt, Websites mit Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen, Pädophilie und Geschlechtsumwandlung in das Register der verbotenen Ressourcen aufzunehmen, die gesperrt werden müssen. Sie wird auch ermächtigt, das Verfahren zur Überwachung des Internets zu bestimmen, um solche Seiten aufzuspüren.

Tass

Die Frage, die sich hier unmittelbar stellt: Was ist Propaganda, was fällt darunter?

Augenscheinlich sind Aufklärungsbücher, die auch hierzulande heftigen Kulturkampf-Debatten unterworfen werden, im Fokus dieses Gesetzes. Anzunehmen ist, dass auch öffentlich zugängliche Bilder darunter fallen, die ein nicht-heterosexuelles Paar auf eine positive Art zeigen, ohne dass die Beziehung mit moralischen Vorurteilen wertend eingerahmt wird.

Dass auch Erzählungen über Liebe in nicht-heterosexuelle Beziehungen auf Webseiten, in Filmen in Kino und Fernsehen wie auch Theaterstücke darunter fallen, ist ebenfalls möglich, die entsprechende Auslegung hat aufgrund des Gesetzes großen Spielraum. Ausdrücklich genannt im Gesetz werden Werbung und Plakate, die "Propaganda" für die geächtete Liebe betreiben.

Die Diffamierung des "Nicht-Normalen"

Im Grunde, so der Eindruck, können sämtliche Darstellungen von nicht-heterosexuellen Beziehungen, die diese Liebesbeziehungen als normal zeigen, in die Zuständigkeit dieses Gesetzes geraten. Damit werden in Russland die Tore für Zensoren und Sittenwächter weit geöffnet und in der Gesellschaft, im "normalen Leben", fördert das Gesetz die Diffamierung des "Nicht-Normalen".

"Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit selbst sind in Russland zwar nicht strafbar, doch die Gesetzeslage ist ein Nährboden für Hetze und Übergriffe", heißt es dazu in einem dpa-Bericht, der auf der Webseite queer.de erscheint. Zitiert wird dort ein Filmemacher mit einem bangen Ausblick auf weitere gesellschaftliche Auswirkungen dieser Repression:

Die Stigmatisierung eines einzelnen Teils der Gesellschaft wird unweigerlich das immer weitreichendere Ausschließen derjenigen nach sich ziehen, die nicht richtig lieben, nicht richtig sprechen, nicht richtig denken.

Konstantin, Filmemacher

Von Strafen bei Verstößen gegen das "Propaganda-Gesetz" ist in der Tass-Nachricht übrigens nicht die Rede. Es gebe Geldstrafen, wird an andere Stelle berichtet. Aber das sei nicht die Hauptsache, heißt es in Kreisen von Aktivisten. Man könne mit dem Gesetz Demonstrationen und Veranstaltungen verbieten. Es sei so ein Hebel, um die Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu beschränken.

Werte-Politik in Russland und in der Ukraine

Wie oben im Zitat bereits angedeutet, wird mit dem Gesetz ein "innerer Feind" geframet. Auch Putin macht Werte-Politik auf ultrakonservativem Boden: Es geht ihm um die Verteidigung russischer Werte gegen die westlichen Länder, wie er öfter auf Ansprachen betonte, um die Bevölkerung unter der nationalen Fahne zu versammeln.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie es um die Werte-Politik in der Ukraine steht, wenn es um Homophobie und Transphobie geht. Auch dort haben die Kirchen starken Einfluss und dass es rechtsreaktionäre Kräfte mit Nähe zu faschistischen Werten in der Ukraine gibt, ist keine russische Fake-News.

Noch im Jahr 2016 konnte man in einem Lagebericht der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) überschrieben mit "Trotz EU-Kurs - Homo- und Transphobie in der Ukraine wachsen" folgendes lesen:

Die offizielle Politik des Landes gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender hat sich seit der Revolution der Würde, dem Maidan, vor zwei Jahren, radikal verändert – allerdings nur auf den ersten Blick. Denn die Menschen in der Ukraine stehen der gleichgeschlechtlichen Liebe feindselig gegenüber.

bpb

Inzwischen aber habe sich die Lage zum Positiven verändert, wie ein aktueller Lagebericht verstehen lässt.

Zeichen für eine "sanfte Öffnung"

Zwar hätten Organisationen wie Nationaler Korpus, Rechter Sektor, Tradition und Ordnung, Trysub (Dreizack), Karpatska Sitsch, Sokil (Falke), Bratstwo (Bruderschaft) wie zuvor auch "Rechtsradikale und Gläubige" immer wieder "öffentliche Veranstaltungen und Einrichtungen der LGBTIQ*-Community" attackiert und es wird weiter von Fällen der Diskriminierung, Gewalt und Hasskriminalität berichtet.

Aber laut des Berichts von Munichkyivqueer.org gibt es auch Zeichen für eine "sanfte Öffnung":

Die Lage ist für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans* und inter* Leute in der Ukraine umso unbefriedigender, als sich die Situation auf rechtlicher Ebene in den vergangenen Jahren eigentlich verbessert hat. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung ist gestiegen.

Das legt zum Beispiel die Studie "What Ukrainians Know and Think About Human Rights: Assessing Change (2016-2020)" von der Ilko Kucheriv Democratic Initiatives Foundation nahe. Im Vergleich zu 2016 ist die Zahl der Bürger*innen, die Toleranz als Grundwert betrachten, um 6 auf 31 Prozent gestiegen. Grundsätzlich verstehen immer mehr Menschen, dass sexuelle Minderheiten besonders unter Diskriminierung leiden (26,3 Prozent).

"Tatsächlich erregten LGBTIQ*-Themen zuletzt keine besonders starken Gefühle mehr in der breiten ukrainischen Bevölkerung", sagt Andrij Krawtschuk, einer der Manager von Nash Svit. Die Menschen ließen durchaus mit sich reden, wenn es um sexuelle Minderheiten gehe. Das Land habe sich geöffnet.

Munichkyivqueer.org

... und ein unverändert kompromissloser Standpunkt der ukrainischen Kirchen

Nachtrag: Die ukrainischen Kirchen würden weiterhin einen "absolut kompromisslosen Standpunkt gegen das einnehmen, was sie als 'Förderung der Gender-Ideologie' und 'Propaganda des Homosexualismus' bezeichnen - d.h. die Einführung von moderner Standards bei der Gleichstellung der Geschlechter und dem Schutz der Rechte von LGBTQ-Personen in der Ukraine", heißt es in einem Situationsbericht von Ende August dieses Jahres vom LGBT Human Rights Nash Svit Center, ansässig in der Ukraine.

Nach einer Umfrage des Zentrums gaben 64 Prozent der Menschen an, sie seien für gleiche Rechte von LGBTQ. 24 Prozent unterstützen explizit eine eingetragene Lebenspartnerschaft. 2016 lagen diese Werte noch bei 33 respektive fünf Prozent.