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Putsch im Niger: Startet Frankreich den Uran-Krieg?

Französische Luftwaffe: Wie lange bleibt die Haube drauf? Französische Drohne von Dassault Aviation. Archivbild (Ausstellung 2013): Aerolegende / CC BY-SA 3.0

MilitÀrjunta beschuldigt abgesetzte Regierung, dass sie Paris Erlaubnis zum MilitÀrschlag gegeben habe. Regierung Macron dementiert nur halb. Wie steht es um die AbhÀngigkeit des Atomparks von Uran aus Niger?

Frankreichs Regierung soll von der gestĂŒrzten Regierung in Niger dazu ermĂ€chtigt worden sein, militĂ€rische Angriffe auf das PrĂ€sidentenamt auszufĂŒhren, um den abgesetzten PrĂ€sidenten Mohamed Bazoum zu befreien.

Die Nachricht, die fĂŒr Wirbel und Spekulationen sorgt, stammt, wie Reuters [1] berichtet, von Colonel Amadou Abdramane, einem der fĂŒhrenden MĂ€nner hinter dem Staatsstreich. Vergangene Woche war es Abdramane, der in Gegenwart von neun MilitĂ€rs die MachtĂŒbernahme verkĂŒndete (siehe hier [2] im Vordergrund, in auffallender blauer Uniform).

Im Staatsfernsehen sprach Amadou Abdramane gestern davon, dass die Erlaubnis fĂŒr ein militĂ€risches Eingreifen der französischen Armee von Hassoumi Massoudou sowie angeblich vom Chef der Nationalgarde, unterzeichnet wurde. Massoudou war Außenminister der abgesetzten Regierung. GegenwĂ€rtig reklamiert er fĂŒr sich das Amt als Chef der Interimsregierung. Auf der internationalen Ebene fungiert er als Ansprechpartner in Niger.

GegenĂŒber Reuters Ă€ußerte sich der Interims-Premierminister nicht zur Behauptung des Putsch-Generals. Sie wurde gestern rasch in sozialen Medien verbreitet, wo sie wie eine Tatsache weitergegeben wurde [3], ohne auf die Interessen dieser Kommunikation fĂŒr die Sache der Putschisten einzugehen.

"Übertriebene Anschuldigung"

In Paris wird dies, wie Le Monde [4] berichtet, als "ĂŒbertriebene Anschuldigung" behandelt, "auf die bislang niemand eine Antwort fĂŒr nötig hielt". Das wiederum ist in diesem Wortlaut kein komplettes Dementi.

Offiziell hĂ€lt sich die französische Regierung mit Drohungen zurĂŒck. Aus dem ganz einfachen Grund, dass Paris, anders als die Putschisten, kein Interesse daran hat, das anti-französische Klima im Land und besonders unter den AnhĂ€ngern des CNSP, so die Selbstbezeichnung der neuen Machthaber (auf Deutsch: Nationalrat zur Rettung des Vaterlandes), weiter aufzuheizen.

Allerdings hat die französische Regierung unmittelbar alle wirtschaftliche Hilfe ausgesetzt. Eine militĂ€rische Aktion, so ließ man durchblicken, sei aber vorstellbar, wenn es um die Sicherheit der französischen BĂŒrger in Niger gehe. Dabei solle es sich um etwa 500 bis 600 Personen handeln.

Die Nachricht von der Erlaubnis an Frankreich, militĂ€rische SchlĂ€ge gegen den PrĂ€sidentenpalast und folglich gegen die MilitĂ€rjunta auszufĂŒhren, fĂŒhrt zu Spekulationen darĂŒber, ob das Land mit militĂ€rischer Macht den Nachschub an Uran sicherstellen will, den es fĂŒr seinen Atompark braucht.

Uran aus Niger: Das grĂ¶ĂŸere Problem hat die EU

Ein Echo dieser Spekulationen hallt in französischen Medienberichten nach, die unterstreichen, dass Frankreich nur zu einem kleinen Teil Uran aus Niger fĂŒr seine Kernkraftwerke braucht. WĂ€hrend die Tagesschau [5] am gestrigen Sonntagabend von "ĂŒber 30 Prozent des Urans" berichtet, das Frankreich fĂŒr seine Atommeiler braucht und aus Niger bezieht, geben französische Medien weitaus niedrigere Zahlen an.

Das grĂ¶ĂŸere Problem hat demnach Europa. Nach Angaben von StĂ©phane Lhomme, dem GrĂŒnder und Chef des Observatoire du nuclĂ©aire, machen die Uranimporte aus Niger 15 Prozent der gesamten Uranimporte aus, wie der Sender TF 1 [6] berichtet.

Laut dem Sender ist Niger in der EuropĂ€ischen Union "nach wie vor das wichtigste Importland fĂŒr Natur-Uran". Laut der EuropĂ€ischen Versorgungsagentur Euratom (ESA) sollen im Jahr 2021 24 Prozent der Lieferungen an die EU aus Niger gekommen sein. Das Land liege damit noch vor Kasachstan und Russland.

Die GrĂ¶ĂŸenordnung, die der Anti-Atom-Aktivist StĂ©phane Lhomme genannt hat, wird von der französischen Unternehmensgruppe Orano, zustĂ€ndig fĂŒr den Abbau von Uran in Niger, [7] bestĂ€tigt.

Nach ihren SchĂ€tzungen sind es 10 bis 15 Prozent des Urans aus Niger [8], die fĂŒr den französischen Atompark gebraucht werden.

Man habe sich diversifiziert, so das Unternehmen gegenĂŒber Le Monde [9]. Als alternative BezugslĂ€nder werden Kanada und Kasachstan genannt. Die Sorge, dass der Uran-Abbau in Niger gefĂ€hrdet ist, kennt man schon lĂ€nger.

Bislang waren es die islamistischen Terrorgruppen, Islamischer Staat und al-Qaida, die einen Ausfall befĂŒrchten ließen.

Was den gegenwÀrtigen Putsch angeht, so gibt man sich noch keiner Panik hin. So werden in einem aktuellen Artikel in Le Monde [10] von einem Experten noch niedrigere Zahlen genannt und auf beruhigende Reserven verwiesen.

Was die Versorgung angeht, "wĂŒrde es kurzfristig keine Krise geben, da die VorrĂ€te groß sind, auch wenn es langfristig unsicherer ist", erklĂ€rt der unabhĂ€ngige internationale Analyst Mycle Schneider. Allein der Energieversorger EDF verfĂŒgt ĂŒber Brennstoffreserven im Gegenwert von mindestens zwei Jahren. Der "Yellow Cake", das gelbe Uranpulver aus Niger, deckt nur 10 % des Bedarfs der französischen Atomkraftwerke.

Le Monde [11]

Ein weiterer Experte verweist darauf, dass die geschĂ€ftlichen Beziehungen zwischen dem Unternehmen und Niger weiterlaufen. Sie wurden nicht unterbrochen und das stĂŒnde in einer gewissen Tradition: "In den meisten Staatsstreichen, die Niger erlebt hat, wurde der Uransektor nie grundlegend infrage gestellt", so Emmanuel GrĂ©goire, emeritierter Forschungsdirektor am Institut de recherche pour le dĂ©veloppement (Forschungsinstitut fĂŒr Entwicklung).

Zwar sei es noch zu frĂŒh, um die gegenwĂ€rtige Lage einzuschĂ€tzen, aber Mali und Burkina Faso, wo ebenfalls Putschisten, die sich gegen Frankreich wenden, an die Macht gekommen sind, "haben ihre Beziehungen zu französischen Unternehmen bislang nicht abgebrochen".

Fehler in der Wahrnehmung: Versagen der Geheimdienste

Ob die Rechnung des Experten auch diesmal aufgeht, ist derzeit nicht zu sagen.

Klar ist hingegen, dass die französische Politik in Niger zu einer starken Aversion gegen Frankreich gefĂŒhrt hat. Und dass die Verantwortlichen in Paris dort nicht genau hingeschaut haben, dass die Wahrnehmung der VerhĂ€ltnisse von großer Ignoranz gekennzeichnet sind.

Dazu der Sicherheitsanalyst Jean-Dominique Merchet [12]:

Wie konnte Frankreich unter diesen UmstĂ€nden von einem Staatsstreich in Niger ĂŒberrascht werden, wie es bereits zweimal in Mali der Fall gewesen war? Mit halben Worten gibt der Generalstab der StreitkrĂ€fte zu, dass er "nicht unbedingt" wusste, dass sich in den letzten Tagen etwas zusammenbraute.

Dennoch gab es seit mehreren Wochen Spannungen zwischen PrĂ€sident Bazoum und dem Chef seiner PrĂ€sidentengarde, General Tchiani. Aus Angst vor seiner Entlassung ĂŒbernahm dieser schließlich die Macht und zog wohl oder ĂŒbel einen Teil der Armee mit sich.

Der französische Geheimdienst hatte eindeutig versagt. Entweder fehlten die Quellen und Sensoren oder - was wahrscheinlicher ist - die Analyse der gesammelten Fakten war nicht die richtige, weil sie nicht den Ansichten der politischen Macht entsprach. Ähnlich wie im Februar 2022, als die französischen Dienste nicht an die russische Invasion in der Ukraine glauben wollten, obwohl sie ĂŒber alle Informationen zu deren Vorbereitung verfĂŒgten.

Jean-Dominique Merchet

Der grundlegende Fehler, so Merchet, liege darin, dass sich der französische Geheimdienst auf zwei Feinde konzentriert habe, die Terrorgruppen und die russische Gruppe Wagners. DafĂŒr habe man völlig vernachlĂ€ssigt, auf die lokalen Gesellschaften, MĂ€chte und Armeen zu achten.


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https://www.heise.de/-9230925

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.reuters.com/world/africa/niger-junta-says-government-authorised-french-strikes-2023-07-31/
[2] https://lignesdedefense.blogs.ouest-france.fr/archive/2023/07/27/niger-24025.html
[3] https://twitter.com/ZagazOlaMakama/status/1685868457311494144
[4] https://www.lemonde.fr/afrique/article/2023/07/31/au-niger-la-junte-agite-le-spectre-d-une-intervention-exterieure-pour-souder-la-population-derriere-elle_6183944_3212.html
[5] https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/niger-militaerputsch-100.html
[6] https://www.tf1info.fr/international/le-pays-secoue-par-une-tentative-de-putsch-militaire-centrales-nucleaires-a-quel-point-la-france-depend-elle-de-l-uranium-du-niger-2265200.html
[7] https://www.orano.group/en/nuclear-expertise/orano-s-sites-around-the-world/uranium-mines/niger/mining-sites
[8] https://www.lemonde.fr/economie/article/2023/04/13/au-niger-la-mine-d-uranium-geante-d-orano-sous-haute-tension_6169276_3234.html
[9] https://www.lemonde.fr/economie/article/2023/04/13/au-niger-la-mine-d-uranium-geante-d-orano-sous-haute-tension_6169276_3234.html
[10] https://www.lemonde.fr/international/article/2023/07/31/apres-le-coup-d-etat-au-niger-orano-active-une-cellule-de-crise-pour-veiller-sur-ses-mines-d-uranium-dans-le-nord-du-pays_6183940_3210.html
[11] https://www.lemonde.fr/international/article/2023/07/31/apres-le-coup-d-etat-au-niger-orano-active-une-cellule-de-crise-pour-veiller-sur-ses-mines-d-uranium-dans-le-nord-du-pays_6183940_3210.html
[12] https://www.lopinion.fr/international/niger-laveuglement-francais